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Ein Enzym ist laut Wikipedia ein „ein Stoff, der aus biologischen Riesenmolekülen besteht und als Katalysator eine chemische Reaktion beschleunigen kann.“ So ein Enzym bei der Arbeit zu beobachten ist in der Wissenschaft aber nur ein Traum, da alleine die Struktur des Moleküls schon schwer zu erkennen ist. Und wenn das überhaupt gelingt, ist es meist nur als „Standbild“ zu sehen. Wie es sich bewegt, d.h. welche Teile sich aufeinander zu und welche sich voneinander wegbewegen, ist nicht zu erkennen.

Wissenschaftler der Universität Bonn haben nun aber eine Methode entwickelt, mit der sie ein Enzym gewissermaßen bei der Arbeit zumindest „fotografieren“ und dadurch auch die Funktionsweise wichtiger Biomoleküle besser verstehen können. Durch dieses Verständnis hoffen die Forscher, die Ursachen bestimmter Enzymstörungen ebenfalls besser verstehen zu können.

„Enzyme katalysieren in den Zellen bestimmte chemische Reaktionen“, erklären die Forscher. Das sei vergleichbar mit einer Schere, die Papier zerschneidet. Katalytische Zentren dienen hierbei als Klingen, die mit dem Ausgangsstoff, also dem Papier in Kontakt treten. „Während dieses Vorgangs ändert sich in der Regel die dreidimensionale Form des Enzyms“, sagt Prof. Dr. Olav Schiemann vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. „Im Normalfall lassen sich diese Konformationsänderungen nicht oder nur mit großem Aufwand sichtbar machen. Das macht es oft schwierig, den Katalyse-Mechanismus nachzuvollziehen.“

Enzym
Das Fe3+-Ion im katalytischen Zentrum verhält sich wie ein Magnet: Ändert er seine Polung, ruft das bei dem ebenfalls magnetischen Marker ein Echo hervor, aus dem sich der Abstand errechnen lässt. © AG Schiemann/Uni Bonn

Ausgeflippte Ionen

Schiemanns und seinen Kollegen konnten im Laufe ihrer jahrelangen Forschungen jedoch eine Methode zu entwickeln, „mit der die Bewegungen von Teilen des Proteins gegeneinander im Laufe der Katalyse gemessen werden können.“ In ihrer aktuellen Studie, in der Zeitschrift „Chemistry – A European Journal“ veröffentlicht wurde, haben sie eine Gruppe von Enzymen untersucht, die in ihren katalytischen Zentren Metallionen mit zahlreichen ungepaarten Elektronen tragen. Eines dieser besonders wichtigen Enzyme ist Hämoglobin. Dieses Enzym bindet mit Hilfe eines Eisen-Ions Sauerstoff und kann ihn so mit dem Blut transportieren.

„Unsere gängigen Methoden sind für derartige Hochspin-Ionen ungeeignet“, erklärt Schiemanns Mitarbeiter Dr. Dinar Abdullin. „Wir haben daher ein neues Verfahren entwickelt, die Theorie dazu ausgearbeitet und mit Erfolg getestet.“ Dazu nutzten die Wissenschaftler die Tatsache, dass Hochspin-Ionen sich wie kleine Elektromagnete verhalten und ihre Polung zufällig ändern können: Sie „flippen“ und der Nordpol wird zum Süd- und der Süd- zum Nordpol.

Das sich dieses Phänomen die Abstandsmessung nutzen lässt, verknüpfen die Wissenschaftler das Enzym mit bestimmten chemischen Verbindungen, die ebenfalls elektromagnetische Eigenschaften haben. „Wenn die Hochspin-Ionen flippen, reagieren diese kleinen Elektromagnete auf das veränderte Magnetfeld in ihrer Umgebung, indem sie ebenfalls ihre Polung ändern“, erklärt Abdullin. Wann und wie sie das machen, hinge unter anderem von der Entfernung zum Hochspin-Ion ab. Dadurch ließe sich dann auch die Distanz zwischen den beiden genau bestimmen.

Enzym
Prof. Dr. Olav Schiemann (links) und Dr. Dinar Abdullin an der Messapparatur im Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. ©PD Dr. Gregor Hagelueken/Uni Bonn

Molekulares GPS

Durch die Anbindung mehrerer Magnetgruppen an ein Enzym, erhält man sowohl den Abstand jeder dieser Gruppen zum Hochspin-Ion als auch den Abstand zum katalytischen Zentrum. „Durch Kombination dieser Werte können wir, wie mit einem molekularen GPS, die räumliche Position dieses Zentrums messen“, erklärt Schiemann. „Wir können so zum Beispiel feststellen, wie sich seine Lage im Verlauf der Katalyse relativ zu den anderen Magnetgruppen ändert.“

Wirklich bei der Arbeit zusehen können die Wissenschaftler einem Enzym aber noch immer nicht. „Momentan arbeiten wir noch mit tiefgekühlten Zellen“, sagt der Chemiker. „Diese enthalten zahlreiche Enzyme, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der katalytischen Reaktion eingefroren wurden. Wir erhalten also keinen Film, sondern eine Reihe von Standbildern.“ Das sei etwa so, als würde man die Schere aus dem Eingangsbeispiel zu zahllosen verschiedenen Momenten während des Schnittvorgangs fotografieren.

„Wir arbeiten aber schon an der nächsten Verbesserung. Der räumlichen Vermessung von Biomolekülen in Zellen und bei Raumtemperatur“, betont Schiemann. Längerfristig hoffen die Forscher dadurch auch Einblicke in die Entstehung bestimmter Erkrankungen zu bekommen, die durch Funktionsstörungen von Enzymen ausgelöst werden. An der Studie waren neben Dr. Maxim Yulikov von der ETH Zürich von Seiten der Universität Bonn auch die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Stefan Grimme (ebenfalls Institut für Physikalische und Theoretische Chemie) sowie von Prof. Dr. Arne Lützen (Kekulé-Institut) beteiligt.

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