Von personalisierten Wearables können Endverbraucher nur träumen. Die Künstlerinnen von Kobakabant wollten das ändern – zumindest temporär. Sie eröffneten Koba, eine Schneiderei für maßgefertigte Technologien und boten ihre Leistung zu erschwinglichen Preisen an.
Hannah Perner-Wilson und Mika Satomi lernten sich 2006 an der Kunstuniversität Linz kennen und arbeiten seither gemeinsam an künstlerischen Projekten. “Wir waren nie am nächsten großen Ding interessiert, sondern an mehr Diversität”, erklärt Satomi. Die Tatsache, dass E-Textilien vor der Industrialisierung stehen, veranlasste sie 2011 zur Verfassung des Papiers Future Master Craftsmanship: Where We Want Electronic Textile Crafts To Go, das im selben Jahr zum Internationalen Symposium Elektronische Kunst in Istanbul 2011 veröffentlicht wurde. Inspiriert von ihren Ideen in dem Papier, fertigten sie 2012 Crying Dress – eine Art Trauerkleid. Es war mit Stromkreisläufen verziert und weinte gemeinsam mit seinem Träger. Crying Dress war ein Plädoyer für eine handwerklich orientierte technologische Zukunft, welche die vorherrschende Entqualifizierung und Ausbeutung im Elektronik- und Textilsektor ablöst.
Kobakabant
Im selben Jahr gründeten Satomi und Perner-Wilson das Künstlerkollektiv Kobakabant in Berlin. Perner-Wilson:
„Wir wollten nie einfach nur Produkte designen und produzieren. Für uns waren E-Textilien und Wearable Technologien immer ein künstlerisches Medium, ein narratives Tool, um soziale und technologische Probleme zu kommentieren.“
Den Grundstein zu ihrer Arbeit legte die Datenbank How to get what you want. Die Datenbank dient der Dokumentation aller Wearable Technologien und Stromkreise, welche die beiden seit 2007 entwickelt haben. Im Open Source-Modus sollen die Designs inspirieren und zum do-it-yourself animieren. In der Zwischenzeit ist die Datenbank nur mehr eines von mehreren Projekten auf der Website von Kobakabant. Aber How to get what you want sollte zum Leitmotiv ihrer Arbeit werden.
Wear Sustain
Ihre Projekte bauen aufeinander auf. Allen gemeinsam ist die Idee, Wearable Technologien allen zugänglich zu machen. Zuletzt nutzten sie die Förderung Wear Sustain im Rahmen des EU Horizon 2020-Programms, diese Vision umzusetzen. Ohne monetäre Förderung wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Satomi: „Wenn zwei Menschen zwei Wochen lang an einem Stück arbeiten, müsste das 4000 Euro kosten. Tatsächlich zahlten sie dreihundert bis 1000 Euro. Das sind kleine teure Kleidungsstücke. Aber zuvor konnten sie nicht mal daran denken, diese zu kaufen. Jetzt konnten sie.“
Ziel des Förderprogramms war die Unterstützung von kritischen, ethischen, nachhaltigen und ästhetischen Technologien. Vorgesehen war eine über sechs Monate laufende Förderung, die im Februar 2018 endete.
Langlebigkeit
Der nachhaltige Ansatz von Kobakabant ist Langlebigkeit. Ausgehend davon, dass ein Nutzer, der in den Kreationsprozess eingebunden ist, das nach seinen Bedürfnissen gefertigte Produkt länger nutzen wird. Darüberhinaus verfügen die Produkte auch über relevante Eigenschaften. Unter anderem sind diese robust, dauerhaft, zeitlos, einfach zu warten, reparierbar und hackbar. Wie Satomi erklärt, kann der Nutzer das Produkt zur Reparatur bringen oder mit Reparaturanleitung selbst reparieren.
Durch ihren künstlerischen Zugang zu E-Textilien und Wearable Technologien setzten Satomi und Perner-Wilson ihrer Fantasie nie Grenzen. Die Teilnahme an Wear Sustain nutzten sie, um ihre Vision zurück in die Wirklichkeit zu holen – und zu erforschen, was sich Endverbraucher von Technologie wirklich erwarten.
Perner-Wilson: Wir wollten keine bestimmte Gruppe erreichen, sondern alle. Die Frage war, wie wir sie erreichen und wie wir sie zum Denken bringen.“
Schneiderei für maßgeschneiderte Technologien
Schließlich einigten sie sich auf eine Schneiderei für maßgeschneiderte Technologien, welche sie Koba nannten. Sie mieteten ein Lokal in Berlin Kreuzberg, um Laufkunden anzuziehen – wie der Laden um die Ecke.
Die Koba Schneiderei für maßgeschneiderte Technologien war eine Art Showroom, in dem eine Reihe von Prototypen zu sehen waren, welche die konzeptionellen, technischen und ästhetischen Möglichkeiten zeigten. Zusätzlich war es ein Ort, an dem man sich austauschen konnte. Am Anfang wurden Experten-Talks zu Themen wie Industriedesign, Nachhaltigkeit, Datenschutz etc. durchgeführt. Später ging man zu Workshops über.
Perner-Wilson: „Wir fanden heraus, dass es längere Gespräche braucht, um in den Designmodus zu kommen. Laufkunden haben diese Zeit oft nicht.”
Dokumentation
Trotzdem bekamen sie von Anfang an Aufträge und das Projekt entwickelte sich rasch zur Vollbeschäftigung. Nachdem das Förderprogramm ausgelaufen war, entschieden sie, die Schneiderei für maßgeschneiderte Technologien um weitere elf Monate zu verlängern. Ende Januar 2019 läuft das Projekt aus und die entstandenen Produkte werden ausgestellt. Die Geschichten ihrer Kunden, die Arbeit an den Prototypen und ihre Produktionserfahrungen wurden dokumentiert und veröffentlicht. Die Dokumentation einzelner Aufträge ist schon jetzt auf der Website zu finden.
Ein wesentlicher Befund des Projekts, ist, dass die Kunden nicht für absurde Dinge zu begeistern waren, sondern nützliche Dinge wollten. Perner-Wilson: „Man will nicht Zeit und Geld in Dinge investieren, die nicht nützlich sind.“
Nützliche Dinge
Etwa die Hälfte der Kunden waren Künstler und wünschten sich elektronisch erweiterte Teile, die auf der Bühne zu nutzen sind. Darunter war eine Darstellerin, die ein gehäkeltes Cape beauftragte. Dieses sollte die Bewegungen einfangen, welche das Publikum andernfalls möglicherweise nicht sehen würde. Das Cape fühlt ihre Bewegungen über die integrierten Sensoren und gibt Feedback. Sie entscheidet, wie sie die Daten nutzt – ob bestimmte Impulse das Tonvolumen regulieren oder einen Ton auslösen … Ein Musiker beauftragte einen goldenen Jumpsuit mit LED-Stromkreislauf für seine neue Discolele Performance.
Einem Kunden fehlte das letzte Glied an einem Finger und er wollte Fingersensoren mit einer Schnittstelle, damit die Prothese der Bewegung des zentralen Fingergelenks folge. Der Sensor war via Band mit einem Microcontroller am Handgelenk verbunden. Verärgert, weil die Prothesen patentiert sind und der Markt von wenigen Firmen kontrolliert wird, wollte er seine Entwicklung anderen Betroffenen kommunizieren.
Über Mika Satomi und Hannah Perner-Wilson:
Mika Satomi hat einen Bachelor in Graphik-Design an der Zokei Universität in Tokyo und einen Master in Media Creation vom japanischen Institut IAMAS. 2009 forschte sie am Distance Lab in Schottland an Methoden, textiles Handwerk und Technologie zu verbinden. Dem folgten zwei Jahre Forschungsarbeit im Smart Textile Design Lab am Textilehögskolan in Borås (Schweden). Von 2014 bis 2016 war sie Gastprofessorin am eLab in der Weißensee Kunsthochschule Berlin.
Hannah Perner-Wilson hat einen Bachelor in Industrial Design von der Universität für Kunst und Industriedesign Linz und einen Master in Media Arts and Sciences vom MIT Media Lab an der Universität Massachusetts Institute of Technology, wo sie Studentin in der High-Low Tech Forschungsgruppe war. 2009 war sie im Forschungsteam des Distance Lab in Schottland.
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