Ein Astronaut ist mit einem Seil mit dem Raumschiff verbunden, kann sich aber frei im Raum bewegen. Diese freie Bewegung wollte die Lely Group auch den Kühen während des Melkens ermöglichen. Wenn die Kuh in den Melkstand tritt, schiebt sich ein Roboterarm unter ihren Körper und steuert den Melkvorgang. Im Melkstand steht der Kuh ein Futtertrog zur Verfügung und die Melkbecher werden mithilfe von Lasertechnologie angelegt. Während des Melkvorgangs werden die Bewegungen der Kuh mit Sensoren aufgenommen, so dass der Roboterarm ihren Bewegungen folgen kann.
Die Melkmethode ermöglicht den Kühen ihren eigenen Rhythmus zu leben. Der Melkstand steht ihnen 24 Stunden offen und ist frei betretbar. Laut den Erfindern nimmt der selbstgewählte Zeitpunkt den Kühen den Stress und steigert die tägliche Milchleistung um einen Liter pro Kuh.
Zusätzlich ermöglicht der Melkstand dem Landwirt die Kontrolle der Futteraufnahme und der Milchleistung. Zur Datenabnahme wird die Marke am Halsband der Kuh gescannt. Eine Software zur Analyse der Daten liefert dem Landwirt die Informationen, die er braucht, um die Gesundheit seiner Tiere zu erhalten und seine Betriebsabläufe zu verbessern. Die Innovation brachte die niederländischen Erfinder, Alexander van der Lely und Karel van den Berg, ins Finale des Europäischen Erfinderpreises 2019, der am 20. Juni in Wien verliehen wird. Die Beiden im Interview mit Innovation Origins:
Die Lely Group hat 1600 Patente im Agrarsektor. Haben Sie die alle im Kopf?
Lely: Nein, (lacht). Die ältesten Patente bestehen seit zwanzig Jahren. Die würde ich nicht mehr wissen. Aber unser Patentteam kennt sie alle.
Werden auch alle Patente genutzt?
Nein, wenn wir eine Idee haben, dann lassen wir nicht nur diese eine Idee patentieren, sondern auch alle Ideen um diese Idee herum. Wir melden also mehrere Patente an, nutzen aber nicht alle.
Die Lely Group forscht nicht nur im Bereich Melken, sondern auch in Sektoren wie Fütterung und Kuhgesundheit. In welchem Bereich halten Sie die meisten Patente?
Lely: Beim Melkroboter. Die Produktentwicklung begann 1985 und seitdem melden wir Patente an. Alle weiteren Patente fallen auf den Futterroboter, den wir vor zehn Jahren gelauncht haben.
Die Niederlande sind im Global Innovation Index 2017 auf Platz drei von hundertdreißig Volkswirtschaften. Denken Sie, dass die Niederlande innovativen Unternehmen einen Standortvorteil bieten?
Lely: Aus der Perspektive der Agrarwirtschaft sind wir ein sehr kleines Land. Wir müssen Dinge anders machen, um zu überleben. Wir müssen Dinge entwickeln, um jeden verfügbaren Quadratzentimeter Land und jeden verfügbaren Tropfen Wasser zu nutzen. Holland ist sehr bekannt für seine zukunftsorientierte Agrarwirtschaft.
van den Berg: Wir haben ein hohes Wissensniveau in der Agrarwirtschaft – und gute Techniker, die mit offenen Augen an die Dinge herangehen.
Lely: Die Agrarwirtschaft ist einer der Topsektoren in Holland.
Sie haben die Entwicklung am Lely Astronaut 1985 begonnen und die ersten beiden Patente 1986 eingereicht. Wie viele Patente stecken in dem System?
Lely: Achthundert.
Was war die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Lely Astronaut – und warum?
Mit dem Lely Astronauten wollten wir den Landwirten den schwierigen Prozess des Melkens abnehmen. Unsere Maschine sollte mit der fünfhundert Kilogramm schweren Kuh interagieren und ihr volle Bewegungsfreiheit lassen. Die Maschine musste sensibel genug sein, um die nur fünf Zentimeter großen Zitzen der Kuh zu finden und gleichzeitig sehr robust sein, um nicht kaputt zu gehen. Ich glaube, das war das größte Ding, was meinst du Karel?
van den Berg: Ja, die Zitzen zu finden – eine fünfhundert Kilogramm schwere Kuh bewegt sich und könnte die Maschine auch ruinieren. Man braucht eine exakte Position, die gleichzeitig robust und stark ist …
Lely: … für eine große Kuh …
van den Berg: … und auch kuhfreundlich. Die Kuh muss freiwillig zum Melkstand kommen. Das funktioniert nur, wenn sie den Roboter mag. Aber sie kommt auch wegen des Futters, das sie im Melkstand vorfindet.
Lely: Die Zitzen haben einen Durchmesser von zwei Zentimetern und müssen in ein Loch von zwei Zentimetern gehen. Durch die Flexibilität der Zitzen gibt es aber auch ein bisschen Spielraum.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Van den Berg: Durch Sensoren am Ende des Roboterarms erkennt die Maschine die Distanz zu den Zitzen. Aber auch der Laserscanner hilft mit, die Zitzen zu finden.
Lely: Der Lasercanner ist sehr präzise.
van den Berg: Aber auch der Glaube, es schaffen zu können, ist bei der Problemlösung sehr wichtig. Es gab zu dem Zeitpunkt noch andere Unternehmen, die an dem Problem geforscht haben.
Lely: Es ist der Glaube an die eigene Fähigkeit und Ausdauer. An etwas zu glauben, dranbleiben und nichts Geringeres als die beste Lösung zu akzeptieren.
Gab es auch einen Punkt, an dem Sie aufgeben wollten?
(beide lachen laut)
Lely: Es gab einen gewissen Punkt, an dem wir uns für die beste Technologie entscheiden mussten. Wir diskutierten lange, bevor wir uns auf den Laserscanner einigten. Das bedeutete für uns – als damals noch sehr kleines Familienunternehmen – eine große Investition, die sehr viel Mut erforderte. (lacht)
van den Berg: Später waren wir sehr froh, dass wir uns für den Laserscanner entschieden hatten.
Und: welche Innovation können wir uns als nächstes von Ihnen erwarten?
Das dürfen wir nicht verraten, das ist geheim. Wenn Sie darüber berichten, bekommen wir kein Patent mehr. (lacht) In unserer Forschung geht es immer um die Milchviehwirtschaft und derzeit arbeiten wir hart an einer umweltfreundlichen Lösung für den Mist. Wir wollen bei den Milchbauern eine Kreislaufwirtschaft etablieren. Das Wissen um die Wirkung von Mist ist durch den Einsatz von Düngemitteln etwas in Vergessenheit geraten. Im Mist und Urin der Kühe sind viele Mineralstoffe enthalten. Derzeit ist Mist aber bloß Abfall, der CO2-Emissionen ausstößt. Wir wollen den Mist wieder auf die Felder zurückbringen. Aber nicht in seiner originalen Form, sondern so, dass er die gleiche Wirkung hat, wie Düngemittel.
Danke für das Gespräch.
Über die Lely Gruppe:
Das Unternehmen wurde 1948 von den Brüdern Lely in Maassluis gegründet. Anlass war die erste Erfindung – ein Sternradschwader. Mittlerweile ist die Zahl der Patente auf 1600 angewachsen. Die Technologien sind in den Sektoren Melken, Fütterung, Tiergesundheit, Kuhkomfort, Managementsysteme und Großmilchviehbetriebe angesiedelt. Nach wie vor Familienunternehmen, beschäftigt die Gruppe 1200 Mitarbeiter und setzt jährlich fünfhundertsechs Millionen Euro um. Seit 2004 wird Lely in zweiter Generation von Alexander van der Lely geleitet. Er studierte Fertigungs- und Betriebstechnik und entwickelte gemeinsam mit dem Elektroingenieur Karel von Berg den automatischen Melkastronauten.Auch interessant:
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