In der medizinischen Forschung müssen jedes Jahr Millionen von Tieren leiden oder sogar ihr Leben lassen. In Deutschland beläuft sich die Zahl auf etwa 2,7 Millionen, in Europa werden rund zwölf Millionen Tiere wie Mäuse, Ratten, Vögel, Kaninchen, Hunde, Affen, Pferde und viele andere für Tests verwendet. Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission bei den EU-Staaten betrifft das in erster Linie humanmedizinische Studien wie Nerven- und Geisteskrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.
In der Erforschung der Folgen von Schlaganfällen kommen Mäuse zum Einsatz. Weltweit jährlich mehr als 200.000 Tiere. Die Wissenschaftler simulieren an ihren Hirnen Gefäßverschlüsse und deren Folgen. Das könnte sich aber bald ändern. Mediziner und Chemiker der Universität Duisburg-Essen (UDE) wollen neue Methoden in der Schlaganfallforschung ohne Tierversuche etablieren: “Mini-brains“ aus dem Labor sollen Mausmodelle ersetzen.
Pro Jahr bis zu 20.000 Mäuse weniger
Im Rahmen des über drei Jahre laufenden Projekts dreht sich laut Aussagen der Forscher alles um 3D-Organoide im in vitro-Verfahren. Dabei werden Zellstrukturen im Labor hergestellt, die Organen ähneln und als Gewebe für Untersuchungen genutzt werden. Diese Methode ist an sich zwar nicht neu, aber: “Wir übertragen erstmals diese Methode auf die Schlaganfallforschung“, sagt Prof. Dr. Matthias Epple aus der Anorganischen Chemie.
Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin, Dr. Viktoriya Sokolova, dem Biologen Prof. Bernd Giebel (Institut für Transfusionsmedizin) und Mediziner Prof. Dirk M. Hermann (Lehrstuhl für vaskuläre Neurologie, Demenz und Altersforschung) vom Universitätsklinikum Essen, will Epple das Modell optimieren und validieren. So sollen Tierversuche, zumindest auf diesem Gebiet der Forschung, möglichst schnell überflüssig werden. “Wenn wir das schaffen, braucht die Forschung pro Jahr bis zu 20.000 Mäuse weniger “, schätzt Prof. Hermann.
Wirkstoffforschung mit “mini-brains”
Die drei Wissenschaftler haben das Projekt mit ihren Teams über Jahre vorbereitet. Jetzt werden im Labor drei bis sechs verschiedene Zelltypen kultiviert und dann an den “mini-brains“ die Tests durchgeführt, die bisher an Mäusen durchgeführt wurden. Welche Wirkstoffe passieren die Blut-Hirn-Schranke und wie ist deren Wirkung? Unter den getesteten Wirkstoffen sind auch extrazelluläre Vesikel und ultrakleine Nanopartikel mit verschiedener Größe und Ladung. “Diese Wirkstoffforschung ist ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung neuer Medikamente, sie wird uns bei der Entwicklung einer möglichen Schlaganfall-Therapie helfen“, erklärt Prof. Giebel.
Gefördert wird das Projekt vom Bundesforschungsministerium (BMBF) mit 750.000 Euro. Sollten die Wissenschaftler Erfolg haben, gibt es zum Projektabschuss eine Publikation, einen Workshop und einen YouTube-Kanal. So sollen die neuen Ansätze in der Schlaganfallforschung ohne Tiere bekannter gemacht werden.
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