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Lebende Zellen sind die Hauptbestandteile der Natur und des menschlichen Lebens. Die zelluläre Evolution und die Wechselwirkung mit ihrer molekularen Umgebung zu verstehen, ist unerlässlich, um Heilmittel gegen Krankheiten wie Krebs oder Diabetes zu finden. Dazu müssen lebende Zellen untersucht werden, in Anwendungsbereichen wie z.B. Toxikologie, regenerativer Medizin, Umweltmonitoring, Grundlagenforschung – und das möglichst ohne Tierversuche. Genau das macht man beim Münchner Unternehmen cellasys. Alles. Ohne Tierversuche.

„Ich habe an der TU München Elektrotechnik studiert bin dann durch meine Diplomarbeit an den Lehrstuhl für medizinische Elektronik gekommen, wo ich die Aufgabe hatte, einen miniaturisierten Sauerstoffsensor auszulesen, der so klein ist, dass man damit an einem Verbund von biologischen, lebenden Zellen den Sauerstoffverbrauch messen kann. Daraus ist dann letztlich auch die cellasys entstanden“, erzählt der Geschäftsführer und Mitbegründer von cellasys. „In der Diplomarbeit haben wir das zum Laufen gebracht. Ich war dann auch mal kurz in der Industrie habe an der TU dann aber meine Doktorarbeit gemacht.“

Diese Doktorarbeit war die Geburtsstunde der IMOLA (Intelligent Mobile Lab)-Technologie. „Irgendwann hat es funktioniert, dass wir ein System hatten, mit dem wir an lebenden Zellen die Ansäuerung messen konnten. Das heißt, Protonen, die lebende Zellen ausstoßen, messen konnten, wie auch den Sauerstoffverbrauch und morphologische Veränderungen, sprich, wie stark Zellen auf einer Oberfläche anhaften. 2007 haben wir schließlich die cellasys gegründet, als Spin-Off der Technischen Universität München.“

IMOLA (Intelligent Mobile Lab)-Technologie

Zentrales Betätigungsfeld der cellasys ist die Messung mit mikrophysiometrischen Systemen, bzw. die Messung verschiedene Parameter im Mikromilieu lebender Zellen. Dies sind die extrazelluläre Ansäuerung (pH), die zelluläre Atmung (pO2) und die Morphologie (Bioimpedanz) der Zellen. Die Messung erfolgt marker-frei, parallel, kontinuierlich und in Echtzeit. Somit kann z.B. in der Medizin die Wirksamkeit von Medikamenten vor Therapiebeginn an einer Zellprobe außerhalb des Menschen (oder des Tiers) ermittelt werden. Im Bereich der Labortechnik ergibt sich z.B. die Möglichkeit, die Vitalität von Zellen in einem Mikro-Fermenter kontinuierlich zu untersuchen.

Seit etwa fünf Jahren hat cellasys eine Kooperation mit der Akademie für Tierschutz in Neubiberg bei München, wo sie im Zellkulturlabor ihre Systeme betreiben und auch lebende Zellen am Leben erhalten kann, um so zum Beispiel im Bereich der Toxikologie zu forschen.

„Wir haben unter sterilen Bedingungen lebende Zellen, Fibroblasten, mit denen wir solche Untersuchungen machen können. Im Bereich Toxikologie sind das Untersuchungen, um z.B. Augenirritationsprobleme von neuen Kosmetika, Shampoos etc. herauszufinden, ohne das an einem Kaninchenauge testen zu müssen. Wir machen das an Bindegewebszellen“, erklärt Wiest. „Die Akademie für Tierschutz forscht schon sehr lange daran und versucht, alternative Methoden voranzubringen. Sie haben gesehen, dass unsere Technologie Potenzial hat, und daher haben wir diese Kooperationen und machen unterschiedlichste Anwendungen im Bereich Toxikologie.“

Von der Forschung bis zur offiziellen Zulassung ist es aber ein weiter und steiniger Weg, was auch Wiest erkennen musste. „Wir haben bereits gezeigt, dass wir diesen Kaninchenaugen-Reizungstest ersetzen können. Wir sind den Behördenweg gegangen und haben versucht, das Ganze zuzulassen, sind aber auf OECD-Ebene gescheitert“, sagt er, verspricht aber, nicht aufzugeben. „Es war ein Riesenaufwand, soweit zu kommen, und es ist natürlich frustrierend, dass es dort nicht weiter verfolgt wird. Aber wir bleiben dran.“

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Ein Mensch ist nicht 80 Kilogramm Ratte

Außerdem arbeitet man in Neubiberg auch an „Toxizität bei wiederholter Gabe“, also Langzeit-Toxizität. „Momentan wird das mit Fütterungsversuchen bei Ratten gemacht, das kann man aber auch mit Leberzellen machen, die in unserem System ebenfalls beobachtet werden.“ Es gibt also Alternativmöglichkeiten zu Tierversuchen. cellasys forscht auf diesem Gebiet und stellt die Ergebnisse vor. Außerdem würden Tierversuche sowieso hinken und abgesehen von den ethischen Bedenken seinen Versuche an lebenden, menschlichen Zellen auch effektiver. „Es gibt auch wissenschaftliche Bedenken, dass ein Versuch von einer Ratte auf einen Mensch übertragbar ist“, betont Wiest. „In gewissen Grenzen ist das zwar richtig, aber ein Mensch ist natürlich nicht einfach 80 Kilogramm Ratte.“

Bio-Chip “skin on a chip”

Für ihre „skin on a chip“ (Haut auf einem Chip)-Technologie ist cellasys gerade erst für den Lush Prize nominiert worden. Hierzu werden Hautmodelle oder lebende Haut bestellt, die in Labors in den USA und der Slovakei gezüchtet werden, denn „ein menschliches Hautmodell ist natürlich noch viel besser, als wenn man z.B. Fibroblasten hat.“

Die Zellen werden in einem Wärmeschrank aufbewahrt, der auf 37 Grad Celsius aufgeheizt ist, was der menschlichen Körpertemperatur entspricht. „Die Zellen leben hier und werden zweimal pro Woche von uns gefüttert. So haben wir regelmäßig lebende Zellen zur Verfügung, die wir für unsere Experimente nehmen können.“

Natürlich müssen diese Zellen unter absolut sterilen Bedingungen gehalten werden, um jegliche Kontamination zu vermeiden. „Sonst wird es kritisch.“ Daher wird in dem Labor auch weder gegessen noch getrunken. Vorbereitet wird alles in einem keimfreien, abgeschlossenen Arbeitsbereich, in den nur mit Handschuhen hineingefasst werden darf, bevor die Wissenschaftler an das Messsystem gehen.

„Die Zellen wachsen exponentiell. In einem Fläschchen sind ca. vier Millionen Zellen, für ein Experiment werden ca. 300.000 benötigt. Von diesen vier Millionen nehme ich 100.000 und gebe sie wieder in so ein Fläschchen und in einer Woche sind es wieder 4 Millionen“, beschreibt Wiest den Verlauf der Zellkultur. „Eine Fibroblastenzelle ist rund, wenn sie an die Oberfläche angedockt hat, wird sie langgezogen [siehe Titelbild]. Wenn es ihr gut geht, kugelt sie sich wieder ab, schnürt sich ein, und dann beginnt die Zellteilung. Deshalb sind die Zellen auch meistens paarweise unterwegs.“ [Der Vorgang der Zellteilung ist auf dem Titelbild in verschiedenen Stadien gut erkennbar].

Video: Tierversuche: Suche nach alternativen Methoden

Die auf dem Titelbild zu sehenden Zellen sind Bindegewebszellen einer Maus, allerdings musste, dank der deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen keine Maus geopfert werden, um diese Zellen zu gewinnen. Man kann die verschiedensten Zellen dort bestellen. „Die sind dort tiefgefroren und werden dann verschiedenen Labors zur Verfügung gestellt. Man kann auch menschliche Leber bestellen oder Tumorgewebe und auch andere Arten von Zellen“, so Wiest. „Diese Zellen wurden immortalisiert, das heißt, man kann diese Zellen im Wärmeschrank über Monate am Leben erhalten und kann sie dann immer für Experimente herausnehmen.“

Diese zweidimensional wachsenden Zellen, die auf einer Oberfläche anhaften, seien jedoch für gewisse Experimente nicht geeignet, betont er. „Für die Vorhersage von Augen Irritationen sind sie ausreichend, wenn man aber komplexere Vorgänge im menschlichen Körper im Modell wiedergeben möchte, benötigt man dreidimensionale Zellkonstrukte.“

Auch die werden im Labor gezüchtet und man kann sie bestellen. Dazu aber mehr im nächsten Teil.

Fotos: cellasys

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