CURA (c) Max Tomasinelli
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Der Shutdown ließ ganze Industriezweige stillstehen. Auch die Designindustrie stand vor der Situation nicht systemrelevant zu sein. Einer der ersten der wusste, wie er einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten kann, war der Architekt und Ingenieur Carlo Ratti. Als das Gesundheitssystem in seiner Heimat Italien überlastet war, verwandelte er einen Schiffscontainer in eine Intensivstation für COVID-19 Patienten. Für die Zeit nach der Pandemie entwickelte er Pura Case, eine Art mobile Garderobe, welche die Kleidung mit Ozon desinfiziert.

Carlo Ratti ist Gründer des gleichnamigen Architekturbüros und Direktor des Senseable Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Im Schiffscontainer-Projekt arbeitete er gemeinsam mit dem italienischen Architekten Italo Rota. Das Projekt zielt darauf ab, die Effizienz der bestehenden Designlösungen für Feldspitäler zu verbessern. Gängige Lösungen sind Zelte. Diese haben den Vorteil, schnell überall aufgebaut werden zu können. Für eine Intensivstation eignen sich diese aber nicht, weil sie nach außen hin nicht abzudichten sind. Rattis Container ist gleich schnell aufzubauen wie ein Zelt. Sein entscheidender Vorteil liegt in den umfassenden Biosicherheitsabdichtungen. Diese machen ihn genauso sicher wie eine reguläre Isolationsstation.

Intensivstation in open-source

Die Intensivstation fasst zwei Betten und ist im Plug-in-Modus schnell in Betrieb zu nehmen. Der Prototyp wurde in einem provisorischen Krankenhaus im Komplex Officine Grandi Riparazioni im Zentrum von Turin installiert. Der erste Patient traf am 19. April ein. Weitere Einheiten befinden sich gerade in Bau und werden in anderen Teilen der Welt errichtet. Das Projekt ist open source, das heißt Pläne, Anleitungen und Konstruktionsmaterialien sind seit Ende März online für jeden zugänglich. Das Feedback war überwältigend. Bisher meldeten sich 2000 Personen die entweder an dem Projekt mitwirken, es reproduzieren oder technische Beratung leisten wollten. Es ergab sich also auch eine neue Art der Zusammenarbeit im Designbereich.

Das Projekt läuft unter dem Titel Connected Units for Respiratory Ailments (CURA). Dahinter steht ein großes europäisches Konsortium aus Forschungs- und Industriepartnern. Unterstützung kommt von der COVID-19 Plattform des Weltwirtschaftsforums. Unabhängig davon, wie sich die Pandemie weiter entwickeln wird, geht man davon aus, dass der Bedarf an Intensivstationseinheiten in den kommenden Monaten steigt.

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CURA (c) Max Tomasinelli

 Kleidung desinfizieren

Carlo Ratti ist auch Co-Gründer des 2018 gegründeten Tech-Start-up Scribit in Turin. Auch im Start-up nutzte man die COVID-19 Krise, um über ein Projekt mit positiver sozialer Auswirkung nachzudenken. Die Idee mit der Desinfektion von Kleidung ging aus einem internen Wettbewerb hervor und kam von Vitalie Ciornii, einem Techniker im Team. Auf Kleidung halten sich Bakterien und Viren relativ lange. Experten gehen von zwei Tagen aus. Das ist besonders dann problematisch, wenn wir uns in Menschenansammlungen bewegen – und den geforderten Abstand nicht einhalten können.

Handliches Format

Das Designteam wurde von Carlo Ratti geleitet. Die Entwicklung des Prototyps erfolgte in der Produktion von Scribit in Turin. Herausgekommen ist Pura Case, eine Art mobile Garderobe – ein Behälter, vorzustellen als eine Mischung aus Kleidersack und Koffer. Das Volumen fasst maximal vier Kleidungsstücke auf Kleiderbügeln. Durch die handliche Größe kann es im Kleiderschrank oder im Flur platziert werden.

Die desinfizierende Wirkung basiert auf Ozon, einer natürlich vorkommenden Form von Sauerstoff. Das System ist batteriebetrieben. Laut Scribit entfernt der Desinfektionsvorgang geschätzte 80 Prozent der Viren, Bakterien und Mikroorganismen aus den Stoffen der Kleidung. Ozon wird bereits in der Gesundheits- und Textilindustrie zur Desinfektion von Textilien, Gegenständen und Räumen eingesetzt.

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Pura Case (c) Scribit

Digital gesteuert

Das System Pura Case bringt die Technologie sicher in den privaten Raum. Der Behälter ist aus einem Stoff, der so behandelt wurde, dass er das Ozon im Inneren hält. Der Verschluss erfolgt über einen luftdichten Zipp. Der Desinfektionsprozess kann über ein LED-Bedienerfeld am Behälter oder über eine Mobile App gestartet und gesteuert werden.

Damit das Ozon in den Kleiderstoff eindringt, wird es durch eine leichte Kraftanstrengung und eine unmerkliche Entladung aktiviert. Die Ozonbehandlung läuft über eine Stunde und wirkt nicht nur desinfizierend, sondern beseitigt auch Gerüche. Sobald der Prozess abgeschlossen ist, wird das Ozon durch einen natürlichen Zerfallsprozess zu Sauerstoff reduziert so dass der Behälter sicher zu öffnen ist.

Nachhaltige Effekte

Pura Case ist die Antwort auf eine neue Norm in Gesundheit und Hygiene und soll höchste Hygienestandards in der Kleidung fördern – der Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt“, sagt Carlo Ratti. Er denkt, dass die Innovation eine wichtige Rolle spielen könnte, wenn wir nach COVID-19 im kommenden Jahr wieder zu einem regulären sozialen Leben übergehen. Es eignet sich besonders für Menschen, die beruflich zahlreichen Kontakten ausgesetzt sind. Im Haus trägt es zu mehr Hygiene bei. Gleichzeitig hilft es, unnötiges Waschen zu vermeiden und den Wasserverbrauch zu reduzieren. Nachhaltig ist auch das Material der mobilen Garderobe, die aus einer recycelten Faser besteht.

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Pura Case (c) Scribit

Crowdfunding-Kampagne

Andrea Baldereschi, Co-Gründer und Chief Marketing Officer (CMO) von Scribit ist stolz auf das Projekt – und sein Team, das die neuen Herausforderungen in so kurzer Zeit erfolgreich bewältigte. Jetzt will er zur Produktionsphase übergehen. „Wir glauben an einen bottom-up Ansatz und planen in den kommenden Wochen eine Crowdfunding Kampagne. Das wird uns helfen, in die Produktionsphase zu kommen.“ Pura Case soll zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden, um für möglichst viele zugänglich zu sein.

2018 gegründet, wurde Scribit 2019 mit dem write&erase Roboter bekannt. Dieser erfordert keinen Bildschirm, sondern ermöglicht das Schreiben, Zeichnen und Radieren auf Wänden und anderen Flächen. Laut Time Magazin eine der besten Innovationen des Jahres 2019.

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