(c) Chuttersnap - Unsplash
Author profile picture

Menschen, die über Stadtplanung und Klimapolitik bestimmen, leben oft in einer verzerrten Wirklichkeit: Sie wohnen in ruhigen und begrünten Vierteln, erleben den Straßenverkehr vorwiegend als Autolenker und sind oft Zweitwohnbesitzer und Vielflieger. Insgesamt tragen sie mehr zum Klimawandel bei, als durchschnittliche Stadtbewohner, die in dichtbesiedelten Stadtvierteln wohnen und von Asphalt, Beton und Verkehrslärm umgeben sind. Trotzdem sind es die sozial Privilegierten, die in stadtplanerischen oder umweltpolitischen Entscheidungsprozessen relativ viel Gewicht haben. Das ist nicht gerecht, sagt die Biologin und Raumplanerin Dr. Sonia Gantioler von EURAC Research in Bozen. Weil sozial Benachteiligte stärker unter zunehmend akuten Problemen wie Hitzeinseln, Überflutungen nach Starkregen, Luftverschmutzung und schwindender Biodiversität leiden. Die Forscherin hat sich schon in ihrer Dissertation mit einem gerechten Zugang zu ökologischem Raum in der Stadt auseinandergesetzt. Jetzt koordiniert sie das EU-Projekt JUSTNaturein dem die Basis für das Recht auf ökologischen Raum gelegt werden soll.  

Naturbasierte Lösungen 

Das Projekt ist auf sechs europäische Städte konzentriert, in denen Praxislabors errichtet und geeignete naturbasierte Lösungen für eine bessere Umwelt entwickelt werden. Ziel ist es, die Städte klimaresistent und nachhaltig zu machen und eine Anpassung an den Klimawandel zu bewirken. Dabei werden natürliche naturbasierte Lösungen gegenüber technischen Lösungen bevorzugt, erklärt Dr. Silvia Croce vom Institut für Erneuerbare Energie am EURAC Research. Sie schrieb eine Dissertation zur Nutzung städtischer Flächen und wird diese Expertise in das Projekt JUSTNature einbringen. 

Umweltvorteile bietet etwa der Anbau verschiedener Arten von Vegetation an brachliegenden Plätzen und auf städtischen Flächen. Neben der Erhaltung der Artenvielfalt können dabei auch die Voraussetzungen für urbane Landwirtschaft innerhalb der Stadtgrenzen geschaffen werden.  

Eine weitere natürliche naturbasierte Lösung wäre der Einsatz von Wasser für verschiedene Zwecke, einschließlich Regenwasserbewirtschaftung und Verdunstungskühlung.  

Auch interessant: Extreme Wetterereignisse: Naturbasierte Lösungen für betroffene Gebiete

In die Kategorie technische Lösungen fallen die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und kühle Materialien, die kühlere Oberflächentemperaturen aufrechterhalten können. Ein Beispiel dafür ist das Aufbringen von Whitetopping auf Asphaltflächen zur konstanten Senkung der Lufttemperatur, so Croce. 

Mammutaufgabe  

Was genau in den sechs städtischen Praxislabors passieren wird, ist noch offen, geht es doch um das Recht auf ökologischen Raum und – in diesem Zusammenhang – die Co-Kreation mit Bürgern. Die Herausforderung sei es Partizipationsprozesse so zu gestalten, dass nicht immer die gleichen Gruppen und Generationen mitbestimmen. Schließlich seien auch jene Menschen Experten, die an einem Ort leben und sich täglich damit auseinandersetzen. Diese Expertise gelte es einzubeziehen. Da müsse man sich auch Machtdynamiken anschauen und Strukturen hinterfragen. “Das ist eine Mammutaufgabe,“ sagt Gantioler lachend.  

Darüber hinaus kann auch die Auswahl der geeignetsten naturbasierten Lösungen für ein städtisches Gebiet eine große Herausforderung darstellen, so Croce. Grundlegend sind klare stadt- und standortspezifische Ziele, welche die Definition von Kriterien ermöglichen. Kriterien, die sowohl die Art der Oberflächennutzung als auch die Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit leiten können. Der Ansatz ist also multikriteriell. Dieser Ansatz wird durch ein breites Spektrum an Lösungen begünstigt, die auf städtischen Flächen angewendet werden können. 

Städtische Flächen 

Städtische Flächen umfassen sowohl Boden- als auch Gebäudeoberflächen. Letztere werden oft nur als Schutz- und Isolierschicht von Innenräumen betrachtet. Jedoch bieten sie ein großes Nutzungspotenzial Im Hinblick auf naturbasierte Lösungen zur Verbesserung von Klimaresistenz und Nachhaltigkeit. Croce: “Schätzungen zufolge machen Dächer etwa 20 bis 25 Prozent der gesamten städtischen Oberfläche aus und die Oberfläche von Fassaden fast doppelt so viel.”  

Dabei gibt es keine ideale Flächennutzung, welche das Potenzial hat, die Ziele in allen drei Kategorien zu erreichen: Klimaresilienz, Nachhaltigkeit und  Anpassung an den Klimawandel. In einer vorangehenden Fallstudie in Bozen habe man sich zum Beispiel nur auf den Nutzungscluster grüne Lösungen konzentriert und das reichte nicht aus, um alle drei Probleme zu lösen, erklärt Croce. Es zeigte sich, dass grüne Lösungen beispielsweise zur Verbesserung des menschlichen Wärmekomforts beitragen, aber nur eine begrenzte Kühlwirkung haben. Unter bestimmten Bedingungen können diese auch zu einem Anstieg der Lufttemperatur führen. Croce: “Durch die Kombination von mehreren Lösungen ist es allerdings möglich, die wesentlichen Einschränkungen einzelner Oberflächennutzungsszenarien zu überwinden. Das haben die Ergebnisse gezeigt.”  

 Wirtschaftliche und soziale Indikatoren  

Um die Nachhaltigkeit des gesamten Lebenszyklus sowie technische Einschränkungen und Machbarkeiten der naturbasierten Lösungen zu beurteilen, ist eine Bewertung wirtschaftlicher und sozialer Indikatoren erforderlich. 

Ebenso wie die Umweltprobleme fallen auch die wirtschaftlichen Beurteilungen von naturbasierten Lösungen stadt- und standortspezifisch aus.  Zu berücksichtigen sei auch, dass einige Lösungen zwar niedrigere Umsetzungskosten haben als andere, aber mit hohen Wartungskosten verbunden sein können, so Croce. 

Gantioler gibt zu bedenken, dass die Leistungen, die Ökosysteme für die Gesellschaft bringen, noch kaum in Geld auszudrücken seien. Denn, welche Summe ist zu verbuchen, wenn Kinder auf einer städtischen Brache spielen können, statt vor der Playstation zu sitzen? fragt sie. 

Es herrsche zwar Konsens, dass naturbasierte Lösungen gesamtgesellschaftlich betrachtet, sehr kosteneffektiv sind; das heißt, man kann mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand viel erreichen. Dennoch wird der Nutzen naturbasierter Lösungen in Analysen immer noch systematisch unterbewertet und das wirke sich hemmend auf Investitionen aus – so eine Studie.  

Kein grünes Pflaster 

Allerdings warnt die Expertin davor, naturbasierte Lösungen als Rechtfertigung zu nutzen, um umweltschädliche Systeme aufrecht zu erhalten. Als Beispiel nennt sie eine Mooswand am Neckartor in Stuttgart, wo man eine der höchsten Feinstaubbelastungen Deutschlands misst. Die Erwartungen an den luftreinigenden Effekt der Mooswand seien weit überzogen gewesen, denn „naturbasierte Lösungen können kein Ersatz für unpopuläre politische Maßnahmen sein – wie etwa die Reduktion des Autoverkehrs“, resümmiert Gantioler. 

Genauso wenig seien diese als Ausgleichsmaßnahme für Bodenversiegelungen zu sehen. Werden Flächen verbaut, dann ist der Bodenverlust nicht einfach durch ein grünes Dach oder eine Efeufassade am Neubau aufzuwiegen. Vielmehr brauche es Überlegungen wie bestehende natürliche Strukturen erhalten und integriert werden können. Nur so kann eine tragfähige Basis für das Recht auf ökologischen Raum geschaffen werden.

Auch interessant: Hochwasserschutz: die Stadt als Schwamm