Alleine die Diagnose Krebs ist für jeden Betroffenen ein Schock, der nur schwer zu verdauen ist und einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität hat. Diese nimmt während der Behandlungszeit in den meisten Fällen noch weiter ab, da die Nebenwirkungen der Therapie die körperliche Leistungsfähigkeit und auch die Seele immens belasten. Das führt zu einer deutlich reduzierten körperlichen Aktivität – die viele Ärzte auch immer noch befürworten und dieses „Schonen“ sogar empfehlen.
Seit einiger Zeit sind jedoch Bewegung, Sport und gezieltes Training, sowohl als zusätzliche als auch als eigenständige Therapie, weltweit Gegenstand vieler Studien. Kürzlich veröffentlichte Daten zeigen, dass Sport nicht nur die Lebensqualität verbessern kann, sondern auch die Therapieergebnisse. Bei verschiedenen Krebsformen zeigen Beobachtungsstudien, dass körperliche Aktivität und gezieltes Training mit einem Rückgang des Krebsrückfall-Risikos und sogar der Mortalität einhergehen. Darüber hinaus verstärkt das Training offenbar auch die Wirksamkeit aller gezielten Krebstherapien, d. h. der Chemo- und Immuntherapien sowie der Strahlentherapie.
„Krebsprogression (Tumorwachstum) und Metastasierung sind abhängig von der Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese bzw. Neovaskularisation). Diese findet jedoch, anders als in gesunden Geweben, bei Krebs planlos und ungeordnet statt“, erklären die Mediziner der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO). „Es entstehen sehr dünne, verknäuelte, unreife, teilweise undichte Gefäße und außerdem viele Kurzschlussverbindungen (sogenannte Shunts), die dazu führen, dass sich das sauerstoffreiche Blut nicht ausreichend im Tumorgewebe verteilen kann, sondern abfließt.“
Dadurch käme es zu einem Sauerstoffmangel, einer sogenannte Tumorhypoxie, und einer Übersäuerung des Tumorgewebes. Im Tumor entstehe somit ein Mikromilieu oxidativen Stresses, das wiederum dazu führe, dass der Tumor neue Gefäße bildet und die Aggressivität der Erkrankung anregt.
Sport gegen Tumor-Fatigue-Syndrom
Eine weitere Begleiterscheinung dieses Mikromilieus ist u.a. auch das häufig auftretende Tumor-Fatigue-Syndrom. Der Betroffene leidet unter Kraft- und Antriebslosigkeit und ist ständig erschöpft und müde. Dieser Dauerzustand verbessert sich durch Schlaf auch nicht. Zusätzlich können Konzentrationsschwäche, Angst, Depressivität und weitere Symptome hinzukommen, die negative Auswirkungen auf das tägliche Leben haben.
„Die Fatigue-Problematik gilt als eine Hauptursache einer reduzierten Lebensqualität (QoL) und ist eine häufige Begleiterscheinung einer Tumortherapie und der Tumorbehandlung“, sagt DEGRO-Pressesprecherin, Frau Prof. Dr. Stephanie Combs. „Auch unter Strahlentherapie kann es zum Fatigue-Syndrom kommen.“
Noch gibt es keine Medikamente gegen das Fatigue-Syndrom, die Studien beweisen aber, dass Bewegung bzw. körperliche Aktivität und gezielte, sportliche Betätigung die Symptome bessern bzw. aufhalten können. Sport trägt laut der Ärzte zu einer „nicht-pharmakologischen Modulierung bzw. Regulierung des Mikromilieus im Tumor“ bei.
So erhöhe körperliches Training die Spiegel des Wachstumsfaktors VEGF („vascular endothelial growth Factor“) und normalisiere die Blutgefäßstrukturen im Tumor. Dadurch kommt es zu einer gleichmäßigeren Gefäßdichte, einer verbesserten Durchblutung und besseren Sauerstoffversorgung.
„Damit einher geht eine bessere Verteilung von Chemotherapeutika im Tumor, aber auch die Wirksamkeit einer Bestrahlung nimmt deutlich zu, da Hypoxie bzw. oxidativer Stress bekanntermaßen die Strahlensensibilität von Krebszellen verschlechtert“, heißt es in der Studie. „Es konnte gezeigt werden, dass gezieltes Training zu einer dreifachen Abnahme von 8-OHdG (8-Hydroxydesoxyguanosin, einem Biomarker für oxidativen Stress) im Tumor führt.“ Andererseits führte das Sportprogramm zu einem Anstieg der „anti-oxidativen Kapazität“ im Blut um 41% und zu einer Abnahme von Oxidationsprodukten um 36%.
Bessere Immunabwehr
Die Wissenschaftler haben weiterhin festgestellt, dass sich durch Sport auch der Tumorstoffwechsel (Energieversorgung, Insulinspiegel, Glukosemetabolismus) verändert und verschiedene Entzündungsmarker im Blut sinken. Bei Patienten, die während der Chemotherapie an einem Sportprogramm teilnahmen, sanken die Entzündungswerte und als weitere, positive „Nebenwirkung“ wiesen sie bessere geistige (neurokognitive) Leistungen auf.
Zu guter Letzt aktiviert Sport auch nachweislich die Immunabwehr, da die Zahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten und Lymphozyten) zunimmt. Die Zahl natürlichen Killerzellen, der sogenannten NK-Zellen, nahm sogar um das Zehnfache zu, und auch die Produktion von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6), wird durch Sport angekurbelt.
„Die Evidenz zu den positiven Effekten sportlicher Aktivität gilt heute als so stark – besonders bezüglich Fatigue und Lebensqualität, aber zunehmend auch hinsichtlich des Ansprechens von Chemo- und Strahlentherapien, einer Rückfallprophylaxe und dem Überleben, dass wir als Fachgesellschaft allen Bestrahlungspatienten/innen sportliche Aktivität empfehlen“, so Prof. Dr. Wilfried Budach, Präsident der DEGRO.
Frau Prof. Dr. Combs betont, die Erkenntnisse zum positiven Einfluss von körperlicher Bewegung und Sport bei Krebspatienten seien ganz besonders wichtig bei der Patientenberatung. „Leider raten einige Onkologen und Hausärzte noch immer eher zu körperlicher Schonung.“
Die Spezialisten empfehlen grundsätzlich eine Kombination aus Ausdauer- und allgemeinem Krafttraining. Bei einer individuell geeigneten Sportart sollte dabei das Anforderungsniveau allmählich gesteigert werden. Je nach Leistungsniveau kann das zu Beginn erst mal nur ein täglicher 10-minütiger Spaziergang sein, oder auch regelmäßiges, dreimal wöchentliches Joggen.
„Natürlich können bestimmte Situationen Trainingspausen erfordern, wie frische Wundheilung oder Komplikationen wie Fieber oder Infektionen. Bei Knochenmetastasen besteht unter Umständen eine erhöhte Frakturgefahr durch ungeeignete Sportarten“, räumen die Wissenschaftler ein. „Manchmal müssen bei/nach einer Bestrahlung spezielle Gegebenheiten berücksichtigt werden, denn starkes Schwitzen, reibende Kleidung oder Chlorwasser können die Haut zusätzlich reizen.“
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