Im Jahr 2010 wurde im Orbit um den jungen Hauptreihenstern HR 8799 im Sternbild Pegasus ein Exoplanet entdeckt, der die Bezeichnung HR 8799e bekam. Er ist 129 Lichtjahre von der Erde entfernt und Teil eines jungen Fünf-Körper-Systems. Dieses System besteht aus dem Stern HR 8799 und bislang vier nachgewiesenen Gasplaneten mit der 5- bis 10fachen Masse des Jupiter. Neun Jahre nach der Entdeckung ist es einer internationalen Forschergruppe nun gelungen, dank hochauflösender Bilder neue, teils überraschende, Details über HR 8799e zu erfahren.
Exoplaneten im Detail und ohne störende Einflüsse zu untersuchen ist schwierig, weiß man bei der ESO. Je größer die Entfernung, desto schwieriger wird es. HR 8799e ist ein „Super-Jupiter“ und derjenige der vier Planeten mit der geringsten Entfernung zum Stern. Dennoch ist er einer jener, vergleichsweise wenigen (rund 120 aus 4000) Exoplaneten, von denen es direkte Abbildungen gibt. Der größte Teil der Exoplaneten konnte bisher nur indirekt nachgewiesen werden.
„Gewöhnlich sind die Exoplaneten von uns gesehen sehr nah an den Muttersternen dran. Daher wird das Licht des Planeten – reflektiertes Sternlicht – meistens vom Licht des Sterns überstrahlt“, erklärt Dr. Markus Nielbock vom Haus der Astronomie in Heidelberg. „Die Sterne kann man daher normalerweise in den Beobachtungen von den Planeten nicht sauber trennen. Zumindest wird das Licht des Sterns von der Teleskopoptik in den meisten Fällen so ‚verschmiert‘, dass das vom Planeten stammende Licht dadurch ‚verunreinigt‘ ist.“
HR 8799e ist außerdem massereicher und mit nur 30 Millionen Jahren auch viel jünger als alle Planeten, die die Sonne umkreisen. Aufgrund dieses geringen Alters ist dieser Baby-Exoplanet jung genug, um Wissenschaftlern einen Einblick in die Entstehung von Planeten und Planetensystemen zu geben. „Wir wissen, dass sich Planeten in ihrer Jugend noch verändern. Bisher konnte man das allerdings nur aus theoretischen Modellen ableiten“, sagt Nielbock. „Wenn man aber nun diese jungen Planeten wirklich studieren kann, können wir diese Modelle überprüfen.“
Dabei sei die Zusammensetzung wichtig, betont er. „Vor allem, welche Eigenschaften die Planeten zu welchen Zeitpunkten haben. Wie lange nehmen sie noch Material auf? Es wäre z. B. interessant zu wissen, welche Bedingungen zu den Frühzeiten eines Planeten herrschen, bevor sich Leben entwickelt. Welche Gase besitzt die Atmosphäre? Gibt es schon Wasser oder kam es erst später? Dieser Super-Jupiter wird aber sicher kein Leben entwickeln. Die Messung macht uns aber Hoffnung auf zukünftige Beobachtungsprogramme, die erdähnliche Planeten untersuchen.“
Zu den jüngsten Entdeckungen von Exoplaneten, die mit ESO-Teleskopen gemacht wurden, gehören übrigens die Entdeckung einer Super-Erde im Orbit von Barnards Stern, dem nächsten Einzelstern zu unserer Sonne, im vergangenen Jahr und die Entdeckung junger Planeten mit ALMA, die einen neu entstandenen Stern umkreisen, die eine andere neuartige Technik zur Planetenerkennung einsetzte.
Überraschende Ergebnisse
Eine Forschergruppe unter der Leitung von Sylvestre Lacour vom Observatoire de Paris konnte nun dank einer neuen Untersuchungsmethode einige der Probleme umgehen. Mittels viel schärferer Bilder des Exoplaneten konnten die Wissenschaftler nicht nur die Entfernung des Sterns zum Planeten zehn Mal genauer als zuvor vermessen, auch das Spektrum des Planeten konnte so genau aufgenommen werden wie nie zuvor. Das neue Verfahren erlaubt es nämlich, das Licht des Planeten besonders trennscharf vom Licht des Sterns zu unterscheiden. Mit herkömmlichen Methoden konnte man bisher nur versuchen, das Licht des Zentralsterns mithilfe einer Maske abzublocken („Koronografie“).
Bei HR 8799e konnten die Wissenschaftler auch erkennen, dass seine Atmosphäre mit einer Temperatur von rund 1.000 °C noch ziemlich heiß und lebensfeindlich ist. Der Planet hatte für die Forscher aber eine große Überraschung parat: „Ausgehend von unserem eigenen Sonnensystem, würde man bei einem Gasplaneten mit dieser Temperatur große Mengen an Methan in der Atmosphäre erwarten“, sagt Dr. Silvia Scheithauer vom Max-Planck-Instuitut für Astronomie. „Überraschenderweise enthält die Atmosphäre von HR 8799e aber kaum Methan, aber dafür große Mengen an Kohlenmonoxid!“
Forschungsleiter Sylvestre Lacour erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Wir können dieses überraschende Ergebnis am besten erklären, wenn hohe vertikale Winde in der Atmosphäre verhindern, dass das Kohlenmonoxid mit Wasserstoff unter Bildung von Methan reagiert.“ Außerdem stellte das Team fest, dass die Atmosphäre auch Wolken aus Eisen- und Silikatstaub enthält. Aufgrund der Kombination mit dem Überschuss an Kohlendioxid geht man davon aus, dass die Atmosphäre von HR 8799e von einem gewaltigen und heftigen Sturm heimgesucht wird.
„Unsere Beobachtungen deuten auf eine Gaskugel hin, die von innen beleuchtet wird, wobei warme Lichtstrahlen durch stürmische Flecken dunkler Wolken laufen“, erläutert Lacour. „Die Konvektion bewegt sich um die Wolken aus Silikat- und Eisenpartikeln herum, die sich auflösen und ins Innere regnen. So entsteht ein Bild der dynamischen Atmosphäre eines Riesenexoplaneten bei der Geburt, der komplexe physikalische und chemische Prozesse durchläuft.“
Was ist Interferometrie?
Eine Schlüsselrolle spielte bei den neuen Erkenntnissen das GRAVITY-Instrument am Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen Südsternwarte am Paranal-Observatorium in Chile, das 2016 in Betrieb genommen wurde. GRAVITY kann mithilfe sogenannter Interferometrie das Licht der vier VLT-Teleskope der ESO zusammenschließen, d.h. ein einzelnes größeres Teleskop nachahmen, und zu einem gemeinsamen Bild kombinieren. Im Zusammenspiel der vier 8-Meter-Teleskope des VLT können Details sichtbar gemacht werden, wie sie ein Einzelteleskop nur mit rund 100 Metern Spiegeldurchmesser liefern könnte. Diese Technik bietet einzigartige Möglichkeiten, viele der heute bekannten Exoplaneten zu charakterisieren.
„Mit Gravity können wir dank der hohen Winkelauflösungsfähigkeit des Interferometers beide Objekte sauber trennen, so dass wir den Planeten einzeln untersuchen können“, sagt Nielbock. „Daher konnte man ein sehr klares Spektrum des Planeten gewinnen, das aus Sternlicht besteht, das durch die Atmosphäre des Planeten verändert wurde. Diese zusätzlichen, dem Spektrum aufgeprägten Informationen kann man nutzen, um Eigenschaften der Atmosphäre abzuleiten, z. B. ihre Zusammensetzung und ihre Dynamik.“
Die neuen Beobachtungen seien auch im Hinblick auf die zukünftige Suche nach den Spuren von Leben im Universum von Interesse, betonen die Forscher. Die Suchstrategien der Astronomen laufen darauf hinaus, im Spektrum der Atmosphäre eines Exoplaneten Spuren von Leben nachzuweisen. Die jetzt gelungene Beobachtung eröffnet eine Möglichkeit, derartige Spektren in Zukunft mit größerer Genauigkeit aufzunehmen.
Momentan planen die Astronomen langfristige Folgebeobachtungen mit GRAVITY, um eine so genaue Rekonstruktion der Bahn von HR 8799e ermöglichen, dass dann (erstmals in einem räumlich aufgelösten Exoplanetensystem!) „nicht nur der Gravitationseinfluss des Zentralsterns, sondern auch die gegenseitige Anziehung der Gasplaneten messbar wird.“ Aktuellen Schätzungen zufolge dauert ein Umlauf von HR 8799e um seinen Stern zwischen 40 und 50 Jahre.
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden in GRAVITY Collaboration, S. Lacour et al. 2019, „First direct detection of an exoplanet by optical interferometry“ in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht.
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