Der Chemiker Wolfgang Kroutil forscht an Verfahren zur einfachen und günstigen Herstellung von Medikamenten. Dabei nutzt er eine Form der Biokatalyse, die zudem umweltfreundlich ist.
Hohe Kosten von Medikamenten machen Therapien oft unbezahlbar. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Ärmsten in der Gesellschaft. Hinter den hohen Kosten stecken aufwändige Produktionsverfahren. „Im Schnitt sind zwischen fünf und fünfzehn Schritte notwendig, um ein Medikament zu produzieren“, erklärt Kroutil, der am Institut für Chemie an der Universität Graz forscht. Für die Pharmaindustrie bedeutet dies einen hohen Energie-Einsatz und teure Verfahren. Die relevanten Kostenfaktoren in den herkömmlichen Verfahren der organischen Chemie nennt Kroutil folgend:
- Die Entstehung von umweltschädlichen Abfällen, die aufwändig und kostenintensiv zu entsorgen sind;
- Chemische Reaktionen, die Temperaturen von bis zu minus neunzig Grad benötigen und nur durch teure Kühlungsprozesse und chemische Lösungsmittel herbeizuführen sind;
Optimierung chemischer Reaktionen
Die Biokatalyse ist ein relativ junger Ansatz in der organischen Chemie, die es ermöglicht, chemische Reaktionen sauberer und energie-effizienter zu gestalten. In Graz ist der Forschungszweig seit den 1990er-Jahren etabliert. Auch Kroutil forscht schon seit vielen Jahren an der Biokatalyse – im Hinblick auf eine Nutzbarmachung in der Medizin. Ein Medikament, an dessen Forschung und Entwicklung er mitwirkte, war Sitagliptin, das seit 2005 erfolgreich in der Behandlung von Diabetes Mellitus Typ II eingesetzt wird. Wie Kroutil erklärt, ist es in der Pharmaindustrie eher unüblich, eingeführte Prozesse durch neue zu ersetzen. Der Ersatz von chemischen Reaktionen durch die Biokatalyse bei Sitagliptin, ließ die Industrie allerdings aufhorchen und führte zu einem Umdenken.
Ganzheitlicher Ansatz
Die Biokatalyse bietet verschiedene Möglichkeiten, Moleküle zu verändern und neue Methoden zu entwickeln – Möglichkeiten, welche die Industrie seither nutzt, um verschiedene chemische Reaktionen neu zu definieren. Bis dato ist der Einsatz der Biokatalyse aber noch mit der stückhaften Renovierung eines Hauses vergleichbar. Kroutil: „Bei Sitagliptin ging es um die Animation von Ketonen. Das ist mit der Erneuerung eines Fensters zu vergleichen. Mittlerweile kann man auch andere Elemente, wie Türen und Dach ersetzen. Wir arbeiten aber daran, das Haus von Grund auf neu zu bauen.“ Der Forscher und sein Team suchen nach einer Methode, die Struktur von organischen Molekülen durch den Einsatz von Enzymen neu zu gestalten.
Vorbild Natur
Die Biokatalyse reduziert den Einsatz von Chemikalien und vereinfacht und beschleunigt die Herstellung von Medikamenten enorm. Kroutil berichtet von einem Pharma-Unternehmen, das es schaffte, die Produktionsschritte von fünfzehn chemischen Reaktionen auf drei Biokatalysen zu reduzieren. Weiters entfallen teure Kühlprozesse und chemische Lösungsmittel aus herkömmlichen Produktionsverfahren. Die Forschenden orientieren sich an der Natur, wo Katalysatoren keine Minusgrade brauchen, sondern bei Temperaturen von zwanzig bis vierzig Grad funktionieren. Anders als Katalysatoren in der organischen Chemie bisher, sind Katalysatoren in der Natur auf eine Substanz fokussiert und setzen ausschließlich diese zu einem bestimmten Produkt um.
Enzyme aus nachwachsenden Rohstoffen
Im Verfahren der Biokatalyse übernehmen Enzyme aus der Natur komplexe chemische Reaktionen – und wirken beschleunigend. Die Mikroorganismen, die dazu notwendig sind, werden aus nachwachsenden Proteinen hergestellt. Im Unterschied zu Abfallstoffen aus herkömmlichen Produktionsprozessen sind die Abfallstoffe der Biokatalyse an Tiere verfütterbar oder biologisch abbaubar. Sitagliptin wird jährlich in Tonnen produziert und die wegfallende Entsorgung der Abfallstoffe wirkt sich spürbar auf die Ökobilanz des Unternehmens aus – und auf die Ertragslage.
Umweltfreundlich und günstig
Die Umweltfreundlichkeit ist ein positiver Nebeneffekt, den die Biokatalyse in der Produktion von Medikamenten generiert. Ein weiterer ist die Tatsache, dass die Medikamente günstiger am Markt angeboten werden können. Um vielleicht das Ungleichgewicht der medizinischen Versorgung in den Entwicklungsländern auszugleichen, wie der Forscher anmerkt.
Bis die Technologie industriefähig ist, werden allerdings noch ein paar Jahre vergehen. Der Forschungsaufwand ist enorm. Kroutil vergleicht die Enzyme, die er verwendet, mit einem komplexen Wollknäuel, das die Herstellung von Biokatalysatoren noch aufwändig gestaltet. Eine schnelle und effiziente Herstellung ist jedoch Voraussetzung für den Einsatz der ganzheitlichen Technologie.
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