In den vergangenen Monaten – oder sogar Jahren – gab es wenig Positives von der Autoindustrie zu hören. Manipulierte Software, Strafen in Milliardenhöhe, Dieselskandal und Fahrverbote etc. Ein Hersteller, der dabei (unfreiwillig) besonders im Rampenlicht stand, war Volkswagen.
Nun könnten die Wolfsburger aber wieder für positive Schlagzeilen sorgen. Der Konzern hat im Rahmen seiner Arbeit auf einem Quantencomputer nämlich ein Programm entwickelt, das überfüllte U-Bahnen und Busse ebenso wie ewig lange Wartezeiten an den Haltestellen der Vergangenheit angehören lassen könnte.
„Volkswagen engagiert sich seit mehreren Jahren sehr umfänglich in der angewandten Forschung auf und mit Quantencomputern. Ein Team aus IT-Experten an zwei Volkswagen-Standorten in San Francisco und München treibt diese Arbeit voran“, berichtet ein Unternehmenssprecher. Die Idee für das Programm kam auch von Volkswagen, erklärt er. „Wir erproben kontinuierlich neue Ideen und experimentelle Projekte, um zu lernen, das enorme Rechenpotenzial eines Quantencomputers unternehmerisch sinnvoll zu nutzen. Ein weiteres Projekt ist beispielsweise die Materialsimulation für leistungsfähige E-Fahrzeug-Batterien.“
Quantencomputer können hochkomplexe Aufgaben wie die Verkehrsoptimierung nämlich weitaus schneller lösen als herkömmliche Super-Rechner, oder besser gesagt, sie ermöglichen überhaupt erst eine Lösung. Die Spezialisten haben ein Programm zur Verkehrssteuerung entwickelt, das „Prognosen des urbanen Verkehrsaufkommens durch präzise Berechnungen ersetzt“.
„Im Fokus sind unterschiedliche Projektschwerpunkte, zu denen auch die Lösung sogenannter Optimierungsprobleme zählt“, so der Sprecher. „Vereinfacht geht es dabei um die Frage, wie eine Ressource wie Zeit, Geld oder Energie optimal in einem bestimmten Szenario genutzt werden kann. Die Verkehrsoptimierung ist ein Optimierungsproblem mit Lebensnähe und hohem Allgemeinnutzen – niemand steht gerne im Stau oder wartet lange auf ein Taxi. Und es steht in enger Verbindung zu unserer Kernkompetenz: Mobilität.“
Der Volkswagen Konzern sieht in dieser IT-Zukunftstechnologie großes Potenzial für neue Anwendungen im Unternehmen und neue Geschäftsmodelle. „Volkswagen treibt die anwendungsnahe Forschung auf Quantencomputern voran und sichert sich damit wichtiges Spezialwissen‘‘, sagt Florian Neukart, Principal Scientist im CODE Lab von Volkswagen in San Francisco. „Wir wollen ein umfassendes Verständnis für unternehmerisch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie erwerben. Die Verkehrsoptimierung zählt mit dazu: Verkehrsbetriebe und Taxiunternehmen in Großstädten haben ein großes Interesse an einer effizienten Steuerung ihrer Flotte. Unser Verkehrsleitsystem könnte sie in Zukunft dabei unterstützen.‘‘
Quanten-Algorithmus erlaubt präzise Berechnungen
Für das neu entwickelte Verkehrsleitsystem nutzen die Volkswagen-Experten anonymisierte Bewegungsdaten, zum Beispiel von Smartphones oder Transmittern im Fahrzeug, um auf herkömmlichen Rechnern das Personenaufkommen zu ermitteln und so festzustellen, wo es zu Engpässen kommen könnte oder andererseits zu einer geringeren Auslastung der Verkehrsmittel. Den zweiten Schritt – die Optimierung – übernimmt der Quanten-Algorithmus, für den die Experten verschiedene Optionen vorsehen.
Möglich wäre es beispielsweise, die exakte Zahl an Fahrzeugen vorausschauend verschiedenen Zielorten (sogenannte „Demand Spots‘‘) zuzuteilen, um dort alle wartenden Personen mit einer Transportmöglichkeit zu versorgen. Damit wären Leerfahrten von Taxen und Bussen ebenso wie auf der anderen Seite eine Knappheit und folgliche Überfüllung von Bussen und Bahnn an stark frequentierten Orten vermeidbar. Taxi-Betreiber könnten teuren Leerbetrieb reduzieren, Verkehrsbetriebe ihren taktgebundenen Fahrplan um nachfrageabhängige Zusatzangebote ergänzen.
Zahlen, ob eine derartige Optimierung auch der Umwelt zugute kommen würde, gibt es noch nicht. „Eine effizient eingesetzte Taxiflotte mit wenigen Leerfahrten, geringen Wartezeiten und maximaler Fahrgastauslastung führt letztlich auch zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch und entsprechend geringeren Emissionen“, sagt der Unternehmenssprecher. „Konkrete Zahlen gibt es jedoch nicht, da diese Variable nicht Bestandteil des Algorithmus ist. Grundsätzlich wäre es aber denkbar, auch eine solche Variable als Optimierungsziel mit aufzunehmen und zu verproben.“
Die erste Erprobung des Algorithmus wird in Barcelona stattfinden, da über die spanische Metropole bereits eine ausreichende Datenbasis vorhanden ist. „Ideal sind anonymisierte Bewegungsdaten über mehrere Monate hinweg. Das beinhaltet hunderttausende Signale (Geo-Koordinaten und Uhrzeit) pro Tag. Auf dieser Basis ergeben sich zuverlässige Prognosen, wie sich Verkehrsfluss oder Demand-Hotspots entwickeln.“
Bis das Programm serienreif ist und im Alltag auch in anderen Städten eingesetzt werden kann, kann es aber noch etwas dauern. „Das hängt zunächst einmal davon ab, mit welchen Partnern wir dieses Programm im Alltag umsetzen“, erklärt der Sprecher. „Wäre es eine Kommune/Stadtverwaltung? Ein Taxiunternehmen, Verkehrsbetrieb oder Ride-Hailing-Unternehmen? Auf diesen Kunden müsste das Programm zugeschnitten werden. Im zweiten Schritt würden wir eine Live-Testphase durchlaufen und prüfen, ob das Programm auch über längere Zeit, mindestens einen Monat, den Verkehr bzw. die Flottenauslastung optimiert. Inklusive dieser Testphase gehen wir davon aus, dass wir in wenigen Monaten eine Serienreife („live-Fähigkeit“) erreichen könnten.“
Volkswagen und Quantencomputing
Der Volkswagen Konzern kooperiert beim Thema Quantencomputing mit den Technologiepartnern Google und D-Wave, die den Experten Zugriff auf ihre Systeme geben. Auf dem „WebSummit‘‘ in Lissabon vom 5. bis 8. November haben Volkswagen und D-Wave das Projekt bereits gemeinsam vorgestellt.
„Der nächste große Schritt im kommenden Zeitalter der Quantencomputer ist die Entwicklung von Anwendungen. D-Wave konzentriert sich seit jeher darauf, dieses zu ermöglichen und Anwendungen zum praktischen Einsatz zu bringen‘‘, sagt Bo Ewald, President von D-Wave. „Die innovative Forschungsarbeit von Volkswagen auf D-Wave Rechnern im Bereich der Verkehrsop-timierung ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Leistungsfähigkeit von Quantencomputern für neue Geschäftsfelder erschlossen und zugleich das alltägliche Leben der Menschen verbessert werden kann.‘‘
Die Entwicklung des gesamten Programms dauerte laut Volkswagen nur wenige Monate. „Die erste Verkehrsflussoptimierung, die Volkswagen-Experten vor rund 2 Jahren für die Metropole Beijing entwickelten, nahm einige Monate in Anspruch. Der kontinuierliche Wissenserwerb und Kompetenzausbau macht sich seitdem positiv bemerkbar – das auf dem WebSummit vorgestellte Projekt „Demand Prediction“ dauerte nur wenige Wochen.“
Für Volkswagen eröffnet der Algorithmus das Potenzial, das quantenoptimierte Verkehrsleitsystem künftig als Service-Leistung kommerziell anzubieten – auch mit Blick auf die Vernetzung von Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeugen, insbesondere autonom fahrender Fahrzeuge.
Titelbild: Volkswagen
Bilder: Pixabay