Oliver von Malm in Kibera (c) Start Somewhere
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Der deutsche Architekt Oliver von Malm entwickelte ein Bausystem das die Bewohner des nairobischen Slums Kibera zum lego-artigen Auf- und Abbau ihrer Häuser befähigt.

Bis zu 50 Grad Hitze in den Innenräumen und mangelhafte hygienische Verhältnisse – das ist die Architektur, die Oliver von Malm im Slum Kibera in Nairobi kennenlernte. Kibera ist einer der größten Slums weltweit. Geschätzt 500.000 bis 1 Million Menschen leben hier auf engem Raum – ohne Kanalisation und fließendes Wasser. Von Malm war noch Architekturstudent, als er in Kibera 2011 zwei ehrenamtliche Lehrer kennenlernte, die in einem fensterlosen Gebäude achtzig Schüler und Schülerinnen unterrichteten. Dieses Engagement beeindruckte ihn und er beschloss zu helfen.

Zurück an der Universität Innsbruck, sammelte er Schulmaterial und startete Spendenveranstaltungen für einen guten Zweck. In einem Tedx Talk sagt er später: „Zu der Zeit kannte ich nur Studenten und das einzige wofür sie Geld ausgaben, war Bier“. Mit den Erlösen unterstützte er die Global One Primary School und das Oloo’s Children Centre in Kibera. Im Lauf der Zeit entwickelte sich aus den Spendenveranstaltungen der gemeinnützige Verein Start Somewhere, der das Leben von Schülern und Lehrern wesentlich verbessert hat. Mit den Spendengeldern werden täglich zwei Mahlzeiten in der Schule, medizinische Versorgung und die Ausstattung der Schulen finanziert. Nebeneffekt des Engagements: Innerhalb von zehn Jahren wurden aus achtzig Schülern 800!

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Über den gemeinnützigen Verein Start Somewhere erhalten die Schulkinder zwei Mahlzeiten täglich. (c) Start Somewhere

Traditionelles Bausystem

2015 baten ihn die Schulgründer ein neues Schulgebäude zu entwerfen. Von Malm freute sich, endlich auch sein professionelles Wissen einbringen zu können. Das traditionelle Bausystem in den Slums ist „aus klimatischer Sicht eine Katastrophe“, wie er anmerkt. Die Hütten geben teilweise bis zu 50 Grad Wärme ab. Innen wird auf offenem Feuer gekocht und es passiert öfters, dass ein Herd umfällt. Das entstehende Feuer breitet sich durch die Holzbauweise schnell im Slum aus. Deshalb weitete der Architekt die Aufgabenstellung aus und wollte ein Bausystem schaffen, das allen Slumbewohnern nützlich sein würde.

In Kibera gibt es zwei traditionelle Bauweisen: Eine basiert auf einem Holzgerüst, nasser Erde und einem Dach aus Wellblech. Die nasse Erde wird auf das Holzgerüst aufgeklatscht und wer es sich leisten kann, bringt noch eine Putzschicht an. Das verhindert, dass die Erde nicht durch die Regenfälle abgetragen wird. In der zweiten Bauweise wird das ganze Holzgerüst mit Wellblech ummantelt. Wellblech ist eines der billigsten Baumaterialien. Aber es isoliert schlecht, ist nach zwei Jahren durchgerostet und muss dann erneuert werden, erklärt der Architekt.

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Die traditionelle Bauweise in Kibera (c) Start Somewhere

Günstiger und hochwertiger

Von Malm widmete dem Projekt seine Masterarbeit. Forschungsziel war es, ein Bausystem zu entwickeln, das günstigeres und doch hochwertigeres Bauen ermöglicht; eine Technologie, die gemeinsam mit den Slumbewohnern – und mit den Materialien vor Ort – umgesetzt werden kann. So wollte er ihnen ermöglichen, Das Leben im Slum von innen heraus zu verbessern – unabhängig von den Industrienationen. Zur Finanzierung des Projekts startete er die Fundraising-Kampagne ‚Let’s start somewhere’ und konnte so die PERI GmbH als Technologiepartner gewinnen. Das deutsche Unternehmen ist eines der weltweit führenden im Bereich Schalungs- und Gerüsttechnik.

Wie Lego

2019 präsentierte er „das erste mörtellose Bausystem aus Betonhohlsteinen, das darauf ausgelegt ist, Häuser in großer Zahl zu ermöglichen,“ so von Malm. Die Bauelemente können im Stecksystem von Hand auf- und wieder abgebaut werden – wie Lego. Das ist insofern von Vorteil, als die Bewohner von Slums zwar ihre Häuser, aber nicht den Grund, besitzen. Slums sind informelle Siedlungen. Wenn der Grund umgewidmet wird, zum Beispiel in Straßenbaufläche, müssen die Bewohner den Grund – und ihre Häuser – verlassen. Durch das neue Bausystem könnten sie ihre Häuser einfach mitnehmen.

Natürliche Klimaanlage

Die Wände der Hohlbausteine messen nur zwei bis vier Zentimeter und der Hohlraum wird mit Erde gefüllt. Dadurch kann Beton gespart werden. Gleichzeitig wird das Gebäude winddicht. Die Erde füllt alle Fugen, durch die der Wind eindringen könnte. Anknüpfend an die traditionelle Bauweise, dient die Erde auch als natürliche Klimaanlage. „Das ist eine jahrtausendealte Idee“, sagt von Malm. Je schwerer die Wand ist, desto länger braucht sie, um sich zu erwärmen. In einer Klimazone mit hohem Tag-/Nacht-Temperaturgefälle ist das sinnvoll. In Nairobi steigt das Thermometer tagsüber auf über 30 Grad und nachts kühlt es auf 15 Grad ab.“

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Stecksystem der Betonhohlsteine (c) Start Somewhere

Flexibler Grundriss

Neuartig am Stecksystem ist, dass es erstmals einen Grundriss mit stufenlosen Winkeln ermöglicht. Es basiert auf einem Standardstein, dessen Stecksystem mit der Änderung der Legerichtung flexibel wird. Werden die Steine in die stets gleiche Richtung geschichtet, entsteht eine stabile Mauer. Wird die Legerichtung hingegen Lage für Lage abwechselnd um 180 Grad gedreht, entsteht eine Mauer, die stufenlos anwinkelbar ist. Die Grundstücke in den dicht besiedelten Slums sind meist ungerade. Durch das Stecksystem kann der Grundriss flexibel geplant werden und die Grundstücke optimal ausgenutzt.

Hier finden Sie ein erklärendes Video zum Bausystem.

Das Dach besteht derzeit noch aus konventionellem Wellblech – aus Kostengründen. Wobei Trapezblech verwendet wird, das nicht rostet. Damit es die Sonnenstrahlen reflektiert, erhält es einen hellen Anstrich. Als zusätzlicher Hitzeschutz wurde eine Gipskartondecke eingezogen; laut von Malm ergibt diese eine gefühlte Kühlung von 10 bis 15 Prozent.  

Durch dieses Bausystem könnte ein Einfamilienhaus schon um 1000 bis 2000 Euro verfügbar werden.

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Oliver von Malms Vision besserer Gebäude im Slum von Kibera (c) Start Somewhere

Erdbebensicher?       

Inwiefern das Bausystem erdbebensicher ist, muss noch getestet werden. Erdbebensimulationen im Labor seien aufwändig und teuer und es brauche dazu noch Spendengelder, so von Malm. Zunächst geht er aber davon aus, dass sein mörtelloses Bausystem einer komplett vermörtelten steifen Wand überlegen ist.

“Die aufeinandergelegten Bausteine haben einen kleinen Spielraum und können zwei bis drei Millimeter nach rechts und links verschoben werden. Ein Erdbeben ist eine horizontale Kraft und wir schätzen, dass diese Verschiebbarkeit von Vorteil ist.“ Dennoch gibt es Baunormen, die für die Erdbebenzone Gebäudeaussteifungen vorschreibt. Bis der Beweis erbracht ist, werden diese durch Ausbetonieren einzelner Hohlkammern und eines Ringbalkens mit Stahlbeton erzielt.

Der Prototyp

Im August 2019 wurde schließlich die Betonhohlstein-Manufaktur in Kibera errichtet und ein Team eingeschult. Mittlerweile hat die Manufaktur eine Kapazität von 75 Steinen am Tag. Im November 2019 war von Malm dort, um die erste Testwand vor dem Bau des Schulgebäudes zu errichten – ein 350 Meter langes Gebäude mit zwei Stöcken und zwölf Klassenzimmern. Als Reisen durch den Shutdown nicht mehr möglich war, koordinierte er den weiteren Bauverlauf mit einer Ikea-ähnlichen Bauanleitung über WhatsApp und Video Call. „Ich musste nie ein Maß überprüfen. Die 50 Zentimeter langen Steine sind meine Maßeinheit und ich musste sie einfach nur abzählen. Das ist fast wie 3D-Druck,“ erklärt er. Inzwischen sind die letzten Bausteine für das Schulgebäude verbaut und auch das Dach konnte noch im September 2020 fertiggestellt werden.

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Die Konstruktion des Schulgebäudes in Kibera (c) Start Somewhere

Industrie vor Ort

Im nächsten Schritt geht es darum, eine Industrie vor Ort zu schaffen. Dazu müssen neue Kunden gewonnen werden. Gemeinnützige Organisationen haben die Bausteine schon genutzt. Von Malm: “Sie sind von unserem Bausystem angetan, weil man vier bis fünfmal schneller bauen kann, als konventionell. Außerdem mögen sie die geschwungene Architektur, die ästhetisch ansprechend ist. Das gab es bislang noch nicht und das macht etwas mit den Menschen.“ Weitere NGOs haben bereits angefragt und auch Angehörige der Mittelklasse zeigen Interesse. Für von Malm ein wichtiges Signal, weil es kein Haus zweiter Klasse sein soll.

Ein Betonhaus ist bei den Bewohnern von Kibera ein Statussymbol. Viele wünschen sich, eines Tages darin wohnen zu können. Derzeit sei allerdings noch fraglich, ob sie sich das Haus wirklich leisten können, oder ob es subventioniert werden muss, so von Malm. Durch den geringen Betonverbrauch konnte er die Kosten zwar unter dem Niveau der traditionellen Bauweise halten – allerdings nur kumuliert auf einen Zeitraum von zehn Jahren. „Es könnte sein, dass die Anfangsinvestition nicht aufgebracht werden kann und das langfristige Denken nicht gegeben ist. Im Slum lebt man von einem Tag auf den anderen.“

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Schulbau in Kibera (c) Start Somewhere

Potenzial zur Optimierung

Mit diesen Fragestellungen beschäftigt er sich derzeit in seiner Dissertation, die mit dem DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gefördert wird. „Der technologische Aspekt funktioniert, aber der Baustein muss auch konkurrenzfähig mit anderen Produkten am Markt sein. Dazu kommt der psychologische Effekt: sind die Menschen in Kibera gewillt, ihr Haus ab- und andernorts wieder aufzubauen, wenn der Bulldozer kommt? An diesen drei Schrauben müssen wir drehen und es gibt noch viel Potenzial zur Optimierung.“

Handlungsbedarf besteht auch noch bei der Software zur Planung von Architektur und Kosten. Aktuell noch eine Tablet-Version, soll diese bald zur Smartphone-App werden. Dann können Hausbauer ihren Grundriss via Touchscreen an die Grundfläche anpassen und gleichzeitig eine automatisierte Kostenberechnung erhalten.

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Das Dach der Schule (c) Start somewhere

Finanzierung

Das Pilotprojekt umfasst den Bau einer Betonhohlstein-Manufaktur und eines Schulgebäudes im Kibera-Slum in Nairobi bis Ende 2020. Die Umsetzung wurde von der Die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH (DEG), eine Tochter der KfW-Bank, gemeinsam mit der PERI GmbH gefördert. Kofinanziert wurde das Projekt im Rahmen eines develoPPP-Projekts der DEG  aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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