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Der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes begründete 1911 die Geschichte der Supraleitung. Er entdeckte, dass Quecksilber bei 4,2 Kelvin (minus 268,95 Celsius) seinen elektrischen Widerstand verliert. Seitdem sind die Wissenschaftler auf der Suche nach weiteren Supraleitern, die bei höheren Temperaturen den gleichen Effekt zeigen: Strom ohne Verluste zu transportieren. Wenn es ihnen gelänge, Supraleitung bei Raumtemperaturen zu erreichen, gäbe es auf Dauer weniger Kraftwerke, weniger Treibhausgase und niedrigere Kosten. Es könnten enorme Strommengen eingespart werden, die heute auf dem Transport verlorengehen.

Der bisherige Rekord für die Hochtemperatursupraleitung lag bei minus 70 Grad Celsius. Im Jahr 2015 ebneten Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz um Dr. Mikhail Eremets den Weg für die aktuellen Studien mit Fortschritten bei der Hochtemperatursupraleitung. Sie entdeckten, dass Schwefelwasserstoff (H3S) unter 2,5 Megabar Druck bei minus 70 Grad Celsius supraleitend wird. Vor dieser Entdeckung hielten kupferhaltige Keramiken die Supraleitungsrekorde. Aber auch bei diesen Stoffen war eine Temperatur von mindestens minus 135 Grad Celsius nötig, damit sie ihren elektrischen Widerstand verloren.

Nun ist den Forschern in Mainz ein großer Schritt in Richtung Supraleitung bei Raumtemperatur gelungen. Sie experimentierten mit Lanthanhydrid (LaH10). Dabei stellten sie fest, dass es seinen elektrische Widerstand bereits bei einer Temperatur von minus 23 Grad Celsius verlor. „Wir haben Lanthanhydrid unter anderen möglichen Kandidaten für Supraleitung nahe der Raumtemperatur ausgewählt, die von der Theorie vorhergesagt wurden“, erklärt Dr. Eremets. „Wir arbeiten auch an anderen Materialien.“

Supraleiter
Macht mächtig Druck: In einer nicht einmal faustgroßen Stempelzelle lassen sich zwischen zwei konisch geschliffenen Diamanten mehr als eine Million Bar erzeugen, wobei manche Materialien bei relativ hohen Temperaturen supraleitend werden. © Thomas Hartmann

Durch hohen Druck zu metallischem Lanthanhydrid

Den Grund, dass Lanthanhydrid bei höheren Temperaturen zum Supraleiter werde als Schwefelwasserstoff oder gar die konventionellen metallischen Supraleiter, sieht Eremets unter anderem im Wasserstoffgehalt. „Offensichtlich gibt es in LaH10 viel mehr Wasserstoff als in H3S. Wasserstoff als leichtestes Atom ist von Vorteil für die Supraleitung, da er dem Kristallgitter hochfrequente Schwingungen zuführt“, sagt er.

„Zweitens hat LaH10 eine ganz andere Struktur als H3S. Dieser Grund ist nicht so offensichtlich, und es ist schwierig, ihn qualitativ zu erklären. Viele Parameter (nicht nur die Frequenzen der Gitterschwingungen) bestimmen die kritischen Temperaturen und genaue Berechnungen zeigen, dass die kritische Temperatur in LaH10 höher sein sollte als in H3S.“

Für ihre Experimente synthetisierten die Wissenschaftler kleine Mengen von Lanthanhydrid. In einer speziellen, nur einige hundert Kubikmikrometer großen Kammer, setzten sie die Proben einem Druck von 1,7 Megabar (dem 1,7 millionenfachen des Drucks in der Erdatmosphäre) aus und kühlten sie dann ab. Bei der kritischen Temperatur von minus 23 Grad Celsius sank der elektrische Widerstand des Materials abrupt auf Null.

Nachdem man Supraleitung nur mit Widerstandsmessungen nicht eindeutig nachweisen kann, nahmen die Forscher zusätzlich Messungen in einem äußeren Magnetfeld vor. Ein Magnetfeld stört die Supraleitung, sodass sich der Übergang zu niedrigeren Temperaturen verschiebt – und genau das beobachteten die Physiker.

Supraleiter
© Thomas Hartmann

Wichtige Entdeckung für die Wissenschaft

„Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Supraleitung bei Raumtemperatur”, freut sich Mikhail Eremets. Außerdem hätten die Erkenntnisse auch für die Wissenschaft eine wichtige Bedeutung. „Es zeigt, dass konventionelle Supraleiter (die der etablierten BCS-Theorie (Bardin-Cooper-Schrieffer) folgen) derzeit die vielversprechendsten für das Erreichen der höchsten kritischen Temperaturen sind“, so Eremets. „Die voraussichtliche Supraleitung bei Raumtemperatur wird bei hohen Drücken bald erreicht sein. Unsere Studien sind ein erster Schritt auf der Suche nach neuen Supraleitern auch bei Umgebungsdruck, da es theoretisch scheinbar keine Grenze für die kritische Temperatur der Supraleitung gibt.“

Aktuell forschen Eremets und sein Team nach Supraleitung in Yttriumhydrid. „Bei diesem Material erwarten wir Supraleitung bei noch höheren Temperaturen“, sagt der Wissenschaftler.