Design 33 Adaptive Skins (c) Adaptive Skins
Author profile picture

Jef Montes war von der Schönheit der Meere und der Hässlichkeit der Plastikverschmutzung geleitet, als er 2014 sein nachhaltiges Modeprojekt Marinero startete. Der Architekt wollte Kunststoffe aus den Meeren recyceln und daraus modische Kleider herstellen, deren Formgebung an Meereswellen erinnert. Ein Effekt, den er über architektonisch konstruierte Stoffe erreicht, die unter Einwirkung von  Regen, starkem Wind und Trockenheit eine vorab definierte dreidimensionale Form annehmen. 

Mit diesem neuartigen Ansatz will er die traditionelle Lieferkette revolutionieren. 2D-Schnitte, Schere und Nadel werden obsolet. Das Material entwickelt sozusagen seine eigene Schnitttechnik und wandelt sich von 2D zu 3D. Abfall, wie in der konventionellen Bekleidungskonfektion, entsteht keiner. Das Konzept stammt aus der Biomimikry – in der sich 2D-Elementarformen in komplexe 3D-Formen auflösen. Montes hat sich von der Konstruktion von vom natürlichen Wachstumsprozess von Kiefernzapfen inspirieren lassen. Insbesondere waren es die Faltlinien der Kiefernzapfen, die er in seine textilen Architekturen auf Mikro- und Makroebene integrierte. Aber auch die Art, wie sich ihre Form durch die Witterungseinflüsse verändert. 

Formgebung, Textilarchitektur, Adaptive Skins, Jef Montes,
Das Tannenzapfenprinzip inspiriert die Formgebung (c) Adaptive Skins

Zunächst wirkt seine Arbeit recht unspektakulär. Montes fertigt Rechtecke mit Öffnungen für Kopf und Arme. Das Potenzial zur Formgebung steckt in der architektonischen Stoffkonstruktion, die den Plan enthält. Wobei es die Fasern, beziehungsweise die technischen Filamente sind, welche den größten Teil der Arbeit übernehmen. Die Herausforderung ist es, eine Filamentstruktur zu schaffen, die dem Material und dem Ziel des Experiments folgen und überraschend schöne Formgebung bewirkt, so der Forscher. 

Das adaptive Archi-Filament

In Zusammenarbeit mit der Horizon 2020 Co-Creation-Tech-Plattform Re-FREAM in Linz hatte Montes 2020/21 die Möglichkeit, Forschung und Entwicklung für die das technische Filament voranzutreiben. Er entwickelte gemeinsam mit europäischen Technologiepartnern Garnkonstruktionen und nachhaltige Beschichtungstechniken. Das sogenannte adaptive Archi-Filament wurde in Kooperation mit Haratech in Linz entwickelt. In die Versuche gingen zwei Faserkategorien ein: recycelte Kunststoffabfälle aus den Meeren und Biokunststoff (PLA).

Auch interessant: Selbstfaltende Materialien ermöglichen die Bildung von komplexen Formen

Die Eigenschaften des Garns müssen von Garninneren nach außen hin geschichtet werden. Dies sollte erst durch den Einsatz von 3D-Drucktechniken erreicht werden. Da aber die dünnsten Faserversionen brachen, werden es am Ende doch konventionellere Garnherstellungsprozesse sein. 

Formgebung, Adaptive Skins, Jef Montes, Meeresplastik
Neuartiges Prinzip der Formgebung (c) Adaptive Skins

Verformungsmechanismus

Der Kern des adaptiven Archi-Filaments zeigt ein bewegliches, anpassungsfähiges Garn, das in Spiralen gelegt und mit einem wasserlöslichen Füllstoff aus Algenstärke beschichtet wird. In dieser Konstrktion kann das Garn auf konventionellen Geräten wie Jacquardwebstuhl und Strickmaschine verarbeitet werden. Idee ist es, die Verformungsmechanismen (die Spiralen) zunächst innerhalb einer festen Bio-Kunststoffschicht zu blockieren. Bei Regen schmelzen diese wasserlöslichen Schichten aus Algenstärke und die gewebten und gestrickten Strukturen beginnen sich durch die freigewordenen Spiralen zu verformen. 

Die größte Herausforderung bei der Produktion des adaptiven Archi-Filaments besteht darin, das richtige Gleichgewicht zwischen den Materialien und der Beschichtung zu finden. Es ist erforderlich, alle Filamente und Garne innerhalb der Beschichtung zu halten. Die Beschichtung darf nicht platzen oder brechen. Alles im Inneren muss eingefroren bleiben, so Montes in seinem Open Source Plan. 

Wasserlösliche Beschichtung

Die Beschichtung für das adaptive Archi-Filament wurde gemeinsam mit dem Institut für Materialtechnologie AITEX in Alcoy/Valencia und der Forschungseinrichtung Wood K Plus in Linz entwickelt. Technologien, die sie nutzten, waren Schmelzbeschichtung und Tauchbeschichtung. Die Tauchbeschichtung, die gemeinsam mit AITEX angewandt wurde, hat den Vorteil einer geringen Beschichtungstemperatur und kann dadurch für mehrere Materialtypen angewendet werden. Der Nachteil liegt in einem langwierigen Produktionsprozess. Trotzdem: Das Prinzip funktioniert und das Forschungsziel wurde erreicht – auch wenn es noch weitere Forschung braucht. 

Wood K Plus in Linz wendete eine Schmelzbeschichtungstechnik an, die zwar eine kürzere Herstellungsdauer hat, aber eine hohe Schmelztemperatur erfordert. Dadurch ist die Bandbreite der zu verwendenden Materialien eingeschränkt. Auf hitzeempfindliche Materialien kann diese nicht angewendet werden. Die Stärke der Technik liegt in der größeren Umwandlungskraft, das heißt das adaptive Filament ist stärker verformbar. Allerdings wurde nicht das technische Niveau erreicht, das für die Erstellung eines Prototypen erforderlich ist. 

Auch interessant: Ein dreidimensionaler Ansatz könnte die Modeproduktion revolutionieren

Das Design folgt dem Material

Die Materialien wurden in Zusammenarbeit mit dem TextielLab Tilburg gestrickt und gewebt. Webstoffe bestehen aus einer vertikal laufenden Kette und einem horizontal eingebrachten Schuss. Montes verwendet für die Kette Monofilament und für den Schuss variable nachhaltige Garne – wie etwa Seacell Seidengarne, die mit Algenpigmenten gefärbt sind. Diese Kombination verursacht Reibung und führt bei unterschiedlichen meteorologischen Bedingungen wie Regen, starkem Wind oder Trockenheit zu dynamischen Formen. 

Während Montes in den ersten sechs Jahren seines Projekts mit Geweben experimentierte, ging er in Re-FREAM mit dem TextielLab Tilburg zum Stricken über. Stricken ist insofern anspruchsvoller als Weben, als es ein durchgehend intaktes Filament erfordert. Wenn ein Faden reißt oder ein Loch entsteht, muss das gesamte Kleidungsstück verworfen werden. In Zukunft möchte er beide Techniken verbinden. 

Formgebung durch die Witterung

Das anschließende Design follows Material-Experiment lief über sechs Monate. Insgesamt wurden 66 Marinero-Entwürfe produziert, die jeweils für 30 Tage den Wetterbedingungen in der freien Natur ausgesetzt wurden und unter Einwirkung von Regen, starkem Wind und Sonne dynamische Formen annahmen. Die Außeninstallationen wurden in Zusammenarbeit mit dem Künstler Bart Nijboer entworfen. Wobei es zwei Modelle waren, die außerordentliche Ergebnisse zeigten: eines entwickelte eine besonders dramatische Form und ein anderes eine gute Balance zwischen allen entwickelten Garnprototypen und dem maßgeschneiderten Effekt. 

Unmittelbar kommerziell umsetzbar

Im Rahmen des umfangreichen Experiments mit Wood K Plus wurde ein Filament entwickelt, das strukturiert ist und aussieht, als sei es mit einem zarten Wasserfilm überzogen. Wandelbar ist es nicht, aber es entwickelt in Gewebe und Strick einen faszinierend kristallähnlichen optischen Effekt. Für die Herstellung des sogenannten BioTex Archi-Fil musste eine eigene Maschine gebaut werden. Dadurch kann es jetzt kommerziell umgesetzt werden. Es wird erstmals im Juni 2022 auf der Messe Techtextil in Frankfurt zu sehen und käuflich zu erwerben sein. 

Das Projekt Marinero ist open source und wurde auf der Hauptseite von studioadaptiveskins.com veröffentlicht.

Weitere Kooperationspartner im Rahmen von RE-FREAM waren die Johannes Kepler Universität Linz, die Empa Eidgenössische Materialprüfungsanstalt St. Gallen und Wageningen University Research. Creative Region Linz & Upper Austria ist ein Re-FREAM Partner und hat die KünstlerInnen von Hub Linz während der beiden Projektrunden betreut.

Auch interessant: Jacke Setae von Julia Körner demonstriert 3D-Druck auf Stoff