Vertical Farming (c) PhytonIQ GmbH
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Vertical Farming könnte gleich mehrere Probleme lösen. Vor allem aber würde es die Gemüseproduktion in die urbanen Zentren holen, wo die Mehrheit der globalen Bevölkerung lebt. Indoor könnte man das ganze Jahr über Gemüse produzieren – auch außerhalb der Saisonen. Dadurch würden Transportwege wegfallen und man könnte Böden wieder der Natur überlassen und so die Artenvielfalt fördern.

Bestehende Vertical Farming Systeme sind zwar automatisiert, erfordern aber immer noch manuelle Eingriffe. Um sie industriefähig zu machen, braucht es Künstliche Intelligenz (KI), sagt Markus Tauber, Leiter des Forschungscenters Cloud und CPS Security und Studiengangsleiter des Masters Cloud Computing Engineering an der Fachhochschule Burgenland. Aktuell ist er am Forschungsprojekt Agri-Tec 4.0 beteiligt und will Vertical Farming auf das nächste Level heben.

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Mit Vertical Farming kann man an jedem Ort der Welt Gemüse anbauen. Wie das geht, zeigt die kleine Versuchsfabrik, die eigens für das Forschungsprojekt entwickelt wurde: Ein 2,5 x 3 x 2,5 Meter großer Kubus, der doppelwandig ist und lichtdicht isoliert. Im Kubus braucht man keine Sonne. Licht- und Temperaturverhältnisse sind steuerbar. Weil der Anbau auf Aeroponik basiert, braucht man nicht einmal Erde – und nur ein Bruchteil der Wassermenge aus dem herkömmlichen Anbau. Aeroponik bedeutet, dass die Wurzeln der Pflanzen in der Luft hängen und mit Wasser besprüht werden. Das Wasser ist mit Nährstoffen versetzt und die Pflanzen wachsen wesentlich schneller als in Erde.

Vertical Farming, Künstliche Intelligenz, PhytonIQ Technology
Vertical Farming im Versuchslabor (c) Agri-Tec 4

Künstliche Intelligenz

Der Bewässerungsroboter im Cubus stammt vom Industriepartner PhytonIQ Technology. Das junge Unternehmen entwickelt die Technologien seiner Anlagen selber und bietet diese auch an. Co-Gründer Martin Parapatits berichtet von dem weltweiten Trend, Vertical Farming und Künstliche Intelligenz zu verbinden: „Große Player investieren, aber es gibt noch keine fertige Lösung“. Der Gemüseanbau erfordert agile und flexible Produktionsstrukturen, die durch traditionelle Automatisierung nicht erreicht werden können. Tauber und sein Team bringen ihre Expertise in Sensoren und Vernetzung von Sensoren ein. Sie wollen das optimale Pflanzenwachstum mit Computer-Algorithmen sichern. Zusätzlich wollen sie die Datensicherheit sicherstellen.

Vertical Farming bringt Versorgungssicherheit und macht nur Sinn im größeren Rahmen. Bei großen Flächen kann man nicht jedes Pflänzchen händisch einstellen. Wir beantworten die mathematischen Fragen auf Basis der Informatik.“ Markus Tauber

Eigenschaften von Pflanzen verstärken

Die Anforderungen an die intelligente Steuerung von Vertical Farming sind vielfältig: Neben den schon genannten Parametern Licht, Temperatur, Nährstoffe und Bewässerung, muss auch der Wind laufend koordiniert werden. „Wind ist ein natürlicher Stressfaktor für Pflanzen. Er bewirkt, dass sich der Stengel der Pflanze verstärkt und sie sich aufrichtet, erklärt Parapatits. „Ein ähnlicher Effekt ist auch bei Sonneneinstrahlung zu beobachten: Wenn eine Pflanze im Schatten ist, wächst sie so schnell wie möglich der Sonne entgegen; entweder nach oben, oder indem sie zur Seite ausweicht. Diese Eigenschaft kann man im Vertical Farming auch nutzen – indem man sie steuert. Unter dem Einfluss von Windventilation oder verschiedenen Lichtwellenlängen kann man Pflanzen klein und buschig halten oder groß und schlank wachsen lassen. Gleichzeitig trocknet die Luftbewegung die Umgebung der Pflanzen aus. Dadurch reduziert sich das Schimmelrisiko und das Abatmen der Pflanze wird gefördert.“

Vertical Farming, Künstliche Intelligenz, PhytonIQ Technology
Aeroponik Wurzelansicht (c) PhytonIQ GmbH

Vorbild: Menschliches Nervensystem

Er und sein Team fokussieren kleine Regelkreise, die wie Nervensysteme im menschlichen Körper funktionieren. Als Beispiel nennt er den Fight and Flight Response (Walter Cannon, 1915). Dieser versetzt den Körper in die Lage auf Gefahr zu reagieren. Wenn das Stresshormon steigt, fließt mehr Blut in die Muskeln als in das Verdauungssystem. Sobald das Stresshormon sinkt, reguliert sich der Blutfluss wieder und das Blut fließt wieder in das Verdauungssystem. Diesen Effekt könne man auch bei Pflanzen beobachten, so Tauber: „Es gibt Parameter, die auf die Umgebung einwirken und eine Reaktion erfordern. Ist die Pflanze zu dünn, so braucht es mehr Wind. In unserem Kubus ist dies ein autonomes Element oder auch ein Regelkreis.“

Überwachung mit Bilddaten

Beim Menschen ist das Nervensystem für die Steuerung der Körperreaktionen zuständig. Im selbstadaptierenden System des Regelkreises ist es die MAPE-K Architektur, in der alle fälligen Aktionen auf fünf Punkten basieren: Überwachung, Analyse, Planung und Durchführung sowie vorhandenes Wissen. „Im Fall der Windsteuerung überwachen wir die Entwicklung der Pflanze über den Sensor und unser Wissen. Dazu nutzen wir Bilddaten. Wobei wir die Information von der Dicke und Neigung des Stengels ableiten. Ab einer gewissen Dicke und Neigung braucht es wieder mehr Wind“, erklärt Tauber.

Open Source Projekt

Agri-Tec 4.0 ist Grundlagenforschung zum Thema Vertical Farming. Beforscht werden die vernetzten autonomen Elemente (Regelkreise) und inwieweit diese mit anderen Technologien kombiniert werden können – wie machine learning und neuronale Netze. In Kooperation mit dem AIT Austrian Institute of Technology soll überprüft werden, ob die Sicherheitskriterien beim Einsatz von MAPE-K eingehalten werden können. „Sicherheit und Vertrauen in Daten ist wichtig“, betont Tauber. Die TU Wien trägt mit ihrer Expertise in Internet of Things (IOT) Infrastruktur bei. Das Projekt läuft über zwei Jahre. Die Ergebnisse werden open source veröffentlicht.

Vertical Farming, Künstliche Intelligenz
Wasabiproduktion (c) PhytonIQ GmbH

Aeroponik als das wassersparsamste System

Der Industriepartner PhytonIQ Technology möchte die Ergebnisse nutzen, um Künstliche Intelligenz in seine industrielle Software zu integrieren. Bis das System erprobt und marktfähig ist, wird es noch circa vier Jahre dauern. Das Unternehmen baut Wasabi und Microgreen für Kunden aus Gastronomie und Gesundheitsindustrie an. Die Anlage hat eine Fläche von 1200 Quadratmeter und die Beete laufen über drei bis fünf Etagen.

Für Parapatits ist der Aspekt der Wasserersparnis zentral. Zum einen weil es Regionen gibt, die sehr trocken sind und zum anderen, weil Wasser eine zunehmend knappe Ressource ist. Aeroponik ist derzeit das wassersparsamste System. Ein Effekt, den er mit einem rezirkulierenden System noch steigert: Das mit Nährstoffen angereicherte Wasser bleibt mehrere Wochen in einem Kreislaufsystem in Verwendung. Erst dann wird es gewechselt. Parapatits: „Wir arbeiten schon an verschiedenen Lösungen, das Wasser noch weiter verwenden zu können.“ Da verschiedene Pflanzen verschiedene Anforderungen haben, kommen auch Hydroponik und Vliestechnik zur Anwendung.

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