© Luisella Planeta Leoni via Pixabay
Author profile picture

Der westliche Mensch führt ein gehetztes Leben. Die Anforderungen der Umgebung steigen, und wir wollen diesen Erwartungen gerecht werden. Karriereaussichten, Ehrgeiz oder einfach sozialer Druck sind Gründe dafür. Wir haben Glück, dass unser Körper recht flexibel ist: bis zu einem gewissen Grad passt er sich veränderten Umständen an. Wir essen zum Beispiel mehr Salze, weil das unseren Blutdruck erhöht und uns besser in die Lage versetzt, mit den Anforderungen unserer Umwelt zurechtzukommen. Aber natürlich stellt sich die Frage, was das auf lange Sicht mit unserem Körper macht. Es gibt immer mehr Menschen mit chronisch erhöhtem Blutdruck, mit all den Folgen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Kurz gesagt, es gibt alle möglichen gesundheitlichen Aspekte von chronischem Stress, die ein anspruchsvolles Arbeitsfeld für Wissenschaftler darstellen.

Geert van Boxtel, Tilburg University

Geert van Boxtel, leitender Dozent für kognitive Neuropsychologie an der niederländischen Universität Tilburg, ist ein solcher Wissenschaftler. Seit den 1980er Jahren erforscht er die Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Verhalten. Eine Zeit lang beschäftigte er sich hauptsächlich mit der reinen Theorie: Was sind die biologischen Grundlagen des Verhaltens? “Ich würde den Menschen gern verstehen lernen, ihn entwirren. So wie man einen altmodischen Wecker auseinandernimmt, um zu sehen, wie alles funktioniert”. Aber bei einem Menschen ist das nicht so einfach. “Meine Motivation bei all meinen Forschungen ist es immer, ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie Menschen sind. Aber ich habe meinen Schwerpunkt mehr und mehr von der rein theoretischen zur eher anwendungsorientierten Forschung verlagert. Die Messung von Stress kann man auf der Grundlage von mehr Kenntnis über die biologischen Systeme immer zuverlässiger machen. Es stellte sich aber die Frage, ob dieses Wissen auch sinnvoll auf etwas anwendbar ist, das großen Gruppen von Menschen zugute kommt”.

Bei dieser Suche kam Van Boxtel auch mit Philips Research und der Fakultät für Elektrotechnik der Technischen Universität Eindhoven in Kontakt. “Die Elektrotechnik kann viel von dem, was die Psychologie nicht kann, und umgekehrt. Zusammen mit Jan Bergmans forschten wir auf dem Gebiet des Neurofeedbacks: In einer Reihe von Projekten untersuchten wir die Interaktion zwischen Gehirn und Verhalten. Irgendwann haben wir auch begonnen, die Wirkung von Musik mit einzubeziehen. Sie führte u.a. zur Doktorandenforschung von Marian Dekker und – in jüngerer Zeit – zur Gründung von Alphabeats, einem Start-up, das Musik zur Entlastung des Gehirns einsetzt.

Yoga oder Angeln

Aber wie funktioniert das eigentlich, Musik als Mittel zur Kontrolle des Stressniveaus? Van Boxtel: “Dazu müssen wir erst einmal ein paar Schritte zurückgehen. Angenommen, Sie haben ein Problem mit Ihrem Herzen. Ihr Kardiologe wird Sie dann anweisen, Stress so weit wie möglich zu vermeiden. Natürlich ist das gut gemeint, aber die Frage ist: Wie machen Sie das? Das Problem, auf das Sie stoßen, besteht darin, dass es keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt. Es ist alles sehr persönlich. Zum Beispiel wird sich eine Person im Yoga zu Hause fühlen, während eine andere lieber zum Angeln geht. Aber die Frage bleibt: Kommen Sie auf diese Weise tatsächlich zur Ruhe? Vielleicht starren Sie auf ihre Angelrute, aber innerlich sind Sie immer noch so aufgeregt wie ich weiß nicht was. Dann ist es also interessant zu wissen, ob man Stress messen und in einem thermostatähnlichen Feedbacksystem auf die betreffende Person zurückführen kann. Denn was wir bereits wissen, ist, dass die Menschen sich durch Feedback beeinflussen lassen”.

Das zu messen ist nicht so einfach, wie es sich anhört, sagt Van Boxtel. “Man kann den Herzschlag messen und dann feststellen, dass es mehr Stress gibt, wenn der Herzschlag hoch ist. Aber wie hält man Ursache und Wirkung auseinander? Ein Beispiel, das ich immer wieder gerne gebe, ist das Laufen. Etwas, das ich früher gerne gemacht habe, bis ich mir eine Knöchelverletzung zuzog. Nehmen wir nun an, dass die Verletzung plötzlich weg ist und ich gleich wieder anfangen würde zu laufen. Wenn Sie mich fragen, wie ich mich fühle, dann ist das etwa eine 9 auf einer Skala bis 10. Ich bin so froh, dass ich wieder laufen kann. Aber mein Herzschlag geht immer noch in alle Himmelsichtungen, denn mein Zustand ist natürlich lausig. Wer eine Herzschlagmessung durchführen würde, könnte fälschlicherweise den Schluss ziehen, dass ich enorm gestresst bin. Das ist der Kern des Stressproblems. Wir lernen immer mehr darüber, aber es steckt so viel Individualität darin, dass die Beurteilung sehr schwierig ist. Dieselben Faktoren bewirken bei Ihnen etwas ganz anderes als bei mir”.

Kontrollieren Sie Ihre Alphawellen

Musik könnte dieses individuelle Element sein, so Van Boxtels Annahme. “Die meisten Menschen können ihre Lieblingsmusik enorm genießen. Stellen Sie sich nun vor, dass Sie die Informationen von Ihrem Herzschlag oder Ihrer Hirnaktivität bis zur Quelle der Wahrnehmung zurückleiten können. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass eine hohe Herzfrequenz zu einer schlechteren Qualität der Musik führt und dass eine niedrige Herzfrequenz die Musik wieder schön und voll klingen lässt. Ausgehend von dieser Idee haben wir seit 2010 eine Reihe von Pilotprojekten im Rahmen der Forschung von Marian Dekker durchgeführt. Wir hatten die Idee, dass man den Menschen die Kontrolle über die Alphawellen in ihrem Gehirn geben könnte. Zu diesem Zweck lassen wir die Menschen in einem Sessel sitzen, sich entspannen und ihre Lieblingsmusik hören. Leute von Philips Research halfen dabei, die Musik so zu manipulieren, dass die Testperson bestimmte Töne nicht hören konnte, wenn sie einen schlechten Alpha-Rhythmus zeigte. Wenn dieser Alpha-Rhythmus wieder gut war, konnte sie diese Töne wieder hören. Und das funktionierte tatsächlich überraschend schnell. Wir konnten zeigen, dass jeder seinen Alpha-Rhythmus auf diese Weise ganz einfach beeinflussen kann”.

Der erste Schritt war getan, aber Van Boxtel und seine Kollegen waren noch nicht am Ziel. Die entscheidende Frage blieb: Kann man mit dem Alpha-Rhythmus auch das Stressniveau beeinflussen? “Das blieb natürlich das letztendliche Ziel. Aber es erwies sich als sehr viel schwieriger, das verlässlich nachzuweisen. Kein Wunder, denn dieses Stressniveau ist eine sehr subjektive Sache. Und das Gehirn ist ein so komplexes System, dass wir immer wieder gegen Grenzen gestoßen sind. Dann dachten wir: Wenn man sich nicht auf das Gehirn, sondern auf das Herz-Kreislauf-System, auf Herzfrequenz und Blutdruck konzentrieren würde, was dann? Es ist seit langem bekannt, dass der Herzschlag umso regelmäßiger wird, je mehr man gestresst ist. Unter psychischem Druck beginnt das Herz schneller zu schlagen, aber es schlägt auch regelmäßiger. Darüber hinaus scheint es eine gewisse Periodizität zu geben. Eine wichtige ist ein Intervall von 10 Sekunden oder 0,1 Hertz. Darüber hinaus sieht man ein weiteres, das mehr mit der Atmung zu tun hat, nämlich ein Intervall von 3 Sekunden oder die 0,3-Hertz-Variante”.

Wissenschaft, Handel und Patente

Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass diese 10-Sekunden-Periodizität ein sehr schöner natürlicher Rhythmus ist. Darauf baute Van Boxtel auf. “Wir haben uns angesehen, was passiert, wenn man Menschen in diesen langsamen 10-Sekunden-Atemrhythmus bringt. Sie gehen also von 0,3 Hertz auf 0,1 Hertz und tun theoretisch die richtigen Dinge für ihr Herz-Kreislauf-System. Die Alphabeats-App baut darauf auf. Bei Testpersonen stellte sich bereits nach zehn Minuten heraus, dass es sehr gut funktioniert. Wie geht das? Ähnlich wie Marian Dekkers Forschung lässt Alphabeats die Musik gut klingen, wenn man im gewünschten Atemrhythmus ist, und schlecht, wenn man im falschen Rhythmus ist”. Damit geht Van Boxtels Forschung einen Schritt weiter, aber es bleibt die Frage, was die messbare Wirkung auf die erlebte Entspannung ist und ob dies eine bessere Therapie ist als andere, wie z.B. Achtsamkeit oder Yoga. “Außerdem: Wenn man sich nur 10 Minuten lang mit Kopfhörern hinsetzt, dann ist man schon entspannt. Nun stellt sich also die Frage: Was genau trägt Alphabeat dazu bei, dass Sie sich entspannen können? Das untersuchen wir jetzt weiter.”

Die Zusammenarbeit zwischen der Forschungsgruppe von Van Boxtel, Alphabeats und Philips Research wird also vorerst weitergehen. “Für mich ist es interessant, meine wissenschaftlichen Kenntnisse mit deren kommerzielleren Anwendungen zu verknüpfen, denn am Ende bringt uns das auch neue Erkenntnisse. Das ist mein Interesse daran. Für Philips Research geht es um neue Patente, für Alphabeats ist der kommerzielle Erfolg wichtig, und ich konzentriere mich auf relevante Veröffentlichungen, um das wissenschaftliche Wissen zu erweitern”.