Eines ist vom Tag unserer Geburt an sicher und für alle Menschen gleich: Der biologische Prozess der Alterung beginnt und schreitet mit jedem Tag ein bisschen weiter fort. Je älter wir werden, desto mehr krankhafte Veränderungen kommen hinzu. Die reichen von Herzschwäche über den Verlust von Nervenzellen bis zu einer verminderten Stoffwechselaktivität. Und dieser Prozess ist nicht umkehrbar.
Ein Grund für diese altersbedingten Veränderungen ist, dass bestimmte zelluläre Reinigungsprozesse nicht mehr so gut funktionieren wie in jungen Jahren. Diese sogenannte Autophagie ist eine Art Recyclingsystem, das überflüssige oder beschädigte Bestandteile der Zelle abbaut und wiederverwertet. So werden die Zellen fit gehalten und vor vielen Krankheiten geschützt. Leider gerät die Autophagie im Laufe der Jahre und mit zunehmendem Alter aber ins Stocken.
Eine Forschungsgruppe aus Neurophysiologen, Nuklearmedizinern und Molekularbiologen um Professor Dr. Evgeni Ponimaskin vom Institut für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat nun einen Weg gefunden, die Autophagie wieder in Schwung zu bringen. Die körpereigene Substanz Spermidin kann geradezu einen Anti-Aging Effekt bewirken.
Mäuse mit weniger Organschäden und Haarverlust
Spermidin kommt in jeder Zelle des Körpers vor, die Konzentration nimmt im Alter aber ab. “In unserer Studie haben wir untersucht, wie sich eine längere Spermidin-Gabe auf häufig vom Alter betroffene Organe auswirkt und auf welchem Wege das geschieht“, erklärt Professor Ponimaskin. Die Wissenschaftler haben gealterten Mäusen sechs Monate lang Spermidin über das Trinkwasser zugeführt. Das Ergebnis war, dass diese Mäuse im Vergleich zu nicht-behandelten, altersgleichen Tieren deutliche Anti-Aging-Effekte zeigten. “Die Spermidin-Zufuhr hat dafür gesorgt, dass die Tiere weniger Nieren- und Leberschäden und eine bessere leistungssteigernde Glukoseversorgung im Gehirn entwickelten“, erklärt der Studienleiter. Auch der altersbedingte Haarverlust sei deutlich geringer ausgefallen als bei der Kontrollgruppe. Dank der Spermidinversorgung hätten sich kaum kahle Stellen auf dem Rücken gezeigt, die für ältere Mäuse typisch sind.
Schutz vor Abbau der Chromosomenenden
Besonders beeindruckt waren die Forscher vom herzschützenden Effekt von Spermidin. Sie stellten fest, dass die kardio-protektive Wirkung des Spermidins mit einer geringeren Verkürzung der Telomervere im Herzgewebe zusammenhängt. Telomere schützen die Enden der Chromosomen in unseren Körperzellen vor Abbau. Chromosomen sind Träger unserer genetischen Information. Bei jeder Zellteilung verkürzen sich ihre Enden ein Stück. Wenn sich Zellen nicht mehr teilen, wie hier etwa den Herzmuskelzellen, werden die Telomere weiter verkürzt. Irgendwann sind sie dann so kurz, dass der sogenannte programmierte Zelltod einsetzt. “Die Telomere waren bei den Spermidin-supplementierten Mäusen ähnlich lang wie bei jungen Tieren“, sagt Professor Ponimaskin. Diese Erkenntnisse könnten langfristig auch Auswirkungen auf den Schutz vor altersbedingten Krankheiten bei Menschen haben. Die Alterungsprozesse in den Zellen von Mäusen laufen nämlich ähnlich wie in unseren Körperzellen ab und so könnte eine Spermidin-Zufuhr als Nahrungsergänzung auch uns vor vielen altersbedingten Krankheiten schützen.
Was ist Spermidin?
Spermidin ist eine endogene, natürliche Substanz und wurde erstmals in der männlichen Samenflüssigkeit entdeckt. Daher auch der Name Spermidin. Mittlerweile weiß man jedoch, dass es in allen Körperzellen existiert und auch bestimmte Darmbakterien diesen Stoff bilden können. Allerdings muss der Hauptanteil über die Nahrung aufgenommen werden, beispielsweise über Weizenkeime, Käse, Sojaprodukte und Hülsenfrüchte. Die Substanz aktiviert in unseren Zellen die Autophagie, wodurch eingedrungene Krankheitserreger, fehlerhafte Proteine oder nicht mehr funktionstüchtige Zellbestandteile abgebaut werden.
Die Studie wurde in Kooperation mit der Universität Graz in der Fachzeitschrift GeroScience veröffentlicht. “Novel aspects of age-protection by spermidine supplementation are associated with preserved telomere length”
Titelbild: Professor Dr. Evgeni Ponimaskin (links) und Dr. Alexander Wirth. Auf dem Monitor ist oben eine gealterte Maus ohne Spermidinzufuhr zu sehen und unten eine altersgleiche mit Spermidin-Zufütterung, Copyright: Karin Kaiser / MHH.