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Frühestens nächstes Jahr sollte ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 zur Verfügung stehen, heißt es Medizinerkreisen. Und das auch nur, wenn alles optimal läuft, denn normalerweise dauert es vom Beginn der Entwicklung bis zur Zulassung eines Impfstoffs bis zu 15 Jahren. Ein großes Problem bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe ist die Auswahl sämtlicher zur Verfügung stehender Stoffe, bis man die geeigneten identifizieren konnte. Deshalb ist dieser Prozess auch so langwierig und kann außerdem Milliarden Euro kosten.

Einem internationalen Forscherteam der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin ist es nun gelungen, eine Plattform zu entwickeln, die Milliarden potenzieller Wirkstoffe in kürzester Zeit untersuchen kann. Jetzt haben die Wissenschaftler damit begonnen, mithilfe dieser Plattform nach möglichen Wirkstoffen zu suchen, durch die die Coronavirus-Proteine blockiert werden könnten.

Im Allgemeinen wird in der medizinischen Wirkstoffforschung nach einer Art Schlüssel-Schloss-Prinzip gearbeitet. Die sogenannten kleinen Moleküle (Schlüssel) passen in eine bestimmte Bindungsstelle (Schloss) des krankmachenden Proteins und schalten es so aus. Das Problem bei diesem Prinzip ist allerdings, dass es potentiell eine riesige Anzahl an mehr oder weniger gut passenden Schlüsseln (kleinen Molekülen) gibt, die Grundlage für einen neuen medizinischen Wirkstoff sein könnten und daher im Prinzip alle getestet werden müssen. Mithilfe von Computersimulationen können diese aufwändigen Laborexperimente jedoch ersetzt und vor allem entscheidend beschleunigt werden.

Computersimulation anstatt Laborexperimente

„In einer Computersimulation können wir die Fähigkeit eines kleinen Moleküls, an ein krankmachendes Protein zu binden – auch ‚docken‘ genannt – testen“, erläutert Christoph Gorgulla. Er promovierte an der FU Berlin und auf seiner Promotion beruhen die wesentlichen Ergebnisse der Veröffentlichung, die in der Fachzeitschrift Nature publiziert wurde. „Macht man dies mit vielen kleinen Molekülen, nennen wir das virtuelles Screening. Diesen Ansatz gibt es bereits, allerdings konnte bisher routinemäßig nur eine relativ geringe Zahl von kleinen Molekülen in solchen virtuellen Screenings getestet werden.“

Deshalb habe man nach einer Möglichkeit gesucht, deutlich mehr kleine Moleküle virtuell zu screenen als bisher. „Uns interessierte dabei nicht nur die klassische Unterscheidung ‚passt‘ oder ‚passt nicht‘, sondern ‚passt besser‘ und ‚passt schlechter‘. Denn diese sogenannte Bindungsstärke ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Wirkstoffen“, betont Gorgulla.

Das Team erstellte daher eine der größten Molekülbibliotheken der Welt mit Docking-Molekülen, indem es die dreidimensionale Geometrie von mehr als 1,4 Milliarden kleinen Molekülen berechnete und in der Datenbank festhielt, die von Forscher rund um die Welt genutzt werden können. Darüber hinaus entwickelte das Forschungsteam auch die Plattform „Virtual Flow“. Sie ermöglicht es, in kurzer Zeit Milliarden kleiner Molekülen parallel durch Computersimulationen auf ihre Bindungsfähigkeit an ein bestimmtes Protein zu testen.

Supercomputer

„Anstatt auf einem gewöhnlichen Computer läuft ‚VirtualFlow‘ auf Supercomputern, welche viele Tausend Prozessoren enthalten. Es funktioniert auch auf Clouds“, so Dr. Konstantin Fackeldey, Privat-Dozent am Institut für Mathematik der TU Berlin. „Getestet haben wir ‚VirtualFlow‘ zum Beispiel auf der Cloud-Plattform von Google mit bis zu 160.000 Prozessoren.“

„Virtual Flow“ berücksichtige sogar eine zusätzliche Komplexität, sagen die Wissenschaftler: „Proteine sind beweglich, so dass sich die spezifische, dreidimensionale Bindungsstelle der kleinen Moleküle an einem Protein unter bestimmten Bedingungen auch verändern kann.“ Diese potenzielle Beweglichkeit der Bindungsstellen werde in der mathematischen Simulation berücksichtigt.

Unterstützung bekommen die Berliner Forscher von Google. Das Unternehmen hat ihnen bereits zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, um seine Cloud-Computing-Plattform zu nutzen und damit nach möglichen Kandidaten für Wirkstoffe gegen das Coronavirus zu suchen. „Obwohl virtuelle Screenings sehr schnell sein können, erwarten wir nicht, dass dieser Ansatz kurzfristig zu einem zugelassenen Wirkstoff führt”, betont Konstantin Fackeldey. „Aber diese Screenings können die Suche nach potenziellen Wirkstoffen deutlich besser leiten. Letztlich sind für die Zulassung eines Medikamentes aber immer Laborexperimente und klinische Studien notwendig, welche relativ zeitaufwändig sind. „VirtualFlow“ steht als freie Open-Source Plattform allen Wissenschaftlern weltweit zur Verfügung.