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Traditionelle Ingenieurtechniken, wie etwa der Bau von Dämmen zum Schutz vor Überschwemmungen, sind in vielen Ländern aufgrund der Kosten nicht durchführbar. Eine vielversprechende Alternative dazu bieten naturbasierte Lösungen (nature-based solutions (NBS)). Darunter versteht man Lösungen für sozio-ökologische Herausforderungen, die von der Natur inspiriert und unterstützt werden. In einer Zeit, in der extreme Wetterereignisse zunehmen, können NBS die Resilienz von gefährdeten Gebieten unterstützen. Um NBS strategisch nutzen zu können, müssen diese allerdings noch wissenschaftlich untersucht und auf europäischer Ebene koordiniert werden.

Auslöser: Extreme Wetterereignisse

Im Forschungsprojekt OPERANDUM forscht ein Team vom Innsbrucker Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit Experten an dem Phänomen. Untersuchungsobjekt ist ein bewohnter Hang in der Tiroler Gemeinde Wattens, der schon seit 2016 beobachtet wird. Der Hang bewegt sich durchschnittlich vier Zentimeter pro Jahr talwärts. Immer wieder kommt es zu Phasen beschleunigter Hangbewegung.

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Die Gebirgsforscher konnten nachweisen, dass intensive Schneeschmelze und langanhaltende Regenereignisse zu Phasen beschleunigter Hangbewegung geführt haben. Durch diese Ereignisse erhöht sich der Grundwasserspiegel und somit der Porenwasserdruck an der Basis des Rutschkörpers in etwa 48 Meter Tiefe. Die erhöhten unterirdischen Wassermengen tragen dazu bei, den Hang zu mobilisieren. Am Untersuchungshang in Wattens sind fünf Millionen Kubikmeter Erdmasse in Bewegung.

Neben den gegebenen topographischen und hydrologischen Rahmenbedingungen sei in betroffenen Gebieten auch eine Gesteinsart mit einem spezifischen geomechanischen Verhalten zu beobachten, erklärt Projektleiter Thomas Zieher.

Analyse der Hangbewegung

Gebäude und Infrastruktur, die sich auf solchen Hängen befinden, können vor allem durch wiederholte Beschleunigung und Verlangsamung der Hangbewegung kontinuierlich beschädigt werden. Das heißt, die Bausubstanz der besonders betroffenen Objekte verschlechtert sich, so der Geograph und Geoinformatiker Zieher.

Die Forscher konnten die Veränderungen durch die Hangrutschung an Häusern, Straßen und Bäumen sowie an Infrastrukturobjekten wie etwa Strommasten und Zäunen auch quantifizieren. Dazu tasteten sie den Landschaftsausschnitt in den vergangenen fünf Jahren wiederholt mit terrestrischem und drohnenbasiertem Laserscanning ab und erzeugten ein terrestrisches 3D-Modell.

Den Rutschungsprozess konnten die Forscher mithilfe des hydro-klimatologischen Modells AMUNDSEN detailliert erfassen und in Verbindung mit gemessenen Bewegungsraten analysieren: „Stündliche Messungen der Position von Reflektoren, und die Positionsveränderung über die Zeit geben dabei Aufschluss über das Bewegungsverhalten des Hanges“, erklärt Jan Pfeiffer, Studienautor und Doktorand im Rahmen des Forschungsprojekts.

Entwässerung des Hangs

Derzeit arbeitet das Team gemeinsam mit Experten der Wildbach- und Lawinenverbauung, Geologen sowie Vermessern des Landes Tirol an der gezielten Entwässerung des Hangs, um die Bewegungen zu reduzieren. Dabei untersuchen sie in einem Feldexperiment die Wirkung einer gemeinsam entwickelten Maßnahme – eine naturbasierte Abdichtung einer Bachsohle. Dabei soll mit erneuerbaren und biologisch abbaubaren Materialien das Versickern von Oberflächenwasser verhindert, und damit der Wassereintrag zur Hangrutschung reduziert werden.

Naturbasierte Abdichtung einer Bachsohle

Durch extreme Wetterereignisse kann entlang von Wildbächen vermehrt Wasser in den Untergrund sickern und weiter hangabwärts die Hangrutschung antreiben. Eine gängige Lösung ist es, die Bachsohlen von Wildbächen nach unten hin abzudichten, damit das Wasser schadlos abgeführt werden kann. Bisher wurden dafür meist Kunststoffhalbschalen in das Erdreich eingebaut. Alternativ dazu verwendet man Bentonitmatten. Diese bestehen aus zwei Lagen Geotextilien und einer dazwischen eingebundenen Lage Bentonit. Bentonit ist eine Mischung verschiedener Tonmineralien, die anschwellen wenn sie mit Wasser aufgesättigt werden.

Zieher erklärt: „Die Bentonitmatte wird an der gewünschten Stelle ausgerollt und anschließend mit einer zumindest 0,6 Meter mächtigen Schicht aus Erdmaterial bedeckt. Die Ausdehnung des Bentonits unter Wassersättigung und das Gewicht des überlagerten Erdmaterials sorgen dafür, dass die Bentonitschicht komplett wasserdicht wird.“

“Die Ausdehnung des Bentonits unter Wassersättigung und das Gewicht des überlagerten Erdmaterials sorgen dafür, dass die Bentonitschicht komplett wasserdicht wird.“

Thomas Zieher

Bisher waren die Geotextilien der Bentonitmatte aus synthetischen Materialien wie zum Beispiel polypropylenbasiertem Vliesstoff. Diese konnten die Forscher jetzt durch biologisch abbaubare Textilien ersetzen, welche die betroffenen Bereiche auch nach dem Abbau der textilen Schichten sicher abdichtet. Als ökologisch verträgliche Variante ist die getestete Bentonitmatte zudem langlebiger und erfordert weniger Wartungsaufwand als herkömmliche Maßnahmen.

Adaptierte Waldbewirtschaftung

Eine weitere naturbasierte Lösung für widerstandsfähigere Berghänge ist jene der adaptierten Waldbewirtschaftung. Denn lokal angepasste, artenreiche Dauerwälder könnten eine bessere hydrologische Wirkung entfalten als die verbreiteten Monokulturen. Zieher: „Artenreiche Wälder fangen den Niederschlag auf und entziehen dem Boden durch ihre Wurzeln Wasser, welches sie in Form von Verdunstung wieder abgeben. Damit dringt weniger Wasser in den Hang ein und der Antrieb der Hangrutschung wird verringert.“ Anhand von Modellstudien, die gemeinsam mit Experten des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) erstellt werden, sollen die Potenziale einer optimierten Waldbewirtschaftung aufgezeigt werden. Bis ein solcher Waldbestand etabliert ist und seine Wirkung entfalten kann, können allerdings mehrere Jahrzehnte vergehen, so Zieher.

Die Ergebnisse der Forschungen sind kürzlich in den Fachjournalen Earth Surface Processes and Landforms, Earth-Science Reviews und Science of The Total Environment erschienen.

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