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Laut Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie leiden in Deutschland rund 60% der Bevölkerung – also mehr als 50 Millionen Menschen – unter einer neurodegenerativen Erkrankung. Dazu gehören Migräne und Spannungskopfschmerz ebenso wie beispielsweise Multiple Sklerose, Parkinson, ALS, Hirntumore und sämtliche Demenzformen. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts RobustSynapses haben Forscher nun versucht, genauer herauszufinden, was in den Gehirnen der Betroffenen passiert und deshalb die Synapsen genauer untersucht. An diesen Verbindungsstellen nehmen viele Gehirnerkrankungen ihren Anfang. Und das Team hatte erste Erfolge. Die Wissenschaftler konnten zentrale Fehlfunktionen identifizieren und dadurch neue Ansatzpunkte für lebensrettende Behandlungen finden.

“Das Projekt RobustSynapses befasste sich mit einem der größten ungelösten medizinischen Probleme – der Tatsache, dass es für keine dieser schweren neurodegenerativen Erkrankungen eine Heilung gibt“, erklärt der Hauptforscher von RobustSynapses, Patrik Verstreken, wissenschaftlicher Leiter und Gruppenleiter am VIB Center for Brain & Disease Research an der KU Leuven, Belgien. “Um dieser Herausforderung zu begegnen, wollten wir das Frühstadium dieser Krankheiten genauer unter die Lupe nehmen.“

Wirksamere Behandlungen

Synapsen sind kleine Verbindungen im Gehirn, die die Enden von Nervenzellen miteinander verbinden und so die Weiterleitung von Signalen von einem Neuron zum nächsten ermöglichen. Daher sind die Synapsen maßgebend für die Funktion des Gehirns. Beim Fortschreiten einer neurodegenerativen Erkrankung sind sie oft als Erstes betroffen. Verstreken glaubt, dass Krankheiten dank neuer Erkenntnisse in Zukunft aber früher erkannt werden können. Dann wird es Ärzte möglich sein, mit wirksameren Behandlungen gezielter einzugreifen und die Probleme der Patienten zu lindern. Deshalb wollte er in dem vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt genauer herausfinden, wie genau diese Synapsen funktionieren und wodurch es zu Störungen kommen kann.

Die Forscher untersuchten mit neuartigen Methoden der Genomeditierung als Erstes die Synapsen von Fruchtfliegen. “Dabei fanden wir heraus, dass es spezifische Mechanismen an der Synapse gibt, die erforderlich sind, um dysfunktionale Ablagerungen zu entfernen“, so Verstreken weiter. “Geschieht dies nicht, versagen die Synapsen und verursachen Probleme.“ Dann wendete das Team diese Erkenntnisse in vitro auf menschliche Neuronen an. Diese hatten die Wissenschaftler aus den Hautzellen von Patientinnen und Patienten generiert. So konnten sie synaptische Prozesse sowohl am lebenden Organismus untersuchen als auch ihre Erkenntnisse später in menschlichen Nervenzellen bestätigt oder auch widerlegt sehen.

Neue Möglichkeiten für therapeutische Ziele

Bestätigt sahen sie durch beide Ansätze die Erkenntnis, dass ein Prozess namens “synapsenspezifische Autophagie” Probleme an den Synapsen verursacht. Laut Verstreken könnte diese Erkenntnis zu “neuen Möglichkeiten für therapeutische Ziele” bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen führen. “Eine unserer spannendsten Innovationen war die Entwicklung von Instrumenten, die in die Defekte eingreifen, die durch diesen Prozess an synaptischen Kontakten verursacht werden, einschließlich des kognitiven Verfalls“, sagt er. “Wir arbeiten jetzt weiter daran, in der Hoffnung, echte therapeutische Interventionen zu entwickeln.“

Im Labor forschen Verstreken und seine Kollegen nun daran, welche Zellen im Gehirn sich als erste verändern. “Zunächst verwenden wir Ansätze mit einzelnen Zellen, um zu definieren, welche Zellen im Gehirn am meisten von den aufgedeckten synaptischen Prozessen betroffen sind“, erklärt er. “Eine interessante Entdeckung war es, herauszufinden, warum von Parkinson betroffene Menschen unter Schlafproblemen leiden.“

Heilung in Zukunft möglich?

In Zukunft will Verstreken in dieser speziellen Richtung weiterforschen und nach weiteren betroffenen Zellen im Gehirn von Patienten suchen. Diese könnten dann in entsprechenden Systemen im Labor modelliert werden, entweder, wie bei diesem Projekt, in lebenden Tieren oder in menschlichen, aus Hautzellen gewonnenen Neuronen. “Außerdem haben wir, wie bereits erwähnt, einen Weg gefunden, die Auswirkungen der ‘synaptischen Autophagie‘ zu beeinflussen“, so Verstreken weiter. “Wir können dies durch die Manipulation von Proteinen erreichen, die zentral für diesen Prozess sind und die auch ein Risiko für die Parkinsonerkrankung darstellen, wenn sie bei Betroffenen mutiert sind. Gemeinsam mit unseren Partnern aus der Industrie entwickeln wir nun wirksame Instrumente, um dies zu erreichen.“

Bisher gibt es keine Heilung für neurodegenerative Erkrankungen, durch neue Forschungsmöglichkeiten, die durch das RobustSynapses-Projekt entstanden sind, könnten in Zukunft aber neuartige Behandlungsmethoden gefunden werden. Das hofft Verstreken zumindest. “Angesichts der großen Anzahl von Menschen, die an Neurodegeneration leiden, könnten die Auswirkungen beträchtlich sein.“

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