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Zu Beginn des Corona-Lockdowns konnte man größtenteils den Eindruck gewinnen, die Krise würde wirklich das Schlimmste im Menschen hervorbringen. Egoismus regierte die (Einkaufs)welt. Da kümmerte es nicht, wenn andere wochenlang vor leer geräumten Regalen standen, in denen mittlerweile wieder das Toilettenpapier, Nudeln, Seife oder Desinfektionsmittel zu Hauf zu finden sind. Hauptsache, im eigenen Keller türmten sich Vorräte für ein Jahr.

Auf der anderen Seite brachte diese Krise aber auch das Beste in vielen Menschen hervor. Man kaufte für alte und gefährdete Nachbarn ein, die man kaum kannte und rief Verwandte und Bekannte an, mit denen man schon ewig nicht mehr gesprochen hatte. Und wir spendeten Geld und Dinge für Menschen in Not. „Die Corona-Krise hat uns verstärkt vor Augen geführt, dass wir alle miteinander verbunden sind und unser Verhalten nicht ohne Wirkung für andere bleibt“, sagt Philippe Tobler, Neuroökonom an der Universität Zürich (UZH). „Wir sind auf die Menschen um uns herum angewiesen und sie auf uns.“

Geben macht glücklicher als Nehmen

Tobler beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was in unserem Gehirn vorgeht, wenn wir uns großzügig und spendabel zeigen, obwohl das an unseren eigenen Geldbeutel geht. Wissenschaftlich gibt es verschiedene Gründe, wieso wir „Gutes tun“. Entweder aus freundschaftlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen heraus. Oder, weil wir hoffen, dass der Andere sich revanchiert und wir „etwas zurückbekommen“. Vielleicht wollen wir auch vor Anderen „gut dastehen“ oder sind um unseren guten Ruf besorgt. Tobler hat aber eine weitere Erklärung: Großzügigkeit mache glücklich, sagt der Professor für Neuroökonomie und Soziale Neurowissenschaften am Volkswirtschaftlichen Institut. „Wir unterschätzen, dass eine Gabe an andere uns oft zufriedener macht, als sich eigennützig zu verhalten.“

In einem Experiment untersuchte Tobler mit der Psychologin Soyoung Park und einer Gruppe weiterer Forscher den Zusammenhang von Großzügigkeit und Glück auf neuronaler Ebene. Dazu informierten sie fünfzig Probandinnen und Probanden, dass sie in den kommenden vier Wochen insgesamt je einhundert Schweizer Franken erhalten würden. Jeweils 25 Personen sollten das Geld dann für andere Menschen ausgeben, die andere Gruppe für sich selbst. Später musste alle 50 in einer davon unabhängigen Aufgabe entscheiden, wie viel Geld sie freiwillig für jemand anders aufwenden würden. Währenddessen wurde ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnet¬resonanztomografie gemessen.

Überraschendes Ergebnis

Zur Überraschung der Wissenschaftler zeigte sich, dass sich die 25 Probanden, die sich verpflichtet hatten, die 100 Franken für andere auszugeben, in der unabhängigen Aufgabe großzügiger verhielten und als glücklicher einschätzen als die Kontrollgruppe. Das wohlige Gefühl, das Ökonomen „warm glow“ nennen, hat jedoch offenbar nichts mit dem Wert des Geschenks zu tun, sondern alleine mit dem Geben an sich. Die Ergebnisse zeigten, dass Großzügigkeit eine veränderbare und manipulierbare Größe ist. Sie könne „Schoggistängeli um Schoggistängeli“ erlernt und geübt werden.

Wie großzügig wir sind, hänge von ganz verschiedenen Faktoren ab, betonen die Forscher. Verschiedene Studien würden zeigen, dass Arme im Verhältnis großzügiger seien als Reiche, weil sie sich besser in die Notlage anderer Menschen hineinversetzen könnten. Andere Studien kamen jedoch zu dem Schluss, dass Arme und Reiche mehr spenden als Menschen mit Durchschnittseinkommen. Zudem seien ältere sind in der Regel großzügiger als junge. „Dies mag aber auch damit zusammenhängen, dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit über mehr Geld verfügen.“

Frauen sind großzügiger als Männer

Den Grund, wieso Frauen im allgemeinen spendabler sind als Männer, sehen Tobler und seine Kollegen darin, dass das neuronale Belohnungssystem, (in dem der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird) von Frauen sensibler auf prosoziales Verhalten wie etwa Spenden reagiere als das von Männern. Großzügigkeit wirke in weiblichen Gehirnen also in der Regel stärker belohnend als in männlichen. „Die Verabreichung eines Dopaminhemmers führt entsprechend dazu, dass die Großzügigkeit bei den Frauen abnimmt, nicht aber bei den Männern.“ In einem anderen Experiment zeigte sich, dass die Vergabe von Testosteron dazu führte, dass sich Männer egoistischer verhielten. „Allerdings hauptsächlich gegenüber Menschen, die ihnen nicht nahestehen.“

Man könne jedoch nicht generell sagen, dass Frauen großzügiger seien als Männer, betont Tobler. Mädchen erhielten oft von klein auf deutlich mehr positive Rückmeldung als Jungen,wenn sie sich altruistisch verhielten und auf andere Rücksicht nähmen. „Großzügigkeit ist ein Verhalten, für das sie belohnt werden – und Dopamin spielt eine entscheidende Rolle darin, bestimmte Handlungen zu stärken und zu bewerten.“ Auf der anderen Seite seinen auch nicht alle Männer Egoisten. „Männer begeben sich zum Beispiel eher für andere in Gefahr als Frauen.“ Zudem sei Egoismus manchmal auch nicht schlecht, zitiert Tobler aus der Fachliteratur den Fall eines Mannes, dessen Großzügigkeit nach einem Hirnschlag keine Grenzen mehr kannte: „Zum Leidwesen seiner Frau verschenkte er in kürzester Zeit ihr ganzes Hab und Gut.“

So zeigt sich Großzügigkeit im Gehirn

Wenn wir großzügig sind, sei im Gehirn insbesondere der Schläfen-Scheitellappen-Übergang aktiv, erklären die Wissenschaftler. Dann können wir uns in die Situation anderer versetzen und über den eigenen Tellerrand hinaussehen. Der Schläfen-Scheitellappen-Übergang kommuniziere bei großzügigeren Menschen zudem intensiver mit dem Striatum als bei eher geizigen Menschen. Das Striatum ist Teil des Belohnungssystems im Gehirn und hat einen wichtigen Anteil in unserem Glücksempfinden. „Je intensiver die beiden Gehirnstrukturen miteinander in Verbindung stehen, desto großzügiger – und zufriedener – sind wir mit entsprechenden Entscheidungen.“

Wieso gibt dann aber der Eine lieber für andere und der Andere belohnt sich lieber selbst? „Wenn großzügige Menschen anderen etwas geben, bearbeiten bestimmte Teile ihres Belohnungssystems diese Handlung ganz ähnlich wie eine Belohnung für sie selbst“, wissen die Forscher. Bei Geizhälsen regiert das Belohnungssystem wiederum deutlich stärker auf eine Belohnung für sie selbst.