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Schlimm genug, wenn ein Patient die Diagnose Krebs bekommt. Damit die Aussicht auf Heilung möglichst groß ist, sind die richtigen Therapien nötig. Ärzte stellt dies jedoch vor große Herausforderungen, da jede Krebsart ihre Besonderheit hat. Computermodelle für eine personalisierte Medizin könnten hier eine Schlüsselrolle spielen.

Bilden sich Krebszellen, ist deren Wachstum außer Kontrolle geraten. Der Grund dafür sind verschiedene Genveränderungen. Da entartete Krebszellen auch unter Patienten mit der gleichen Krebsart variieren, ist es so schwierig, die richtige Therapie zu finden. Zudem können sich selbst Zellen innerhalb eines Tumors unterscheiden.

Personalisierte Therapien

Die Genveränderungen haben nicht nur Auswirkungen auf das Wachstum der kranken Zellen. Sie spielen vor allem auch bei der Behandlung eine große Rolle. „Bei einer herkömmlichen Therapie dreht man daher oft an Stellschrauben, die für einen spezifischen Patienten keinen Effekt haben“, sagt Heinz Koeppl, Professor am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik und Zweitmitglied im Fachbereich Biologie der TU Darmstadt.

Seine Mitarbeiter und er haben deshalb die Vision, von vornherein abzuschätzen, ob eine bestimmte Therapie einer an Krebs erkrankten Person überhaupt helfen kann. Dazu entwickeln die Wissenschaftler Computermodell. Vergleichbar ist das in etwa mit einem virtuellen Patienten. Er wird aus den Gen- und Protein-Daten der Krebszellen konstruiert. In dieses Modell fließen aber auch die Ergebnisse der Zellversuche aus dem Labor, aus histologischen Befunden sowie aus weiteren klinischen Untersuchungen und Informationen ein.

Vorhandene Modelle

Für einige Krebstypen existieren bereits grobe Netzwerkmodelle und Datenbanken. Sie beschreiben Zellprozesse, etwa Signalkaskaden und katalytische Aktivitäten von Proteinen. Die Forscher verfeinern diese Modelle, indem sie sie mit den aktuellen krankheits- und patientenspezifischen Informationen anreichern. Die große Herausforderung liegt laut Koeppel darin, Algorithmen zu finden, die das vorhandene Wissen an die neuen Daten anpassen. Zudem müsse das Detailwissen, über das Biologen und Biochemiker verfügen in die Modelle miteinbezogen werden. „Rein datengetriebene Verfahren der Künstlichen Intelligenz sind hier nicht zielführend“, erklärt Koeppel.

Wirkung

Dank des Computermodells, also dem virtuellen Patienten, können molekulare Wechselwirkungen abgebildet werden. Wenn die Forscher ein Medikament testen wollen, um ein bestimmtes Protein zu hemmen, verringern sie im Modell seine Aktivität. Die Auswirkungen auf das gesamte Netzwerk und auf die Krebszellen sind somit ablesbar. Fragen wie: Wird der gewünschte Signalpfad deaktiviert? Vermehren sich die Zellen jetzt langsamer? Sterben sie gar ab? Oder ist der Effekt vernachlässigbar? können dadurch beantwortet werden. „Wenn man verschiedene Wirkstoffe am Netzwerkmodell durchspielt, kann man einem Patienten die beste verfügbare Therapie vorschlagen. Das ist die Idee der personalisierten Medizin“, sagt Koeppl. Selbst Immuntherapien und andere neue Behandlungsarten lassen sich an diesen Computermodellen testen. Bis zu klinischen Anwendungen werden aber wohl noch einige Jahre vergehen.

EU-Projekte

Die Forschungsarbeiten der Darmstädter Wissenschaftler sind Bestandteil zweier EU-Projekte. Das internationale Verbundvorhaben PrECISE hat sich auf Prostata-Krebs konzentriert. Es endet nun. Im Februar 2019 startet das iPC­Projekt. Ziel ist, häufige Krebsleiden bei Kindern zu erforschen. Das Gesamtbudget beläuft sich auf 14,8 Millionen Euro. Davon erhält die Gruppe um Professor Heinz Koeppl aus dem Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt 725.000 Euro. 21 Partner aus neun europäischen Ländern, den USA und Australien, sind an dem Konsortium beteiligt. Darunter befinden sich neben Forschungsinstituten auch Kliniken und Unternehmen.

Auf dem Foto sind Professor Heinz Koeppl (li.) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Jascha Diemer zu sehen.

Foto: Katrin Binner