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Dr. Google hat eine enorme Popularität erreicht. Mehr als die Hälfte der Anfragen sind Gesundheitsanfragen. Laut Platform24 findet die Suchmaschine nur in 36 Prozent der Fälle die richtige Krankheit. So ergibt etwa die Suche nach ‚Schmerz im linken Oberarm‘ einen dringenden Hinweis auf Herzinfarkt. Tatsächlich können die Ursachen vielfältig sein. Eine der Folgen sind Patienten, die das Gesundheitssystem belasten, weil sie in den Ordinationen und Ambulanzen Beschwerden abklären lassen, die keiner ärztlichen Behandlung bedürfen. Inwieweit eine Gesundheitsapp dieses Problem lösen kann, sei dahingestellt – es sei denn, sie ist als medizinisches Produkt zugelassen.

Regulierung für Software als Medizinprodukt

Für eine Gesundheitsapp eine Zertifizierung als medizinisches Produkt zu bekommen, ist kein einfaches Unterfangen. Umso mehr als die Anforderungen an eine solche Zertifizierung mit der sogenannten MDR (Medical Device Regulation) im Mai 2021 weiter verschärft wurden. Es handelt sich dabei um eine EU-Verordnung, die unter anderem auf eine stärkere Regulierung von Softwareprodukten abzielt. Diese unterliegen noch strengeren Richtlinien – insbesondere in den Anforderungen an die technische Dokumentation, die Nutzen-Risiko-Bewertung, die klinische Bewertung und die Überwachung nach dem Inverkehrbringen. 

Die MDR löst das MDD (Medical Device Directive)Zertifikat ab, das nur mehr bis Ende der Übergangsfrist in 2025 verwendet werden darf.

Medizinische Ersteinschätzung von der Gesundheitsapp

Das schwedische Unternehmen Platform 24  hat unlängst als erste Software-as-a-Service-Lösung europaweit eine MDR Zertifizierung der Klasse IIa, für Software zur digitalen Anamnese und medizinischen Ersteinschätzung, erhalten. Folglich ist das Software-Modul kein „simpler Symptomchecker“, wie es Dr. med. Carol Wildhagen, Deutschland-Geschäftsführerin Platform24, formuliert. Vielmehr dürfe es eine Behandlungsempfehlung aussprechen. Patienten können sich eine medizinisch gesicherte Einschätzung von Schweregrad und Dringlichkeit ihrer gesundheitlichen Beschwerden erwarten. Auf technischer Ebene hebe sich Platform24 mit seiner automatisierten Einstufung der Patienten in eine Versorgungsstufe hervor. Nach der individuellen Zuordnung werden die Patienten direkt auf der Plattform weiterbetreut. Sei es über Video, Chat oder die Buchung eines Termins beim Arzt oder im Krankenhaus.

Kontinuierliche Überwachung

Die Umstellung von MDD auf MDR sei für Unternehmen ein herausfordernder und langwieriger Prozess mit hohem administrativem Aufwand, erklärt Wildhagen. Auch ist die Bewertung der Software kein einmaliger Prozess. Die Leistungsfähigkeit des Tools wird permanent überprüft – und mit ähnlichen und alternativen Lösungen verglichen. So soll sichergestellt werden, dass die Lösung stets mindestens die gleiche Genauigkeit erreicht, wie eine durch medizinisches Fachpersonal durchgeführte Anamnese und Ersteinschätzung. „Das Risikomanagement legt als Kriterium fest, dass die mit jeder einzelnen Entwicklungsmaßnahme unseres Produktes verbundenen Risiken mathematisch und evidenzbasiert bewertet werden. Durch die Überwachung nach der Markteinführung wird kontinuierlich sichergestellt, dass unser Medizinprodukt die regulatorischen Anforderungen erfüllt“, sagt die Expertin.

„Das Risikomanagement legt als Kriterium fest, dass die mit jeder einzelnen Entwicklungsmaßnahme unseres Produktes verbundenen Risiken mathematisch und evidenzbasiert bewertet werden. Durch die Überwachung nach der Markteinführung wird kontinuierlich sichergestellt, dass unser Medizinprodukt die regulatorischen Anforderungen erfüllt.“ 

Dr. med. Caroll Wildhagen, Deutschland-Geschäfstführerin Platform24

Telemedizinische Infrastruktur für Leistungserbringer

Platform24 ist eine modulare, white-label SaaS-Lösung und stellt die telemedizinische Infrastruktur für Leistungserbringer, Kostenträger und weitere Anbieter im Gesundheitswesen. White Label bedeutet, dass die Software in bestehende Websites oder Apps dieser Institutionen integriert und den Patienten auf diese Art kostenfrei zugänglich gemacht wird. 

Patienten, welche die Anwendung nutzen, beginnen die digitale Anamnese, indem sie ihre Hauptbeschwerden beschreiben – geleitet von einer Suchfunktion und in eigenen Worten. Darauf aufbauend wird dann ein standardisierter Fragebogen ausgespielt. Eine Wissens- beziehungsweise Kommunikationskluft zwischen medizinischen Laien (Patienten) und Experten (Arzt) sei nicht vorhanden, so Wildhagen. Denn auch die Nutzerfreundlichkeit sei eine Anforderung der MDR, die Gesundheitsrisiken aufgrund von Bedienungsfehlern minimieren soll.

Verständliche Sprache

Die digitale Anamnese ist so konzipiert, dass Laien in der Gesundheitsapp nicht nur logisch, übersichtlich, einfach und Schritt für Schritt sondern auch in verständlicher Sprache durch die Fragen geleitet werden. Trotzdem funktioniere das Wording auch für medizinisches Fachpersonal – und das durch alle Altersschichten. In Schweden liege der Altersschnitt der Nutzer bei circa 60 Jahren, so Wildhagen. 

Nach der digitalen Anamnese erhalten die Patienten eine medizinische Ersteinschätzung. Abhängig von Behandlungsempfehlung und Dringlichkeit können sie anschließend im System selbst Termine buchen oder eine Video-Konsultation in Anspruch nehmen. Da die Software in Modulen aufgebaut ist, ist dies technisch möglich. Die Ärzte und medizinischen Fachangestellten, die die Fernbehandlung oder Fernberatung erbringen, werden entweder von den die Software nutzenden Institutionen oder über Partnerschaften mit Drittanbietern gestellt.

Einsparungen im Verwaltungsaufwand 

Die Digitalisierung sei ein zentraler Hebel in der notwendigen Transformation des Gesundheitswesens, so Wildhagen. Auch Deutschland erlebe eine zunehmend angespannte Kosten- und Personallage und wolle man genügend Zeit und Geld für die wirklich notwendigen persönlichen Arztbehandlungen haben, so erfordere dies ein Umdenken, so die Deutschland Geschäftsführerin.

In Schweden ist die Software seit 2017 am Markt und in regionale Gesundheits- und IT-Systeme integriert. Dadurch kann der Bedarf der Patienten direkt mit dem aktuell verfügbaren Angebot der Leistungserbringer abgeglichen werden.Viele Patienten vertrauen darauf. Die Plattform verzeichnet 450.000 Interaktionen pro Monat. Zahlen aus Schweden belegen, dass 20 Prozent der Patienten nach Durchlaufen der digitalen Anamnese gar keine ärztliche Beratung oder Interaktion brauchen. Weitere 30 bis 40 Prozent können im Anschluss vollständig digital versorgt werden. Im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand spart das medizinische Fachpersonal vier bis acht Minuten pro Patient und Patientin. Dadurch können im Schnitt 20 Prozent mehr Patienten von einer medizinischen Fachkraft versorgt werden.

Rechtliche Verantwortung

Die rechtliche Verantwortung übernimmt Platform24 lediglich im Rahmen der MDR-Zertifizierung, die sicherstellen soll, dass die Logik der Software jederzeit sicher und vollumfänglich funktioniert. Der medizinische Inhalt sei davon losgelöst, weil dieser von den Institutionen individuell angepasst werden kann. Wildhagen: „Anschaulicher kann man es mit folgendem Bild beschreiben: Wir stellen als Anbieter eine Spritze her und gewährleisten deren sichere Funktion. Unsere Kunden und Kundinnen füllen diese Spritze je nach Bedarf mit einem Wirkstoff und verantworten diesen.“ 

DSGVO-konform und frei von US-Drittsoftware

Daten im Gesundheitsbereich sind besonders schützenswert. Platform24 ist deshalb DSGVO-konform und frei von US-Drittsoftware, da diese nicht der DSGVO unterliegt. Zudem hostet die Plattform ausschließlich in Europa – zur Zeit in Schweden und demnächst auch in Deutschland.

Da die Plattform den Patienten und Patientinnen ausschließlich über medizinisches Fachpersonal beziehungsweise die entsprechenden Gesundheitseinrichtungen zugänglich gemacht wird, unterliegen Datenzugriff und Datenverarbeitung automatisch der ärztlichen Schweigepflicht.