Die Gletscherschmelze schreitet rasant fort. Heute taut das Eis in Grönland siebenmal schneller als in den 1990er-Jahren und dieses Tempo wird aufgrund des Klimawandels noch weiter zunehmen. Als Folge wird der Meeresspiegel dann entsprechend schneller steigen. Deshalb arbeiten Wissenschaftler daran, die Mechanismen besser zu verstehen, die diese Eisschmelze verursachen. Und diese Schmelze findet mittlerweile nicht nur an der Oberfläche statt, wo die Sonne und immer wärmere Temperaturen dafür sorgen, dass das Eis taut.
Das Eis schmilzt auch von unten, unter Wasser. Im Nordosten Grönlands, rutscht Eis von der grönländischen Landmasse ins Meer und bildet sogenannte Gletscherzungen. Diese schwimmen auf dem Wasser ohne vom Land abzubrechen. Die längste dieser Gletscherzungen, der sogenannte „79°-Nord-Gletscher“ ist mehr als 80 Kilometer lang und ist in den vergangenen 20 Jahren dramatisch dünner geworden, weil er – wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt – zugleich an der Ober- als auch an der Unterseite schmilzt.
Warmwasserstrom
Den Grund für diese starke Schmelze an der Unterseite hat ein Team von Wissenschaftlern um die Ozeanographin Dr. Janin Schaffer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven jetzt herausgefunden und dabei auch entdeckt, dass dieses Schmelzphänomen offenbar nicht nur auf den „79°-Nord-Gletscher“ beschränkt ist.
Die Forscher haben für ihre Studie von einem Schiff aus zum ersten Mal den Meeresboden in der Nähe des „79°-Nord-Gletscher“ genauer vermessen. Es stellte sich heraus, dass sich am Meeresboden ein zwei Kilometer breiter, bisher unbekannter Graben befindet, der wie ein Kanal relativ warmes Wasser aus dem Atlantik zum Gletscher leitet. Janin Schaffer entdeckte bei einer genaueren Analyse außerdem eine Schwelle, die wie eine Barriere wirkt, die das Wasser, das am Meeresboden heranströmt, überwinden muss. Hat es diese einmal hinter sich, rauscht das Wasser auf der Rückseite der Schwelle direkt unter die Gletscherzunge. Das führt dazu, dass sehr viel Wärme aus dem Ozean unter der Gletscherzunge vorbeiströmt und das Gletschereis so von unten auftaut.
Beunruhigend sei auch, dass die warme Wasserschicht, die in der Tiefe in Richtung Gletscher strömt, mächtiger geworden sei, betonen die Forscher. Diese Wasserschicht reicht vom Meeresboden aus gemessen heute 15 Meter höher als noch vor wenigen Jahren. „Damit ist die Ursache für die zunehmende Schmelze jetzt klar“, sagt Janin Schaffer. „Weil der warme Wasserstrom jetzt größer ist, gelangt pro Sekunde deutlich mehr Wärme als früher unter die Gletscherzunge.“
„79°-Nord-Gletscher“ nicht das einzige betroffene Gebiet
Das Team untersuchte im Rahmen der Studie auch eine benachbarte Region an der Ostküste Grönlands, den Zachariæ Isstrøm, der sich ebenfalls ins Meer schiebt und von dem erst kürzlich eine riesige Gletscherzunge vom Festland abgebrochen ist. Die Wissenschaftler maßen die Wassertemperaturen in der Tiefe von einer Eisscholle aus und fanden ihren Verdacht bestätigt. Das Phänomen ist nicht nur auf den „79°-Nord-Gletscher“ beschränkt.
„Die Werte deuten darauf hin, dass auch hier eine Bodenschwelle dazu führt, dass warmes Wasser in der Tiefe Richtung Gletscher saust“, sagt Janin Schaffer. „Die intensive Schmelze an der Gletscherunterseite wird offenbar an mehreren Stellen Grönlands stark durch die Form des Meeresbodens bestimmt.“ Die Ergebnisse der Studie helfen der Forscherin dabei, die Gesamtmenge an Schmelzwasser künftig besser zu bestimmen, die von Grönlands Eispanzer jedes Jahr abtaut.
Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin Nature Geoscience veröffentlicht.
Titelbild: Die POLARSTERN vor einem Teil der Gletscherzunge die weit ins Land hinein reicht und auf 80 km Länge auf dem Ozean schwimmt. Im Sommer 2016 war die POLARSTERN das erste Schiff, das je bis zur Gletscherkante des 79 Nord Gletscher in Nordost Grönland fuhr. Der Wind hatte alles Meereis weggedrückt und somit war die sonst eisbedeckte Region für eine Woche komplett eisfrei. Dies ermöglichte es, den Ozean und den Boden genau zu vermessen. (Foto: Nat Wilson, Alfred-Wegener-Institut)
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