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Ob in der Medizin oder als Verpackungsmaterial – Kunststoffe sind in vielen Lebensbereichen unersetzlich. Aber allein die Tatsache, dass diese durch Recycling wiederverwertet werden können, rechtfertigt noch nicht unseren Umgang damit. Denn vor allem durch achtlos weggeworfenes Verpackungsmaterial ist in den vergangenen Jahrzehnten ein massives Müllproblem entstanden. Dabei sind Kunststoffe kaum abbaubar und bleiben mehrere Jahrhunderte als Problemstoff in der Umwelt zurück. Deshalb kann Recycling nur eine von mehreren Strategien zur Beseitigung der globalen Kunststoffhalde sein.

Kunststoff in den Meeren

In einer Diskussion an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien wurden kürzlich alarmierende Zahlen genannt:

Allein in Europa werden derzeit jährlich 200 Millionen Tonnen Kunststoff produziert.

In den Weltmeeren stellt dieser einen Abfallanteil von 80 bis 85 Prozent dar. 1999 betrug das Verhältnis von Kunststoff zu Plankton noch 6:1. Bis 2009 hat sich dieser Anteil verzehnfacht und ist auf 60:1 gestiegen. Wenn wir unseren Umgang mit Kunststoff nicht überdenken, dann wird es 2050 mehr Kunststoffe im Meer geben, als Fische, so die Prognose.

Kunststoff kaum abbaubar

Wenn Kunststoffe verwittern, dann zerfallen sie in immer kleiner werdende Fragmente. Die tatsächliche Masse bleibt dabei aber unverändert. Die Fragmente sind mobil, wandern in den Boden und in die Gewässer und gelangen schließlich über die Nahrung in den menschlichen Körper. Das ist insofern problematisch, als die Zusatzstoffe zum Teil toxisch sind und mittlerweile in fast jedem Menschen im Blut und im Harn nachgewiesen werden. Außerdem weiß man nicht genau, was genau in Kunststoffen enthalten ist.

Verbot der Einweg-Plastik-Produktion

Die Europäische Union nimmt eine Vorreiterposition ein und hat als erster Kontinent weltweit das Verbot der Einweg-Plastik-Produktion beschlossen. Ebenso weltweit einzigartig wurden rechtlich verbindliche Quoten für das Recycling festgelegt, erklärte Prof. Dr. Martin Selmayr, Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich. Bis zum Jahr 2022 sollen neun von zehn Flaschen dem Recycling zugeführt werden.

Voraussetzungen für Recycling verbessern

Aber will Europa tatsächlich, gemäß dem Klimaschutzübereinkommen von Paris, bis 2050 klimaneutral sein, dann müssen die Recyclingmöglichkeiten noch verbessert werden. Deshalb will die Europäische Kommission den Anteil von verwertbarem Plastikmüll steigern. Den Weg bereitete eine im Juli 2020 beschlossene Plastikabgabe für Unternehmen: Diese sollen in Zukunft 80 Cent pro Kilogramm nicht verwertbarem Plastikmüll bezahlen. „Das werden Industrie und Verbraucher gleichermaßen spüren“, so Selmayr. „Denn nur was teuer ist, wird am Ende nicht gekauft.“ Wobei die Umsetzung der Rechtsnorm freilich den Mitgliedsstaaten obliege.

Denn nur was teuer ist, wird am Ende nicht gekauft.

Prof. Martin Selmayr, Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich

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Dazu das Beispiel Österreich: Hier fallen derzeit eine Milliarde Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr an. Davon werden nur 25 Prozent dem Recycling zugeführt. Der Großteil wird verbrannt – und das verursacht CO2-Emissionen. Recycling führt letztendlich zur Kreislaufwirtschaft, in der der Abfall wieder zum Rohstoff wird. Momentan sind aber erst zehn Prozent der österreichischen Wirtschaft kreislauffähig, so die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler.

Kunststoff vermeiden

Neben dem Recycling und dem Umstieg auf biobasierte Kunststoffe, braucht es auch noch den Willen, Kunststoff zu vermeiden. „Denn die globale Ackerfläche wird nicht reichen, um die erforderliche Menge an geeigneten pflanzenbasierten Rohstoffen anzubauen“, so Gewessler. Deshalb setzt sie auch auf Vermeidung und will die Menge an Plastikmüll um 20 Prozent reduzieren. Das Gros kommt aus Verpackungen und Gewessler arbeitet gerade eine lange Liste ab. Dabei stellt sie sowohl den Plastikeinband von Schulbüchern in Frage als auch die Kunststofftüten in die Magazine im Postversand verpackt werden. 

Einwegpfand und Mehrwegquote

Das hohe Müllaufkommen bei Plastikflaschen will Gewessler mit einem Zwei-Säulen-Modell reduzieren: Ab Januar 2024 tritt eine Mehrwegquote in kraft und dann können Verbraucher*innen zwischen Einwegpfand und Mehrwegsystem wählen. Das sei ein substanzieller Schritt, weil derzeit große Teile des Lebensmitteleinzelhandels überhaupt kein Mehrwegangebot haben, so die Umweltministerin. Dabei sei es „einfach die ökologisch sinnvollste Variante, Flaschen öfter zu nutzen. Österreich ist auch das einzige Land in der EU, das diese Regelung so verbindlich macht“.

„Es ist einfach die ökologisch sinnvollste Variante, Flaschen öfter zu nutzen.“

Leonore Gewessler, österreichische Umweltministerin

Unüberblickbare Zahl an Kunststofftypen

Wenn Kunststoff in die Umwelt gelangt, dann ist das eine Gefahr für Mensch und Natur. Deshalb fordern die bei der Diskussion anwesenden Forscherinnen von der Universität für Bodenkultur ein strenges Sammelsystem. Das scheitert aber schon allein an der Vielfalt an verschiedenen Kunststofftypen. Denn nicht jeder Kunststofftyp ist für jede Anwendung geeignet. Dazu die Umweltbiotechnologin Dr. Ines Fritz: „ Wir sind heute schon in der Lage, die Eigenschaften von Kunststoffen zu formen und zu verändern, so dass sie sich für alle möglichen Anwendungen eignen. Als Einzelsubstanz sind sie rein theoretisch zu 100 Prozent recycelbar.“ Allerdings müssten sie dann auch in allen Haushalten separat gesammelt werden. Bei einer Menge im dreistelligen Bereich scheint dies aber schier unmöglich.

Genauso wenig wie es den einen Kunststofftyp gibt, der für alle Anwendungen geeignet ist, gibt es den einen Biokunststoff, der alle synthetischen Kunststoffe ablöst und in allen Bereichen besser ist. „Aber dort wo wir nicht vermeiden können, dass gewisse Reste in die Umwelt gelangen, sind abbaubare Kunststoffe jedem beliebigen konventionellen Kunststoff haushoch überlegen und dort haben wir natürlich auch die Einsatzgebiete“, sagt Fritz. Sie  ist überzeugt, dass wir damit die Umweltprobleme, die wir in den vergangenen 70 Jahren verursacht haben, wieder vermindern könnten.

Nicht wiederverwertbare Verbundstoffe

„Unser momentan größtes Problem sind die Verbundstoffe und die Mehrkomponentenmaterialien, die durch die bestehenden Methoden im Recycling nicht mehr zu zerlegen sind”, sagt Dr. Doris Ribitsch vom Institut für Umweltbiotechnologie an der BOKU Wien. Die Forscherin hat ein grünes Verfahren zur Extraktion von Kunststoff aus Mischfasern entwickelt. Dabei setzt sie Enzyme von Bakterien aus der Natur als Biokatalysatoren ein. Diese sind in der Lage, synthetische Kunststoffe zu spalten.

Aber egal, ob der Kunststoff synthetisch oder biobasiert ist, „wir müssten eigentlich für jeden Kunststofftyp eine eigene Methode für das Recycling entwickeln“, so die Forscherin. Die bestehenden Methoden sind nur für das Recycling bestimmter Kunststoffe anwendbar und nicht alle Methoden sind umweltfreundlich. Ribitsch: „Ziel muss es sein, die Zahl der Kunststoffe zu reduzieren. Je kleiner die Breite an Kunststoffen und auch Bioplastik, desto einfacher wird das Recycling und das muss das Ziel sein. Wir müssen möglichst viel sammeln, damit es nicht in die Umwelt gelangt, und das Gesammelte dann verwerten – und nicht verbrennen“, so Ribitsch.

„Wir müssen möglichst viel sammeln, damit es nicht in die Umwelt gelangt und das Gesammelte dann verwerten – und nicht verbrennen.“

Dr. Doris Ribitsch vom Institut für Umweltbiotechnologie an der BOKU Wien

Kontrolle der globalen Produktion

Allein die Europapolitik kann das Problem mit dem Plastikmüll aber nicht lösen. Kunststoffe werden auch außerhalb der geographischen Grenzen produziert und gelangen unweigerlich nach Europa. „Auch im globalen Handel sollen diejenigen den Vorteil haben, die klimagerecht produzieren. Momentan ist das leider umgekehrt. Auch dieses System müssen wir ändern“, sagte Gewessler.

Selmayr hält einen Marktmechanismus wie den Europäischen Emissionshandel (ETS) in der Kunststoffproblematik für wenig praxisnah. Er plädierte für den direkteren Ansatz, der durch die Plastikabgabe in der Produktion ohnehin bereits gegeben sei.

Internationale rechtliche Standards

Was die Zusammenarbeit mit Drittstaaten angeht, sei es eher Europa, das in den Rest der Welt Plastikmüll exportiere als umgekehrt. China sprach 2017 ein Verbot für Plastikmüllexporte aus dem Ausland aus und erst das habe die Kreislaufwirtschaft in Europa populär gemacht. „Auf einmal merkte man, dass die Kreislaufwirtschaft ein Geschäft sein kann und dass bis zu 700 000 Arbeitsplätze entstehen können“, so Selmayr.

Aber freilich zähle Europa nicht zu den Hauptproduzenten im Kunststoffsektor – und eben diese müssten aber überzeugt werden. Das werde gelingen, wenn Europa mit gutem Beispiel vorangehe und auch internationale rechtliche Standards gesetzt werden.

Plastiktütenverbot in Kenia

In Kenia ließ sich schon 2017 ein Plastiktütenverbot durchsetzen. Das führt der anwesende Filmregisseur Werner Boote auf die Abwesenheit einer Kunststofflobby zurück. Sein 2009 erschienener Dokumentarfilm Plastic Planet rangiert unter den 100 erfolgreichsten Dokumentarfilmen weltweit. Boote plädierte in der Diskussion übrigens für eine Besteuerung von erdölbasiertem Kunststoff, weil es für Umwelt und Gesundheit eine Bedrohung darstelle. Es enthalte Substanzen, die krebserregend seien und Herzerkrankungen und Unfruchtbarkeit hervorrufen können.

Boote: „Diese Schäden gibt es und deswegen ist es logisch, erdölbasierte Kunststoffe zu besteuern und dieses Geld dann in die Forschung oder in die Gesundheitsforschung zu stecken, weil dort gehört es hin.“

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