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Elektromobilität wird die Welt retten. Moment. Elektromobilität wird die Welt retten? Sicher, die Early Adopter im „modernen“ elektrifizierten Individualverkehr sind eine verschworene Gemeinschaft und glauben teilweise fest daran. Das bekommt man als Verbrenner-Fahrer besonders in den sozialen Medien zu spüren.

Der schlechte Mensch fährt Verbrenner – ad hominem

Wer seinen Diesel oder Benziner verteidigt, der darf nicht auf Milde hoffen. Er gehört zu einer aussterbenden, ja verachtenswerten Spezies. Die Zukunft gehört den Elektrofahrzeugen. Nur scheinen die OEMs, vor allem bei Stromern „Made in Germany“, bei der Fahrzeugkonstruktion dieselben Fehler zu wiederholen, die man schon bei den Verbrennern machte.

Größer, schwerer und schneller

Die Nachfrage der Konsumenten für große SUVs und Geländewagen ist nach wie vor ungebrochen und steigt trotz Energiepreisschock weiter an. Die deutschen Premiumhersteller können gar nicht so viele Einheiten der Riesenfahrzeuge fertigen, wie der Markt aufnehmen könnte. 

Derzeit herrscht zudem eine günstige Ausnahmesituation. Denn die Nachschub-, Chip- und Rohstoffkrise „zwingt“ die OEMs dazu, nur die teuersten und schwersten Fahrzeuge zu fertigen. Mit dem Ergebnis, dass die Gewinne nur so sprudeln. Der Durchschnittspreis eines verkauften Mercedes-Benz lag im letzten Quartal bei rund 100.000 Euro.

Auch bei den Elektrofahrzeugen dominiert das SUV und hohes Gewicht

Große Verbrenner mit unglaublich leistungsfähigen Motoren sind derzeit der Renner. Die 800-PS-Racing Utility Vehicle-Version des Audi RSQ8 aufgemotzt von ABT war beispielsweise in Rekordzeit ausverkauft. 315 km schnell und in nur 3,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Das ideale Gefährt um auf deutschen und internationalen Autobahnen Hindernisse geschmeidig aus dem Weg zu blasen. Wäre da nicht das Tempolimit im Ausland und der dichte Verkehr in Deutschland.

Und die Stromer?

Auch hier werden die SUVs immer leistungsfähiger und wegen der Batterien leider noch schwerer. Und nicht nur die. Vor allem bei Fahrzeugen aus deutscher Herstellung (mit Ausnahme von VW) fällt immer häufiger auf, dass sie bis zu 30 Prozent mehr wiegen, als der internationale Wettbewerb. Das gilt auch für die Limousinen. 

Der Mercedes-Benz EQS wiegt in der Realität schlappe 2.760 kg*, der Audi e-tron 55 2.720 kg* und der BMW iX xDrive 50 2.720 kg*. Getoppt werden diese „Boliden“ nur noch vom gerade vorgestellten HummerEV aus den USA, der über 4 Tonnen auf die Waage bringt. Dabei wiegt allein seine Batterie schon so viel, wie ein ganzer BMW i3, nämlich 1.350 kg. Der erste elektrische BMW beinhaltete übrigens mal eine revolutionäre Überlegung: mehr Reichweite und weniger Energieverbrauch durch konsequenten Leichtbau.

Rohstoffe, Energieverschwendung & Co.

Dass Fahrzeuge mit rund 3 oder 4 Tonnen Gewicht auch eine ganze Menge mehr Rohstoffe verbrauchen, ist eine Binsenweisheit. Und dass es in erster Linie dem Käufer solcher Fahrzeuge völlig egal ist, leider auch – die OEMs wären schön dumm, wenn sie dieses Geschäft also nicht mitnehmen würden. 

Was führt aus dem Dilemma?

Nichts, und das ist das Deprimierende. Ohne äußeren Zwang wird sich hier nichts ändern. Erst wenn die Konsumenten SUVs und Geländewagen – auch elektrifizierte Fahrzeuge – nicht mehr kaufen, dann wird bei den OEMs eine Umorientierung stattfinden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist freilich so hoch, wie auf dem Mars kleine grüne Männchen zu finden.

Vor diesem Hintergrund mutet die Diskussion über die hohen Sprit- und Energiepreise richtig bizarr an. Wer mit fahrbaren Schrankwänden unterwegs ist, die um die 3 Tonnen wiegen, sollte sich nicht dem Katzenjammer über die hohen Kraftstoffpreise hingeben. Er sollte stattdessen mal das Gehirn einschalten. Möglicherweise tuts für die Fahrt zum Fitness-Center, die Kita oder zur Arbeit auch ein kleineres Fahrzeug, oder (ganz revolutionär) ein Fahrrad – dann aber möglichst ohne E-Antrieb.

Manche haben bereits verstanden!

Funfact und zur Ehrenrettung sei gesagt, dass einige der Early Adopter durchaus ihr Gehirn eingeschaltet haben: in Deutschland waren 2021 45,8 Prozent (laut m. kmib.co.kr) aller verkauften Stromer Fahrzeuge aus dem A-Segment. Dazu gehören unter anderem Autos wie der VW e-UP!, der Fiat 500e, der Renault ZOE und die Smart-Modelle um nur einige zu nennen. Diese Fahrzeuge erfreuten sich vor allem wegen des niedrigen Anschaffungspreises nach Abzug der Umweltboni höchster Beliebtheit …

*Gewichtsangaben: Bjørn Nyland Testwagen-Messungen.

Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Eveline van Zeeland, Eugene Franken, Katleen Gabriels, PG Kroeger, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla, Willemijn Brouwer und Colinda de Beer geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, die manchmal durch Gastblogger ergänzt werden, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Bitte lesen Sie hier die bisherigen Episoden.