Moslimvrouwen na hun gebedsbijeenkomst in een moskee. (c) Martin Slama
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Martin Slama vom Institut für Sozialanthropologie (ISA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht schon seit zwanzig Jahren über den Internetgebrauch in der indonesischen Gesellschaft. In seinem jüngsten vom Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierten Projekt, erforschte er den Einfluss der sozialen Medien auf das religiöse Zusammenleben – und war selbst erstaunt, wie dicht die beiden Dinge miteinander verwoben sind.

Martin Slama im Interview:

Es war Indonesien, wo Sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Glauben beobachtet haben. Warum in Indonesien?

Ich forsche schon 20 Jahre in Indonesien, zuerst über den Internetgebrauch von indonesischen Jugendlichen und in der Folge über die Gruppe der Indonesier/innen arabischer Abstammung, die oft einflussreiche Positionen im indonesischen Islam einnehmen. Das Thema Islam und soziale Medien drängte sich dann gewissermaßen auf, da immer mehr Indonesier/innen begannen, die neuen Medien im religiösen Alltag zu verwenden.

Sie schreiben von einem neu erwachten Interesse an Religiosität in Indonesien. Inwieweit wird dies durch die Digitalisierung beeinflusst beziehungsweise begünstigt?

Dieses Interesse an Religion kann durch soziale Medien verstärkt werden, da mittlerweile ein sehr breites Angebot an islamischen Strömungen online vorzufinden ist – oft vertreten durch Prediger/innen oder Repräsentant/inn/en islamischer Organisationen. Es kann also heute jede/r indonesische Muslim/in ihren Islam in den sozialen Medien finden beziehungsweise für sich entdecken, um sich dann damit vertieft zu beschäftigen.

Warum profitieren besonders die Muslimas von den neuen Möglichkeiten der Religiosität durch die sozialen Medien?

Indonesische Muslimas, insbesondere Muslimas, die der urbanen Mittelschicht angehören, sind heute oft in Gebetsgruppen organisiert, deren Mitglieder über WhatsApp und Facebook-Gruppen miteinander verbunden sind. Diese von Frauen geleiteten Gebetsgruppen entscheiden autonom, welche Prediger beziehungsweise Predigerinnen – von denen es jedoch wenige gibt – sie zu ihren Treffen einladen. Die Prediger werden für ihre Predigten bezahlt. Da viele Prediger von diesen Einladungen leben, haben diese Gebetsgruppen einen Einfluss auf die religiöse Ökonomie in Indonesien und als Folge auch einen Einfluss darauf, was gepredigt wird.

Wie müssen sich Prediger verhalten, um erfolgreich zu sein?

Sie müssen einfühlsam sein und die Position ihrer Anhängerinnen – was bestimmte Themen betrifft – kennen. Ein Prediger, der die Polygynie (Anmerkung: Vielweiberei) propagiert, wird zum Beispiel nicht von diesen Frauengruppen eingeladen werden. Hinzu kommt, dass Frauen auch in direkten Kontakt mit den Predigern treten können. Es ist zum Beispiel nicht unüblich, einen Prediger wegen privater Probleme über WhatsApp zu kontaktieren. Die Prediger werden dann auch nach ihren psychologischen Fähigkeiten beurteilt. Islamische Autorität wird sozusagen dialogisch in den privaten WhatsApp-Kanälen verhandelt.

Die sozialen Medien werden vorwiegend von jungen Menschen genutzt. Wie ist das Alter der Nutzer von religiösen Angeboten in den sozialen Medien?

In Indonesien, wie in anderen Teilen der Welt, sind es heute sicher nicht nur junge Menschen, die sich regelmäßig in sozialen Medien bewegen. Die Nutzung hat in den letzten Jahren enorm zugenommen und in den urbanen Regionen fast alle Altersgruppen erreicht.

Es gibt allerdings auch einen Islamic Digital Divide – wer profitiert und wer ist ausgeschlossen?

Genau, die regelmäßige Nutzung von sozialen Medien ist in Indonesien weniger eine Frage des Alters als des Zugangs, der ökonomisch und infrastrukturell begründet ist. Ärmere Muslime können sich vielleicht noch ein billiges Smartphone, aber keinen hohen Datenkonsum leisten. Beziehungsweise ist in entlegenen Regionen Indonesiens der Empfang ein Problem. Sie sind damit auch von den religiösen Online-Aktivitäten – zumindest teilweise – ausgeschlossen. Profitieren tut die Ober- und Mittelschicht, die alle religiösen Online-Angebote konsumieren kann, und natürlich die Produzenten dieser Angebote, wie die oben genannten Prediger, die meist auf verschiedenen Kanälen aktiv sind.

Welche sozialen Medien sind es konkret, die von den religiösen Communitys verwendet werden – und wie?

Mittlerweile werden alle populären sozialen Medien in Indonesien auch für religiöse Zwecke verwendet. Sie sind wichtig für die Prediger-Follower Beziehungen, ermöglichen es Muslimen, ihre religiöses Selbst zum Ausdruck zu bringen, wie etwa durch Facebook– und Instagram-Posts, und sie erleichtern das Bilden von religiösen Gruppen.

Meine Kollegin Dayana Lengauer vom Institut für Sozialanthropologie (ISA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) untersuchte zum Beispiel eine Gruppe, die sich Pejuang Subuh (wörtlich Morgenkämpfer) nennt. Deren Mitglieder treffen sich jeden Tag zum Morgengebet in der Moschee, um so ihre Frömmigkeit in der Gemeinschaft zu leben. Es besteht ja keinerlei Verpflichtung im Islam das Morgengebet in der Moschee zu verrichten.

Eine weitere Projektmitarbeiterin, Eva Nisa von der Australian National University, erforschte die Gruppe One Day One Juz. Wer hier mitmacht, verpflichtet sich dazu, jeden Tag einen Juz (ein Kapitel des Koran) zu rezitieren. Die Mitglieder sind in WhatsApp-Gruppen miteinander verbunden, in denen sie den anderen melden, sobald sie das Kapitel gelesen haben.

Als Beispiel: Wer hat One Day one Juz gegründet – und wie ist der Inhalt der Social Media Accounts dieser Gruppe zu deuten?

Für One Day One Juz ist WhatsApp zentral, aber die Gruppe ist auch auf Facebook, Twitter etcetera aktiv. Dabei geht es hauptsächlich darum, das regelmäßige Rezitieren des Koran populär zu machen oder Tipps zu geben, wie man am besten den Tag einteilt, um Zeit für das Rezitieren zu finden. Wie die Gründer von One Day One Juz, die der jungen urbanen Mittelklasse angehören, sind die Mitglieder ja meist beruflich aktiv beziehungsweise haben auch familiäre Verpflichtungen.

Sie haben die Studie über teilnehmende Beobachtung und Interviews durchgeführt. Was war der erstaunlichste Befund?

Allgemein gesagt: Ich rechnete nicht damit, dass Religiosität und der Gebrauch von sozialen Medien in Indonesien in dieser Vielfalt und Intensität miteinander verwoben sind. Den Islam zu praktizieren, bedeutet heute in Indonesiens urbaner Mittelschicht, ihn auch online zu leben.

Danke für das Gespräch.

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