Haben Sie in einem großen Hotel schon einmal versucht herauszufinden, wo der beste Fluchtweg von Ihrem Zimmer nach draußen ist? Dann waren Sie sicher auch das eine oder andere Mal etwas verwirrt, denn weder der Fluchtplan an der Zimmertür noch die Ausschilderung ist immer eindeutig. Das gleiche gilt für Büro- und andere große Gebäude. Tim Wächter, Doktorand am Institut für intelligente Gebäude (InfinteG) der Fachhochschule Bielefeld hat in seinem Promotionsprojekt untersucht, wie sich die Fluchtwegelenkung im Brandfall verbessern lässt und so Leben retten kann.
Gegenwärtig sind Fluchtwegschilder und -pläne darauf fokussiert, den jeweils kürzesten Weg nach draußen oder in einen sicheren Bereich anzuzeigen. Dabei kann es aber vorkommen, dass dieser Fluchtweg genau zur Brandquelle führt. Oder er ist blockiert und die Menschen sitzen in der Falle. Außerdem müssten Fluchtwegpläne zunächst einmal wahrgenommen, studiert und verinnerlicht werden, um einen positiven Effekt zu haben, betont Wächter. Und selbst wenn man sich den richtigen Weg eingeprägt hat, kann es leicht vorkommen, dass man sich im Augenblick der echten Gefahr und unter Stress nicht mehr daran erinnert. Fluchtwegschilder, die von dichtem Rauch verdeckt werden, helfen dann auch nicht mehr weiter.
Autonomes System zur Fluchtwegesteuerung
Diese Probleme müssten nach dem heutigen Stand der Technik aber gar nicht sein, findet Wächter. Mit seiner Arbeit, die komplett vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert wird, möchte er dazu beitragen, dass die Mankos einer statischen Fluchtwegelenkung so weit wie möglich behoben werden können. Seine Idee ist ein autonomes System zur Fluchtwegesteuerung, „das auf architektonische Informationen (zum Beispiel Längen und Breiten von Fluren und Treppenhäusern) und aktuelle sensorische Informationen (zum Beispiel Temperatur, Kohlenstoffdioxid-Gehalt und Lichtintensität) zugreifen kann, diese verarbeitet und möglichst schnell errechnet, welcher Fluchtweg der beste ist“.
Da ein solches Gebäudeevakuierungssystem die Brandquellen selbst genau lokalisieren könne, werde es stets Fluchtwege vorgeben, die um die Gefahrenstelle herumführen, erklärt der studierte Informatiker. „Angezeigt werden könnten die Fluchtwege mithilfe von gut sichtbaren LED-Streifen im Boden oder an der Wand, deren wandernde Lichtpunkte in die Fluchtrichtung weisen.”
Tim Wächter und Professor Dr.-Ing. Martin Hoffmann, der ihn bei seinem Forschungsprojekt betreut, möchten aber noch einen Schritt weitergehen. Sie wollen weitere wichtige Parameter berücksichtigen und in den Algorithmus, der ein solch intelligentes System steuert, einfließen lassen. „Die Bewertung der baulichen Gegebenheiten eines Ganges anhand von Brandschutzkriterien ist sehr wichtig, um die Fluchtbedingungen möglichst differenziert analysieren zu können“, erläutert Wächter sein Vorgehen. „Zum Beispiel können Stufen oder eine schlechte Beleuchtung einen Fluchtweg deutlich beeinträchtigen. Deshalb haben wir zusammen mit Bauingenieur*innen hier am Campus Minden einen 56 Fragen umfassenden Katalog erstellt, der vielfältige Aspekte des Brandschutzes beinhaltet. Je größer der bei ihrer Bewertung entstehende Evaluationswert ist, desto besser ist die Qualität eines Fluchtweges.“
Erster Prototyp hat sich bewährt
Ein erster Prototyp zur Simulation dynamischer Brandstellen hat sich bereits bewiesen. Das System erkannte die Brandstellen und wählte – bei der gleichen Fluchtweglänge – den Weg mit dem besseren Evaluationswert. Dadurch schnitt es etwa zehn Prozent besser ab als das statische System. Anhand dieser Evaluationswerte ließe sich die dynamische Fluchtwegelenkung voraussichtlich noch weiter verbessern, denn häufig würden sich längere Wege sogar besser zur Flucht aus einem Gebäude eignen als manch kürzere, so Wächter. Der 28-Jährige beschäftigt sich in seinem Projekt außerdem mit der Erkennung und flexiblen Reaktion auf temporäre Hindernisse in Gängen. Das können Kinderwägen in großen Wohngebäuden oder auch Essenswägen in Krankenhäusern sein, „da diese die eigentlich angenommene Kapazität eines Ganges für flüchtende Personen deutlich herabsetzen.“
Um diese Fluchtwegelenkung praxistauglich zu machen, möchte Wächter künftig auch mit Experten wie zum Beispiel Brandschutzmeistern zusammenarbeiten. „Dieser zirkuläre Transfer ist für beide Seiten wichtig, denn nur so kann eine zunächst theoretisch entwickelte Idee zu einem großen gesellschaftlichen Gewinn werden – und tatsächlich Leben retten.”