Beim Autofahren Zeitung lesen, fernsehen oder gemütlich die Beine hochlegen und telefonieren, noch ist das alles verbotenund teilwesie auch unmöglich. In nicht allzu ferner Zukunft könnte es aber zum alltäglichen Bild auf unseren Straßen gehören, und die Fahrer von heute könnten in selbstfahrenden Autos nur noch Passagiere sein. In Frankreich sollen bereits zwischen 2020 und 2022 sogenannte „Level-3“-Fahrzeuge, die z.B. selbstständig die Spur halten oder wechseln können, für öffentliche Straßen freigegeben werden.
Fahrassistenzsysteme wie Einparkhilfen, Bremsassistenten, automatische Abstandskontrolle etc. sind schon jetzt Teil eines jeden neuen Autos. Bis die Fahrzeuge sich auch komplett selbständig ihren Weg durch den Verkehr bahnen können, wird es aber noch einige Jahre dauern. Dafür muss die Technik absolut zuverlässig sein, da die Verkehrsteilnehmer nicht mehr ständig auf den Verkehr achten werden. Dabei kommt es nicht zuletzt auf Sensoren, wie die Radarsensoren an, die auch heute schon Hindernisse erkennen und sogar eine Vollbremsung einleiten können, wenn es sein muss. An Sensoren in autonomen Autos werden noch weit höhere Anforderungen gestellt, da im Fall der Fälle der Hersteller dafür verantwortlich ist, Unfälle zu verhindern, wenn es keinen Fahrer mehr gibt, der eingreift.
Aus diesem Grund liegt die Latte in Sachen Sicherheit und Zuverlässigkeit bei den Herstellern sehr hoch und jeder einzelne Sensor wird über Millionen Kilometer hinweg getestet. Das bedeutet, dass jede Menge Autos auf lange Testfahrten geschickt werden müssen, und sollte dann ein Fehler mehr als ein Mal auftreten, wird der Sensor nachgebessert und alles geht von vorne los. Ein ausgesprochen zeitraubender und kostspieliger Prozess.
„Das sind eine Menge Kilometer“, sagt Dr.-Ing. Thomas Dallmann, Leiter der Forschungsgruppe Aachen am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR. „Zudem müssen ja mehrere Sensoren getestet werden, um die Zuverlässigkeit statistisch nachweisen zu können. Das bedeutet, dass mehrere Testfahrzeuge mit Sensor lange unterwegs sein müssten.“
Tests ins Labor verlagern
Forscher des Fraunhofer-Instituts in Wachtberg haben nun einen Weg gefunden, viele dieser Testfahrten von der Straße ins Labor zu verlagern. Mithilfe eines neuen Testgeräts können den Sensoren nämlich künstliche Szenerien vorgegaukelt werden, die den realen Bedingungen im Straßenverkehr sehr nahe kommen.
Radarsensoren werden bereits auf diese Weise im Labor getestet. Sie senden ein Signal aus, das von verschiedenen Gegenständen reflektiert wird. Die Sensorelektronik kann dann anhand des Echos die Szene analysieren und messen. Wie weit sind die Objekte entfernt, oder auch, wie schnell bewegen sie sich – eine Funktion, die Autofahren, die zu schnell unterwegs sind, immer mal wieder teuer zu stehen kommt.
Dieses Prinzip konnte mithilfe sogenannter Radarzielsensoren bereits im Labor nachgestellt werden. „Diese Sensoren nehmen die vom Fahrzeugradar ausgesandten Radarstrahlen auf. Anschließend verändern sie dieses Radarsignal so, als hätte es Gegenstände getroffen – und schicken diese Information als künstliches Echobild zurück zum Auto. Der Radarzielsensor gaukelt dem Fahrzeugradar also eine künstliche Landschaft vor“, erklärt man beim Fraunhofer-Institut. Und das alles im Labor, ohne dass ein einziges Auto auf die Straße geschickt werden muss. Außerdem kann der Test Tag und Nacht ohne Unterbrechungen laufen.
Das Problem der wenigen Radarzielsensoren, die heute auf dem Markt sind, bestehe darin, dass sie bei weitem keine ganze Echolandschaft generieren könnten, betonen die Wissenschaftler. „Letztlich können die meisten nur ein sehr reduziertes Bild mit einer einstelligen Anzahl von Reflexionen erzeugen und zum Autoradar zurücksenden“, sagt Dallmann. „Im Vergleich zur natürlichen Umgebung ist das extrem wenig.“
In der Wirklichkeit besteht eine Szenerie aus hunderten von reflektierenden Objekten: Menschen, Autos, Bäumen, Häusern, Ampeln und so weiter. Darüber hinaus kann bereits ein einzelnes Auto verschiedene Reflexionen an unterschiedlichen Orten erzeugen, wie Stoßstange, Räder oder Seitenspiegel. „Was das Testen von Sensoren für das autonome Fahren angeht, ist man damit noch sehr weit von einem realistischen Setting entfernt«, so der Ingenieur.
Wie ein Autokino für den Radarsensor
Radarzielsensor mit bis zu 300 Reflexionen
Gemeinsam mit seinem Team entwickelt Dallmann deshalb einen neuen, leistungsfähigeren Radarzielsensor mit dem Namen ATRIUM (Automobile Testumgebung für Radar In-the-loop Untersuchungen und Messungen). Im Gegensatz zu den herkömmlichen Radarzielsensoren kann der eine vuel größere Anzahl an reflektierenden Objekten erzeugen. Das Ziel der Wissenschaftler sind bis zum Projektabschluss 300 Reflexionen. „Damit kann ATRIUM dem Radarsensor im Auto eine relativ naturgetreue Szene vorspielen – das ist ein wenig wie ein Autokino für den Radarsensor“, so Dallmann.
Details über die neue Technologie kann Dallmann noch nicht bekanntgeben, da ATRIUM zum Patent angemeldet ist. „Wir haben den Aufbau der Sendekanäle optimiert, wodurch diese kostengünstig aufgebaut werden können“, sagt er. „Dadurch lassen sich die Reflexionen so darstellen, dass diese auch aus verschiedenen Richtungen auf das Radar einfallen können.“ Neue Sensoren für das autonome Fahrzeug könnten dadurch jetzt realitätsnah und in vollem Umfang getestet werden. „Wir werden zukünftig in der Lage sein, hochkomplexe Tests laufen zu lassen, dank derer sich der Zeitaufwand von Testfahrten wesentlich reduzieren lässt.“
Dallmann und seine Kollegen werden den Labortestaufbau aus Fahrzeugradar und dem ATRIUM-Radarzielsensor während der Automotive Testing Expo vom 21. Mai bis zum 23. Mai in Stuttgart vorstellen.
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