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Man stelle sich vor, ein LKW-Anhänger wird in den Niederlanden beladen und dann von einem Fahrer zu einem Hub an der Autobahn gebracht. Von da an fährt er autonom bis zu einer vorgegebenen Adresse in Lyon. Idealerweise geschieht das in der Nacht, um Staus zu vermeiden. Am nächsten Morgen holt ein lokaler französischer LKW den Anhänger vom Hub in Lyon ab, um die letzten Kilometer bis zur Auslieferung zu fahren.

Noch ist das alles nur Zukunftsmusik, bei Personenwagen zum Teil aber schon Realität. Tesla, BMW, Mercedes Benz, Nissan und Volvo verkaufen bereits Autos mit Autopiloten. Aber auch im Transportsektor schreitet die Entwicklung voran. Einige LKW-Hersteller und eine Reihe von Start-ups sind dabei, autonome Sattelschlepper zu entwickeln. Die Niederländerin Rosa Thuis studiert im vierten Jahr International Logistics Engineering an der Fachhochschule Breda und hat sich mit dem Thema autonome Trucks etwas eingehender beschäftigt.

Rosa Thuis © VOS Logistics

Eine „vollständige Fahrautomatisierung“ (Level 5), bei der das Fahrzeug alle Fahraufgaben selbst ausführt, ohne menschliches Zutun und sogar ohne Platz für einen menschlichen Fahrer, ist momentan noch nicht möglich. Unter anderem aufgrund mangelnder Infrastruktur und fehlender Zulassung. Semi-autonome LKWs werden aber bereits entwickelt und getestet. Volvo entwickelt derzeit Vera, ein selbstfahrendes Elektrofahrzeug mit Level 5 Autonomie, bei dem es keine Kabine für einen Fahrer gibt. Es soll auf einer vordefinierten Route fahren und wird in Göteborg auf einer Strecke getestet, die den Transport von Waren von einem Logistikzentrum zu einem Hafenterminal beinhaltet.

Einride, ein weiteres schwedisches Unternehmen, entwickelt einen autonomen LKW. Wie bei Vera gibt es auch hier keinen Platz für einen Fahrer, das Fahrzeug kann aber von einem Menschen per Fernsteuerung kontrolliert werden. Während Vera hauptsächlich auf den Kurzstreckentransport ausgelegt ist, kann der Einride-Pod sowohl für großvolumige Sendungen als auch für Stadtlieferungen und Verteilerverkehr eingesetzt werden.

Innovationen, die noch einen Fahrer brauchen

Level 5 Autonomie ist nicht immer das Ziel. Die meisten Entwickler haben sich Level 4 zum Ziel gesetzt. Hier ist das Fahrzeug in der Lage, alle Fahraufgaben zu übernehmen, jedoch ist Geofencing erforderlich und eine menschliche Übernahme weiterhin möglich. Unternehmen wie Embark, Waymo, Tu Simple, Kodiak Robotics, Plus.ai, AutoX und Paccar planen die Entwicklung eines Sattelschleppers, bei dem es noch einen Fahrer gibt, der im Fall der Fälle übernehmen kann.

Embark will zum Beispiel autonome Fahrzeuge entwickeln, die von einem Hub zu einem anderen fahren können. Das heißt, der Sattelschlepper würde hauptsächlich auf der Autobahn fahren und nicht auch auf den kleineren Straßen zu einem bestimmten Kundenstandort. Tu Simple und Plus.ai entwickeln Sattelschlepper mit einer 360-Grad-Wahrnehmung bei jeder Art von Wetter. Sie werden mit einem System ausgestattet, das Hindernisse bis zu einer Entfernung von 1.000 bis 1.600 Metern erkennen kann. Dabei ändert sich nicht die Art und Weise, wie das Fahrzeug fährt, sondern wie das System dahinter funktioniert. Aurora Innovation, Ike, AutoX und Hyundai konzentrieren sich speziell auf die Hardware, Software und Datendienste, die autonomes Fahren ermöglichen. Die Ansatzpunkte für autonomes Fahren in der LKW-Branche sind also vielfältig.

Tesla konzentriert sich bei der Entwicklung eines autonomen Sattelschleppers auf Autonomie-Level 3. Das heißt, das Fahrzeug kann die meisten Aufgaben ausführen, aber die Kontrolle eines Menschen ist dennoch erforderlich. Pronto.ai schließlich bietet Sattelschlepper mit Level 2-Autonomie an, bei denen das Fahrzeug über einen vollwertigen adaptiven Tempomat, eine proaktive Spurenzentrierung und eine automatische Notbremsung verfügt. Das Fahren muss aber von einem Menschen gelenkt werden. Außerdem arbeiten viele dieser Unternehmen auch an autonomen Fahrzeugen, die elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben werden.

Vorteile eines autonom fahrenden Sattelschleppers

Wieso aber gibt es so viele Entwicklungen von autonomen LKWs? Ein Grund ist die erhöhte Verkehrssicherheit.  Jeden Tag sind allein in den Niederlanden 17 Sattelschlepper in einen Unfall verwickelt oder bleiben mit technischen Problemen liegen.  Zwischen 2009 und 2018 gab es im Durchschnitt 80 Verkehrstote pro Jahr, an denen ein Sattelschlepper beteiligt war. Wären alle LKWs autonom, würde der Faktor „menschliche Fehler“, wie Sekundenschlaf am Steuer oder Bedienungsfehler der Technik, wegfallen. Bevor autonome Fahrzeuge die Fahrsicherheit erhöhen können, müssen sie aber ausgiebig getestet werden, denn nur, wenn sie keine Fehler machen, könnten sie die Verkehrssicherheit erhöhen.

Ein weiterer Vorteil autonomer Trucks wären die geringeren Kosten. So würden bei Level 4 die für menschliche Fahrer vorgeschriebenen Pausen weniger und bei Level 5 ganz wegfallen. Zudem wäre der Lkw in der Lage, sich schneller auf den Verkehr einzustellen als der Mensch, so dass die Fahrt flüssiger wird. Das hätte wiederum zur Folge, dass sowohl Fahrer- als auch Kraftstoffkosten gesenkt würden. Löhne und Kraftstoff machen zusammen etwa 80 % der Gesamtkosten für Logistikbetriebe aus. Im Falle von Elektro-LKWs könnten diese aufgrund des gleichmäßigeren Fahrens die Batterie bis zur vollen Kapazität nutzen, so dass sie seltener aufgeladen werden muss. Somit müsste der LKW auch weniger anhalten.

Idealerweise fahren die autonomen LKWs nachts zwischen den Knotenpunkten. Dann ist die Gefahr von Störungen geringer, weil es weniger Verkehr gibt. In Kombination mit Wasserstoff oder BEV würde das sowohl den Lärm als auch die Emissionen stark reduzieren. „Zusammengenommen könnten diese neu entwickelten Techniken also bedeuten, dass das autonome Fahren das Potenzial hat, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, die Kosten zu senken und die Reisezeit zu begrenzen“, betont Rosa Thuis.

Zeit bis zur Marktreife

Vielleicht ist diese Zukunft autonomer Trucks auch gar nicht mehr so weit entfernt. Die meisten amerikanischen Entwickler befinden sich bereits in der Testphase. Waymo kündigte Anfang 2020 an, dass die Tests in Texas, New Mexico, Arizona und Kalifornien beginnen würden. Auch Embark und Kodiak testen und fahren dort bereits. Kodiak hat schon mit den ersten kommerziellen Lieferungen begonnen und hat acht autonome Fahrzeuge in seiner Flotte. Tu Simple hat innerhalb von zwei Wochen fünf Touren absolviert und dabei USPS-Anhänger über mehr als 1.000 Meilen transportiert.

Während die meisten Unternehmen, die autonome Sattelschlepper entwickeln, in Amerika ansässig sind, entwickelt Hyundai in Südkorea, AutoX in Hongkong, Volvo und Einride in Schweden. Wann genau die neuen LKWs dieser Unternehmen auf den Markt kommen werden, ist noch nicht bekannt. Sie werden jedoch sicher von Funktionen profitieren, die bereits im Einsatz sind, wie adaptive Tempomaten, automatische Routenplanung und Motormanagementsysteme zur Optimierung der Fahrweise, oder auch Kameras, die die Spiegel ersetzen. Dazu werden Techniken kommen wie Lidar und autonomes Lenken. „Diese Funktionen unterstützen den Fahrer und bedeuten mehr Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Effizienz“, so Rosa Thuis. „Der nächste Schritt könnte sein, dass sich die Rolle des Fahrers dahingehend ändert, dass er lediglich einige Teile der Fahrt unterstützt und in einigen Teilen des Transportwegs ersetzt wird.“

Utopisch oder realistisch? 

Wie kommt man aber an dieses Ziel?  Als erstes müssen dazu Fragen in Bereichen wie Infrastruktur, Transportmanagement und Überwachungssysteme geklärt werden. Dazu organisatorische Veränderungen, soziale Auswirkungen und Akzeptanz, europäische Gesetzgebung, Haftung und Versicherung und nicht zuletzt die Kosten des Transports.

„Es gibt viele Gründe, warum diese Entwicklung für die Gesellschaft aus sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Sicht von großem Nutzen sein wird“, betont Rosa Thuis. „Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich, dass sie Widerstand und Opposition von verschiedenen Interessengruppen hervorrufen wird. Diesen Widerstand in einem realistischen und sinnvollen Zeitrahmen zu brechen, ist wahrscheinlich die größte Herausforderung bei der Realisierung dieser Entwicklung.“