Künstlerische Darstellung von Weltraumschrott, die auf tatsächlichen Daten basiert. © ESA
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Weltraumschrott – nicht nur unsere Erde läuft Gefahr, immer mehr im Müll zu ersticken, sogar im Weltraum hat die Menschheit bereits jede Menge Schrott hinterlassen. Der erste Umweltverschmutzer, der seinen Müll außerhalb der Erde hinterlassen hat, war der erste Satellit der Geschichte, Sputnik, der am 4. Oktober 1957 von der Sowjetunion ins All geschossen wurde. Er hinterließ hauptsächlich die zweite Stufe der Trägerrakete, die allerdings bald in der Erdatmosphäre verglühte.

Seitdem ist die Anzahl der Trümmerteile von abgeworfenen Oberstufen, Verbindungselementen, abgeplatzten Oberflächenbeschichtungen wie Lackteile oder Isolierstücke, mit jeder Rakete weiter angewachsen. Und auch ausgediente und funktionsuntüchtige Satelliten, die meist nicht mehr steuerbar sind, umkreisen die Erde nun als Schrott. Dazu kommen kleinste Teilchen Aluminiumpulver aus Feststoffantrieben, die Satelliten auf ihre Umlaufbahn befördern oder dem kontrollierten Wiedereintritt von Fotoaufklärungssatelliten und deren Filmkapseln dienen. Die Staubteilchen dieses Pulvers, das als Treibstoffzusatz dient, der den Schub vergrößert, backen oft zu Schlackestücken zusammen, die bis zu einigen Zentimetern groß werden können.

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Explodierende Satelliten oder Oberstufen erzeugen viel Weltraummüll © ESA

Weitere Raumfahrtrückstände können Tropfen aus einer Natrium-Kalium-Legierung sein, die russische militärische Ozeanüberwachungssatelliten in den achtziger Jahren freisetzten. Diese Legierung diente als Kühlmittel für ihre Kernreaktoren, die am Ende auf etwa 950 Kilometer hohe „Friedhofs“-Bahnen abgeworfen wurden. Das dabei freigesetzte Kühlmittel formte sich zu metallischen Kugeln von bis zu fünf Zentimetern Durchmesser.

Klein aber gefährlich

Das größte Problem sind jedoch meist kleine Fragmente, die von Oberstufen- und Satelliten-Explosionen oder von Antisatellitenwaffen-Tests stammen und deren Umlaufbahnen stark differieren. Der chinesische Test einer Antisatellitenwaffe am 10. Februar 2007, bei dem ein ausgedienter chinesischer Satellit zerstört wurde, brachte zum Beispiel mehr als 3.300 katalogisierte Fragmente hervor, die größer als zehn Zentimeter sind. Die Anzahl noch zahlreicherer, kleinerer Teilchen kann nur geschätzt werden.

Einige wenige Werkzeuge, die Astronauten bei ihren Weltraumausstiegen verloren haben, spielen bei so viel Schrott dagegen kaum noch eine Rolle. Sie könnten jedoch der Raumstation ISS gefährlich werden, wenn ihre Umlaufbahn sich so verändert, dass sie sich mit hoher Geschwindigkeit der Station nähern. Seit 1998 musste die Raumstation bereits mindestens 20 Mal Trümmerteilen ausweichen.

Laut Daten der ESA waren am 03. April 2013 schon 3.588 Satelliten oder Raumflugkörper sowie 13.061 weitere Objekte beim US Space Surveillance Network detailliert erfasst. Außerdem haben die Wissenschaftler mit mathematischen Modellen ermittelt, dass sich etwa 29.000 Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, im Orbit befinden. Dazu kommen etwa 670.000 Teile, die größer als ein Zentimeter und 170 Millionen Teilchen, die größer als ein Millimeter sind. Die Gesamtmasse aller Objekte in Erdbahnen liegt bei weit über 6.300 Tonnen.

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Eine Solarzellenfläche des Hubble-Teleskops wurde durch ein Fragment beschädigt © European Space Agency, ESA

Ein großer Teil des herumschwirrenden Mülls verglüht zwar im Laufe der Jahre immer wieder in der Erdatmosphäre, es kommen aber auch ständig neue Fragmente hinzu. Mit der Zunahme von Satelliten, die sich auf hohen Umlaufbahnen zwischen 1.000 und 20.000 Kilometern oder auf der geostationären Bahn in 36.000 Kilometern Höhe befinden, steigt zusätzlich die Anzahl langlebiger Fragmente, die Jahrzehnte oder noch länger im Erdorbit bleiben.

All dieser Schrott stellt mittlerweile auch ein hohes Risiko für den Betrieb operationeller Satelliten dar. „Müllobjekte größer als etwa zehn Zentimeter sind bei typischen Relativgeschwindigkeiten von 10 – 14 Kilometern pro Sekunde auf erdnahen Bahnen in der Lage, einen Satelliten oder eine orbitale Raketenstufe vollständig zu zerlegen, wobei hunderte bis tausende von Objekten neu entstehen“, weiß man bei der ESA. Das sei aber noch nicht alles. „Bei genügender Dichte der Fragmente tritt ein Kaskadeneffekt auf. Die entstandenen Teile kollidieren mit Weltraumschrott, wobei erneut Fragmente entstehen. Derzeit geht man von 29.000 solcher hochriskanten Objekte aus. Reduziert man die Grenzgröße der Objekte auf einen Zentimeter nimmt deren Anzahl auf etwa 750.000 zu.“

Ende der Mission

Der Einschlag eines Objekts, das größer ist als ein Zentimeter, sei in niedrigen Bahnen im Stande die Mission eines operationellen Satelliten zu beenden. Die sich dabei entfaltende kinetische Energie würde dem Aufprall eines Mittelklasseautos bei 50 Kilometern pro Stunde auf eine solide Betonwand entsprechen, wissen die Astronomen. Wenn man nun die Größe der berücksichtigten Rückstände auf einen Millimeter reduzieren würde, würde deren Anzahl auf etwa 170 Millionen steigen. Sogar derart kleine Objekte könnten Satelliten-Subsysteme nachhaltig schädigen, wie beispielsweise Energieversorgung, Kommunikationssysteme, Teile der Bahn- und Lagesteuerung des Satelliten oder Sensoren von Forschungsinstrumenten. Somit könnten selbst Einschläge kleiner Teile eine Satellitenmission stark beeinträchtigen oder sogar zu deren Abbruch führen.

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Analytiker bei der Arbeit in der Raumschrottanlage im ESOC-Missionsleitzentrum der ESA, Darmstadt, Deutschland. © ESA//R. Palmari

Im Februar 2009 kollidierten erstmals zwei Satelliten im Weltraum (Iridium 33 und Kosmos 2.251), was zu weiteren mehr als 2.200 Fragmenten, die größer als zehn Zentimeter sind, sowie eine nicht genau erfassbare Zahl noch kleinerer Teile führte.

Um derartige Kollisionen zwischen aktiven, steuerbaren Satelliten und bekannten, katalogisierten Objekten zu vermeiden, gibt es zum Beispiel das Joint Space Operations Center (JspOC) oder auch das European Network of Competences on Space Debris (SD NoC), ein Zusammenschluss aus ESA (Deutschland), ASI (Italien), UKSA (Großbritannien), CNES (Frankreich) und DLR (Deutschland). Diese Organisationen verfolgen Weltraummüll und alarmieren die Satellitenbetreiber, wenn sich der Müll auf einem Kollisionspfad mit ihrem Satelliten befindet.

Dabei werden die Bahnen der Satelliten im Allgemeinen über Zeiträume von bis zu sieben Tagen auf Nahvorbeiflüge von Objekten untersucht. Liegt die Distanz des Vorbeiflugs unter oder die Wahrscheinlichkeit einer Kollision über einem gegebenen Grenzwert, muss der Satellit ausweichen.

„Die Daten erhalten wir unter anderem von den USA, allerdings nicht von der NASA, sondern vom Space Surveillance Network“, sagt Dr. Tim Flohrer, Senior Space Debris Monitoring Analyst im ESOC-Missionsleitzentrum der ESA, Darmstadt. „Objekte größer als 5-7cm sind in diesem Datenkatalog enthalten. Diese haben alle das Potenzial einen Satelliten komplett zu zerstören, falls es zu einer Kollision käme.“ Ausweichmanöver sind natürlich nur bei Satelliten mit einem eigenen Antriebssystem möglich, ohne das ist der Satellit ein wehrloses Opfer und wird eben getroffen. Festgelegte Regeln, wie im Luftverkehr, wer wohin ausweicht, gibt es bei Satelliten nicht. „Es gibt keine formalen ‚Verkehrsregeln‘, aber durchaus einen Austausch von Bahndaten, so dass aktive Satelliten sich nicht zu nahe kommen“, so Flohrer.

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Grössere Teile stuerzen auch auf die Erde. © NASA

100 Kollionswarnungen pro Monat

Seit dem zweiten Halbjahr 2009 gibt es im Durchschnitt eine Warnung pro Satellit und Monat – rund 100 mögliche Kollisionen; glücklicherweise bedeutet aber nicht jede Warnung, dass ein Manöver stattfinden muss. Wenn aber eines nötig ist, plant das für den Satelliten verantwortliche Team das Manöver zur Kollisionsvermeidungund führt es durch. Zwischen 2010 und 2014 musste beispielsweise Metop-A dreimal bewegt werden, um unterschiedliche Gefahren zu vermeiden, Metop-B zweimal.

Abhängig von Größe, Masse, Struktur und Material der Objekte, die in die Erdatmosphäre eintreten, verglühen die meisten. Teile von großen Objekten wie Oberstufen oder sehr große Satelliten verglühen aber nicht immer vollständig und können durchaus auf der Erdoberfläche aufschlagen. Meist landen sie im Wasser, da mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche aus Wasser bestehen. Zuletzt passierte das beim Absturz des amerikanischen Satelliten UARS (Upper Atmosphere Research Satellite) Ende September 2011, als Fragmente des omnibusgroßen Satelliten über dem Pazifik niedergingen.

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