© Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe
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Noroviren lösen Magen-Darm-Erkrankungen aus und sind nicht nur äußerst unangenehm. Sie legen reihenweise ganze Familien, Schulen, Krankenhäuser oder Seniorenheime lahm und sind äußerst resistent gegen Hitze und Kälte. Sie überleben sowohl Temperaturen von bis zu -150 °C als auch bis zu +200 °C. Und sie brauchen nicht einmal einen Menschen als Wirt. Sie können auf Oberflächen wie Türklinken, Küchen-Arbeitsflächen oder Lebensmitteln sogar länger als eine Woche überleben.

Ausgelöst werden Erkrankungen an Noroviren zwischen 20 und 40 % von kontaminierten Lebensmitteln. In erster Linie durch unverarbeitetes oder tiefgekühltes Obst und Gemüse. Im Herbst 2012 erkrankten in Deutschland mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche in Ostdeutschland nach dem Verzehr von Erdbeeren an Brechdurchfall. Schlimmstenfalls kann eine Norovirus-Erkrankung sogar tödlich verlaufen.

Norovirus-Erkrankungen komplett zu verhindern ist aktuell noch schwierig. Neue Techniken wie die Kaltvernebelung mit Wasserstoffperoxid, die die Qualität unserer Produkte nicht beeinträchtigt und die Sicherheit erhöht, sehen Wissenschaftler jedoch als vielversprechend an. Durch diese Methode könnten Unternehmen, die Obst und Gemüse produzieren und verarbeiten, gezielt Noroviren auf ihren Produkten inaktivieren. Eine Forschergruppe um Prof. Dr. Barbara Becker an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo hat diese Möglichkeit im Rahmen eines Projektes der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) erforscht.

© DIOP GmbH & Co. KG, Rosbach v. d. Höhe

H2O2 als Zusatz in Waschbädern schon seit Längerem im Einsatz

Wasserstoffperoxid wird bereits zur Entkeimung von Oberflächen und zur Desinfektion von Verpackungen verwendet, da es schnell in seine Bestandteile Wasser und Sauerstoff zerfällt. Bei der Nacherntebehandlung von Obst und Gemüse wird es als Zusatz in Waschbädern schon seit Längerem eingesetzt. Druckempfindliche Produkte wie Erdbeeren oder Himbeeren eignen sich jedoch nicht für Waschbäder. Für diese Arten von Lebensmitteln haben die Forscher nun das neue Verfahren der Kaltvernebelung von Wasserstoffperoxid eingesetzt, das bisher vor allem zur Desinfektion von Räumen, u. a. in Krankenhäusern oder Tierställen, angewandt wurde: Dabei wird eine H2O2-Lösung bei Raumtemperatur mittels Druck über spezielle Düsen in sehr feine Dämpfe (Mikroaerosole) umgewandelt, ohne dass Kondensat entsteht.

Bei ihren Versuchen kontaminierten die Wissenschaftler Äpfel, Heidelbeeren, Gurken, Erdbeeren und Himbeeren, also Produkte mit unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten, mit murinem Norovirus (MNV) als Modellvirus. Anschließend behandelten sie die Lebensmittel mit zwei verschiedene Vernebelungsanlagen, in denen die Früchte über 60 Minuten mit H2O2 behandelt wurden. Um zu überprüfen, welche Auswirkungen diese Behandlung hatte, untersuchten sie neben der Reduktion des Norovirus auch sensorische Veränderungen des Obstes und Gemüses. Außerdem wurden Rückstandsanalysen durchgeführt, um zu klären, ob die behandelten Produkten einen höheren Wasserstoffperoxidgehalt gegenüber unbehandelten Produkten aufwiesen. Zudem wurde, nach Aussage der Forscher, „die antioxidative Kapazität behandelter und unbehandelter Früchte bestimmt, um einen Einfluss auf wertgebende Inhaltsstoffe wie Polyphenole zu erfassen“.

Der Ergebnis der Studie zeigte, dass Noroviren auf Obst und Gemüse mit kaltvernebeltem Wasserstoffperoxid zuverlässig inaktiviert werden können. Allerdings zeigte sich ein Unterschied in Abhängigkeit von der Oberfläche: Auf glatten Oberflächen wie Edelstahl, Äpfeln und Heidelbeeren wurden murine Noroviren über 60 min zuverlässig inaktiviert; auf rauen Oberflächen war die Rate geringer, insbesondere bei Erdbeeren. Sensorische Veränderungen wurden bei Äpfel, Heidelbeeren, Gurken und Erdbeeren nicht festgestellt. Bei der Dreiecksprüfung von behandelten Himbeeren zeigten sich jedoch Unterschiede zu unbehandelten Früchten. Rückstände von H2O2 wurden auf keinem der behandelten Produkte nachgewiesen werden.

Mit Noroviren kontaminierte Äpfel, Gurken sowie Heidel- und Erdbeeren in einer Versuchsanordnung auf Multiwell-Platten. © Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe

Weitere Forschungen mit Kombinationen aus chemischen und physikalischen Verfahren

Nachdem auch die antioxidative Kapazität der Produkte nach der Behandlung erhalten blieb, wurden zusätzlich Gurken und Erdbeeren für 240 min behandelt, um zu prüfen, ob eine verlängerte Kontaktzeit die Inaktivierung von Noroviren erhöht. Bei Gurken erhöhte sie sich deutlich, bei Erdbeeren zeigten sich wiederum stark differierende Reduktionsraten. Allerdings zeigten Gurken und Erdbeeren jedoch nach einer 240-minütigen Behandlung sensorische Veränderungen.

Obwohl die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass eine Kaltvernebelung mit Wasserstoffperoxid Wirkung zeigt, müssten vor einer großflächigen Anwendung des Verfahrens noch höhere Inaktivierungsraten auch auf Produkten mit rauer Oberfläche erzielt werden, sagen die Wissenschaftler. Dazu soll im Rahmen eines Folgeprojektes in Kooperation mit der Universität Leipzig untersucht werden, ob Noroviren auf Beerenobst „durch eine kombinierte Anwendung ausgewählter chemischer und physikalischer Verfahren zuverlässig inaktiviert werden können“.

An dem Projekt waren die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Fachbereich Life Science Technologies, Labor Mikrobiologie, das Deutsche Tiefkühlinstitut e. V., Berlin, der Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. und der Lemgoer Arbeitskreis Fleisch + Feinkost an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe e. V. (LAFF), Lemgo beteiligt.