In Deutschland stehen rund 9.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die meisten warten auf eine Nierentransplantation, einige warten sogar auf mehrere Organe. Während 2018 etwa 5.000 Menschen neu auf die Warteliste kamen, gab es laut Organspende bundesweit nur 955 Spenderinnen und Spender. Das entspricht 11,5 Organspenden je eine Million Einwohner. Obwohl die Anzahl der Spender im Vergleich zu 2017 um 20% gestiegen war, sind 901 Personen auf der Warteliste innerhalb des Jahres verstorben.
Insgesamt konnten im vergangenen Jahr 3.113 Organe von 955 Spendern postmortal entnommen werden, im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten des Eurotransplant-Verbunds ist Deutschland aber immer noch das Land mit den meisten Menschen auf der Warteliste. Die meisten Organspender gibt es übrigens in Spanien. Da kommen 46,9 Organspender auf eine Million Einwohner.
Um künftig noch mehr Menschen dank eines neuen Organs eine „zweite Chance“ geben zu können, wird auf Hochtouren daran geforscht, Organe künstlich herzustellen. Diese sollen sowohl den Mangel an Organspenden ausgleichen als auch Tierversuche ersetzen. Bisher konzentrierten sich die Wissenschaftler dabei auf Versuche mit 3D-Druckern, die eine „Bio-Tinte“ lebender Zellen verwenden. Während das Verfahren in der Luft- und Raumfahrt oder beim Automobilbau bereits Alltag ist, konnte bislang noch kein einziges funktionsfähiges Organ durch 3D-Druck hergestellt werden.
Im Rahmen des EU-Projekts BRIGHTER (Bioprinting by light sheet lithography: engineering complex tissues with high resolution at high speed) arbeitet eine von Elena Martinez vom Institute for Bioengineering of Catalonia in Barcelona (IBEC) initiierte europäische Forschergruppe unter Beteiligung der Goethe-Universität Frankfurt derzeit an der Entwicklung eines 3D-Biodrucksystem mit neuartiger Lichtscheiben-Lithographie. Dieses neue Lithographie-Verfahren setzt auf spezielle Hydrogele, die mit lebenden Zellen versetzt sind.
„Top-down“ anstatt „bottom-up“
3D-Druck-Technologien haben alle eines gemeinsam: Die Modelle werden schichtweise aufgebaut und nicht aus einem Materialblock herausgefräst. Dabei werden sie entweder von unten nach oben aufgebaut („bottom-up“) oder von oben nach unten (top-down“). Dieses Verfahren findet bisher hauptsächlich im Prototypenbau und bei Designobjekten Anwendung.
Biodrucksysteme, die Strukturen schichtweise „bottom-up“ aufbauen haben nach Aussagen von Wissenschaftlern jedoch einige erhebliche Nachteile. Erstens würde der Druckvorgang viel zu lange dauern. Dadurch seien die Überlebenschancen der Zellen in der Bio-Tinte und in den polymerisierten Schichten sehr gering. Zweitens gebe es beim Sprühvorgang für die Zellen, besonders für Stammzellen, eine erhebliche Ausfallrate. Drittens sei die Auflösung des Verfahrens mit etwa 300 Mikrometern viel zu gering, um die filigranen Strukturen natürlicher Gewebe nachzubilden. Schließlich sei es besonders schwierig, komplexe Hohlraumstrukturen, wie blutführende Gefäße, in das Zellgewebe einzubauen.
„Mit unserem Projekt wollen wir den umgekehrten Weg gehen, indem wir ein abwärts strukturiertes (engl. ”top-down”) Lithographie-Verfahren entwickeln“, erklärt Dr. Francesco Pampaloni vom Buchmann Institut für Molekulare Lebenswissenschaften (BMLS) an der Goethe-Universität. Die Funktionsweise des Verfahrens ist ähnlich wie die Lithographie in der Halbleitertechnik, wobei hier Hydrogel mit lichtempfindlichen Molekülen an die Stelle des Halbleiters und der photoempfindlichen Schicht tritt, die durch eine Maske beleuchtet wird.
Mithilfe der Lichtscheibentechnik, die Prof. Dr. Ernst Stelzer für die Lichtscheibenmikroskopie erfunden hat, wird dieses Hydrogel in dünnen Scheiben belichtet, wodurch sich verzweigte Kettenstrukturen (Polymere) bilden. Diese dienen dann als Matrix für die Besiedlung durch lebende Zellen. Das restliche, noch flüssige Hydrogel, wird ausgewaschen.
Mit diesem Verfahren werden wir in die Lage kommen, die räumliche Struktur und ihre Steifigkeit mit einer bisher unerreichten Auflösung einzustellen, so dass wir die gleichen heterogenen Mikrostrukturen schaffen können, die Zellen in natürlichen Geweben vorfinden
…erklärt Pampaloni. Er geht davon aus, dass sich durch das neue Verfahren vollkommen neue Möglichkeiten für die Biofabrikation komplexer Gewebe und ihrer anatomischen Mikrostrukturen ergeben werden. Zudem könne man die spezifischen Eigenschaften der Matrix nutzen, „um Stammzellen in wohldefinierte Kompartimente einzubringen oder die Ausbildung von Gefäßen zu ermöglichen“. Große Vorteile gegenüber bislang üblichen 3D-Drucksystemen sehen die Forscher speziell in der hohen Geschwindigkeit und einer kostengünstigen Produktion.
Das Projekt BRIGHTER wird ab Juli 2019 für drei Jahre im Rahmen des renommierten und sehr selektiven „Future and Emerging Technologies“ (FET) Open Horizon 2020 Programm der Europäischen Union gefördert. Von der Gesamtsumme von 3.450.000 Euro gehen 700.000 Euro an das Team von Dr. Pampaloni im Arbeitskreis Physikalische Biologie von Prof. Stelzer, Fachbereich Biowissenschaften der Goethe-Universität. Weitere Partner sind das IBEC (Barcelona, Spanien, Koordination), Technion (Haifa, Israel) sowie die Unternehmen Cellendes (Reutlingen, Deutschland) und Mycronic (Täby, Schweden).
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