Resilienz ist in Krisenzeiten zur vieldiskutierten Fähigkeit geworden. Ist die psychische Widerstandsfähigkeit vorhanden, dann hilft sie hohe Belastungen zu bewältigen. Das Potenzial zur Resilienz lässt sich jedoch auch stärken. Das hat die Psychotherapie schon bewiesen. Jetzt untersuchte ein Forscherteam am AIT Austrian Institute of Technology in Wien, ob die Wirkung von Resilienz Training mit dem Einsatz von Virtual Reality (VR) noch gesteigert werden kann. Denn VR ermöglicht realistische Erfahrungen in einer sicheren und kontrollierbaren Umgebung.
Zudem können herausfordernde Situationen mittels VR beliebig oft wiederholt werden. Dadurch wird es möglich, neue Handlungsoptionen zu entdecken und erlernen. Im Alltag haben wir diese Möglichkeit nicht, erklärt Ulrike Kretzer, die das Projekt am AIT Center of Technology Experience geleitet hat.
Logotherapie und Existenzanalyse
Das Projekt lief unter dem Titel ReSolVE – Resilience Strengthening in Virtual Environments through Meaning-Finding – und basiert auf der Lehre des österreichischen Neurologen, Psychiaters und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl (1905-1997). Er gilt als der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse (LTEA), die zum weltweit anerkannten Ansatz in der Psychotherapie wurde. Ziel der Methode ist es, Klienten und Klientinnen methodisch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zu unterstützen. Kooperationspartner war die Digital Media Support, eine Beratungs- und Umsetzungsagentur mit dem Schwerpunkt Digitalisierung in der Eltern- und Erwachsenenbildung. Die beiden Gründer Alex Vesely und Katharina Ratheiser sind zudem Enkel von Viktor Frankl und am Viktor Frankl Institut in Wien tätig.
Im Projekt wurde explorativ erforscht, ob sich die Ansätze und Methoden der Logotherapie und Existenzanalyse überhaupt für VR-Training eignen. Die Trainingsinhalte waren auf zwei verschiedenen Formen psychosozialer Krisen aufgebaut: Veränderungskrise und Verlustkrise. Im Fall der Veränderungskrise wurden die Probanden in die Situation versetzt, einen Autounfall verursacht zu haben, in dem eine Person zu Schaden kam. Im Fall der Verlustkrise ging es um die persönliche Erfahrung von Jobverlust.
Das VR-Training wurde mithilfe eines Co-Creation Prozesses konzipiert und entwickelt. In diesem wurden künftige Nutzer und Nutzerinnen aktiv und kreativ an den Design- und Forschungsprozessen beteiligt, um sicherzustellen, dass eine für sie sinnvolle technologiegestützte Erfahrung entsteht. Insgesamt war das Training im Sinne von Viktor Frankl auf Perspektivenwechsel und Reflexion angelegt. Die Versuche wurden von Alex Vesely und Katharina Ratheiser von der Agentur Digital Media Support begleitet.
Escape Room
Um die Probanden in die jeweilige Situation eintauchen zu lassen, war das VR-gestützte Resilienz Training spielerisch aufgebaut. So gab es einen Escape Room, in dem mit verschiedensten Gegenständen interagiert werden konnte, um sich mit der Handlung auseinanderzusetzen. Wenn eine Testperson mit dem Controller einen Gegenstand aufnahm, dann wurde durch eine Stimme eine Erklärung dazu eingespielt.
Im Szenario Autounfall ging es um die Verarbeitung von Schuldgefühlen. Die Probanden fanden sich im Krankenzimmer des Unfallopfers wieder. Indem sie einzelne Gegenstände berührten, wurden ihnen Details zum Unfall präsentiert. Auf diese Weise konnten sie sich die Konsequenzen des Unfalls bewusst machen und sich in das Unfallopfer hineinfühlen. Zum Beispiel gab es ein Bild von der kleinen Tochter des Unfallopfers, die von den Großeltern beaufsichtigt werden muss, während die Mutter im Krankenhaus liegt. Die Art der Interaktion mit den Gegenständen stand den Probanden frei.
Die Szenerie Jobverlust wurde in Form eines 360 Grad Videos dargestellt. Darin konnten die Probanden die Kündigungssituation aus der Perspektive der Person erleben, die gerade entlassen wird, um sich in ihre Probleme einzufühlen.
Raum der Möglichkeiten
Anschließend kamen die Testpersonen beider Szenarien in den Raum der Möglichkeiten, wo sie die zuvor erlebte Situation noch einmal reflektieren konnten. Dabei konnten sie sich nach den Kriterien der Logotherapie und Existenzanalyse mit verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten auseinandersetzen und diese auch bewerten. Kommunikationstools waren 3D-Würfel, die den Testpersonen eine individuelle Auswahl von Optionen präsentierten. Es gab aber auch Würfel, auf denen sie ihre eigenen Optionen anbringen konnten. Abschließend standen ihnen Bewertungsskalen zur Verfügung, mit deren Hilfe sie die relevantesten Verhaltensmöglichkeiten in die Kategorien sollen, können, müssen und wollen einteilen konnten. „Denn oft steckt hinter Entscheidungen unbewusst der Glaube man müsse das jetzt machen. Viel wohler fühlt man sich aber vielleicht mit einer ganz anderen Entscheidung“, erklärt Kretzer.
Erweiterte Dimension
Nach Abschluss des Projekts sehen die Forschenden ihr Konzept durch das positive Feedback der Probanden bestätigt. Am Anfang konnte eine leichte Ablenkung durch die Technik festgestellt werden. Dieser Effekt nahm jedoch bei weiteren Anwendungen ab und die Vorteile der Technik traten stärker hervor. Die virtuellen Reflexionsräume gaben den Probanden die Möglichkeit, sich intensiv mit eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen. Dabei boten diese eine erweiterte Dimension für Interpretationen und für das Einbringen eigener Gedanken und Gefühle. Speziell im Raum der Möglichkeiten, zeigte sich das Potenzial der VR-Technologie zur Anregung der Kreativität. Die Probanden gaben an, einen ganz neuen Blick auf die Dinge erhalten zu haben.
Als Ersatz für den Therapeuten sehen die Forscherinnen das VR-gestützte Resilienz Training aber nicht. Vielmehr könne dieses die Therapeuten und Therapeutinnen dabei unterstützen, ihr Training effektiver zu gestalten. „Klienten können aus Therapiegesprächen sehr viele Erkenntnisse gewinnen, aber das Verhalten muss auch geübt werden. Mit dem VR-Tool können sie die Verhaltensoptionen zu Hause noch einmal durchspielen, um sie bei der nächsten Sitzung noch einmal gemeinsam zu reflektieren“, so die Projektmitarbeiterin Huu-Quynh-Huong.
Individualisierung
In weiterer Folge wolle man das VR-gestützte Resilienz Training selektiv gestalten, um dieses an die individuellen Bedürfnisse von Personen anzupassen, so Nguyen. Die Individualisierung könnte durch Entwicklung eines KI-basierten Vorschlagswerks realisiert werden. Denn die Forschenden wissen bereits aus anderen Studien, dass man aus biometrischen Daten wie Puls und Atemfrequenz sowie Trainingspräferenzen optimale Trainingspläne entwickeln kann.