In Deutschland kann man in diesem Sommer für 9 Euro im Monat mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren. Innovation Origins nutzt die Gelegenheit, um eine Reihe von Zukunftsprojekten zu besuchen. In dieser Folge fahren wir nach Mülheim an der Ruhr.
Mülheim an der Ruhr klingt nicht sofort nach einem schönen Ausflug für die ganze Familie. Die Stadt liegt inmitten des Ruhrgebiets, das aus vielen mehr oder weniger zusammengewachsenen Städten wie Duisburg, Oberhausen, Essen, Bottrop, Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund besteht. Sie alle haben eine lange industrielle Vergangenheit und haben schon immer viele fossile Brennstoffe verbrannt.
Wenn man an die Ruhr denkt, hat man schnell an einen recht schmutzigen Fluss vor Augen, gesäumt von armen Arbeitervierteln. Davon ist in Mülheim allerdings wenig zu sehen. Die Promenade lädt zum Verweilen ein, in einem kleinen Hafen können Motorboote gemietet werden, es wird geangelt und es gibt viele SUPs und Tretboote auf dem Wasser.
Siemens Energy
In der Gegend gibt es Industrie, aber sie ist einigermaßen sauber. Am Rande der Stadt – eingezwängt zwischen zwei Armen der Ruhr – befindet sich beispielsweise ein großes Industriegebiet, zu dem auch ein Werk von Siemens Energy gehört. Anfang dieses Monats besuchte Bundeskanzler Scholz die Baustelle, um der Welt zu zeigen, dass die Gasturbine, die benötigt wird, damit mehr russisches Gas durch Nordstream 1 fließen kann, einsatzbereit ist. Die Turbine steht schon seit einiger Zeit in Mülheim, aber die Russen versuchen nach Angaben der Deutschen, die Exporte zu verzögern, um die Angst vor einem Gasmangel zu schüren.
Die Tatsache, dass die Umweltverschmutzung in Mülheim relativ gering ist, bedeutet nicht, dass der Umweltschutz keine große Rolle spielt. Das wird bei einem Besuch im Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion deutlich.
Nagelneue Labore
Holger Ruland und Nikolas Kaeffer führen durch den weitgehend nagelneuen Komplex. Ruland ist Leiter des Bereichs “Katalytische Technologien” in der Abteilung “Heterogene Reaktionen”. Kaeffer ist Leiter des Bereichs “Metallorganische Elektrokatalyse” in der Abteilung “Molekulare Katalyse”.
Einige Gebäude sind so neu, dass die Böden noch nicht verlegt und die Geräte noch nicht installiert sind. In einem der Labore installieren und überprüfen Techniker große, hermetisch verschlossene Schränke, in denen Experimente mit Gasen durchgeführt werden können, die durch Rohre aus der Decke kommen.
In einem anderen Labor werden Tests mit einer Mischung aus Gasen und Feststoffen durchgeführt. Zu diesem Zweck werden entlang der Wände zahlreiche Chemikalien gelagert, natürlich unter Beachtung aller Sicherheitsvorschriften.
Aus einem der Schränke ragen Gummihandschuhe heraus. Kaeffer erklärt, dass dort Experimente auf molekularer Ebene durchgeführt werden, bei denen es äußerst wichtig ist, die Luft so rein wie möglich zu halten. Kaeffer sucht unter anderem nach Methoden, um chemische Prozesse energieeffizienter zu gestalten.
Carbon2Chem
Eine der aufregendsten Forschungen, an denen sie an diesem Max-Planck-Institut arbeiten – es gibt mehr als 80 Abteilungen dieses Forschungsinstituts in Deutschland – ist das so genannte Carbon2Chem-Projekt. Viele Menschen werden schon von CCS gehört haben. Die Abkürzung steht für Carbon Capture and Storage (Kohlenstoffabscheidung und -speicherung), wobei Kohlendioxid (CO2), das beispielsweise von Stahlwerken, Zementherstellern und Müllverbrennungsanlagen ausgestoßen wird, aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird. Bislang ist das kein großer Erfolg.
Bei Max-Planck in Mülheim arbeiten sie an CCU: Carbon Capture and Usage. Hier geht es darum, CO2 zur Herstellung von etwas anderem zu verwenden. Konkret arbeiten sie bei Max-Planck in Mülheim daran, Stickstoff und CO2 in verwertbare Produkte wie Methanol und andere Treibstoffe umzuwandeln, die zum Beispiel in Flugzeugen eingesetzt werden können. Zu diesem Zweck muss das Kohlenstoffmolekül (C) des CO2 vom Sauerstoffmolekül (O2) getrennt werden.
Auf diese Weise wird viel weniger CO2 in die Luft abgegeben. Das Treibhausgas wird gewissermaßen recycelt. Sie ist eine der Möglichkeiten, die Stahlproduktion CO2-neutral zu gestalten.
Ruland erklärt, dass die Umwandlung von CO2 kein neues Konzept ist. “Uns geht es darum, das Verfahren so zu perfektionieren, dass es wirtschaftlich tragfähig ist.”
Mehr als nur CO2
Der Grund dafür ist, dass der Umwandlungsprozess viel (knappe) Energie erfordert und der Rauch aus einem Stahlwerk mehr Stoffe als nur CO2 enthält. Das Max-Planck-Institut in Mülheim arbeitet gemeinsam mit mehreren anderen Forschungsinstituten und Partnern aus der Industrie, darunter dem Stahlriesen Thyssen Krupp, an Lösungen.
Vereinfacht ausgedrückt, verwendet Thyssen Krupp Kohle für seine Schmelzwerke. Dabei entsteht Rauch, der nach der Behandlung mit einem Katalysator die Anlage über einen Schornstein verlässt.
Dieser Rauch enthält viel CO2, das mit Energie in Methanol (CH3OH) umgewandelt werden kann. Aus Methanol können andere Energieträger und chemische Produkte hergestellt werden.
Wasserstoff ist ein knappes Gut
Klingt wie das Ei des Kolumbus, aber es gibt ein paar Probleme. Erstens muss der Rauch aus der Fabrik geeignet sein oder geeignet gemacht werden. Eine zu starke Verschmutzung, z. B. mit Kohlenmonoxid, ist nicht gut.
Zweitens muss die Energiequelle, die zur Freisetzung des Kohlenstoffs verwendet wird, nachhaltig sein, sonst ist sie nutzlos. Am besten geeignet ist Wasserstoff, der mit grünem Strom, beispielsweise aus Windrädern oder Sonnenkollektoren, hergestellt wird.
“Ein Teil der Forschung findet in Mülheim statt, und ein wirklich großer Versuch wird in einem Thyssen-Krupp-Werk in Duisburg durchgeführt”, sagt Ruland.
Die Aufgabe besteht hier vor allem darin, das Gas, so wie es aus der Fabrikleitung kommt, zu analysieren und herauszufinden, wie es am effizientesten mit einem Katalysator für die Methanolumwandlung geeignet gemacht werden kann.
Laut Ruland nimmt der Umfang des Projekts immer größere Ausmaße an. Es wird eine Anlage gebaut, die mehrere tausend Tonnen Methanol pro Jahr produzieren kann. Das wird von der Regierung mit 140 Millionen Euro subventioniert.
In Zukunft, so Ruland, müssen andere CO2-Quellen in Betracht gezogen werden. Neben Stahlwerken können auch andere Großemittenten wie Zementwerke und Müllverbrennungsanlagen in Betracht gezogen werden. Es ist durchaus möglich, dass CO2 irgendwann zu einem knappen Produkt wird, das für die Herstellung verschiedener Kraftstoffe und Kunststoffe verwendet werden kann.
Aber dann muss genügend grüner Wasserstoff vorhanden sein und der Produktionsprozess muss billiger werden. Ruland: “Eine weitere große Hilfe wäre es, wenn der Ausstoß von CO2 für Unternehmen teurer würde. Je teurer die CO2-Emissionen werden, desto attraktiver wird es, CO2 abzuscheiden und es als Rohstoff für etwas anderes zu verwenden.”