Jedes Jahr leiden und sterben rund drei Millionen Tiere in Versuchslaboren weltweit. Laut Zahlen des Deutschen Tierschutzbundes wurden im Jahr 2018 insgesamt 2.825.066 Wirbeltiere und Kopffüßer (Kraken und Tintenfische) für wissenschaftliche Zwecke „verwendet“. 686.352 Tiere wurden ohne Tests getötet. Internationale Wissenschaftler haben nun auf Einladung der Universität Bern neue Empfehlungen für Tierversuche erarbeitet und „fordern einen Paradigmenwechsel, um die Reproduzierbarkeit von Versuchsergebnissen zu verbessern und gleichzeitig die Zahl der Versuchstiere zu vermindern“.
In Allgemeinen finden Tierversuche unter streng standardisierten Laborbedingungen statt. So soll die Reproduzierbarkeit der Versuchsergebnisse verbessert werden, was allerdings nur selten der Fall ist. Im Gegenteil. Die Reproduzierbarkeit ist erstaunlich schlecht. Durch absichtlich eingeplante biologische Variation im Versuchsdesign sollen die Ergebnisse in Zukunft aber verlässlicher werden, wenn es nach den Forschern aus verschiedenen Fachgebieten geht.
„Wissenschaftliche Ergebnisse in unabhängigen Studien zu reproduzieren, ist die Nagelprobe, mit der Forschende Fakten von Anekdoten unterscheiden“, sagt Bernhard Völkl, der den Workshop zusammen mit Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Universität Bern, ausgerichtet hat. Würbel erklärt, mangelnde Reproduzierbarkeit verursache „ökonomische Kosten und wissenschaftliche Unsicherheit – und ist ethisch bedenklich, wenn dadurch medizinischer Fortschritt behindert und Tiere in nicht aussagekräftigen Versuchen verwendet werden“.
Mehr biologische Variation nötig
Strikte Standardisierung der Tiere und der Haltungsbedingungen sei bei Tierversuchen die Norm, zum Beispiel bei der Erforschung der Wirkung neuer Medikamente, sagen die Wissenschaftler. Indem man möglichst alle Einflussfaktoren, außer der Versuchsbehandlung, eliminiere, sollten die „Präzision der Versuchsergebnisse erhöht und gleichzeitig der Tierverbrauch vermindert werden“. Eine derartige Standardisierung hat allerdings zur Folge, dass die Versuchsergebnisse nur sehr beschränkt übertragen werden können.
„Der Geltungsbereich vieler Tierversuche ist so eingeschränkt, dass ein erhebliches Risiko besteht, Versuchsergebnisse zu erzielen, die nicht reproduzierbar sind“, sagt Würbel. Daher empfehlen die Forscher eine „Heterogenisierung“. Durch eine solche geplante biologische Variation im Versuchsdesign von Tierversuchen soll der Geltungsbereich der Ergebnisse erweitert und so die Reproduzierbarkeit verbessert werden.
Weniger Tiere für mehr Erkenntnisse
„Mit solchen Versuchsdesigns können wir vergleichbare Versuchsbedingungen und biologische Variation unter einen Hut bringen und damit feststellen, ob die Ergebnisse robust sind gegenüber Variation in den Versuchsbedingungen“, sagt Naomi Altman, kürzlich emeritierte Professorin an der Penn State University (Philadelphia, USA). Um diese biologische Variation einzuplanen, gäbe es viele Möglichkeiten, wie zum Beispiel mehrere Zuchtlinien oder Altersgruppen der Tiere, oder unterschiedliche Haltungsbedingungen. Darüber hinaus könnten Versuche auch in mehreren Teilversuchen oder in mehreren Labors durchgeführt werden.
„Es gibt nicht die eine beste Lösung für alle Versuche“, sagt Völkl. „Deshalb empfehlen wir die Heterogenisierung von Tieren und Umweltbedingungen in allgemeiner Form. Forschende sollten ihre Lösungen mit Blick auf den angestrebten Geltungsbereich der Versuchsergebnisse begründen.“ Auch wenn für einzelne Versuche mehr Tiere verwendet würden, würde so der Gesamtverbrauch an Tieren abnehmen, betonen die Forscher in ihrer Studie, die in der Zeitschrift «Nature Reviews Neuroscience» veröffentlicht wurde. „Wir schlagen einen Paradigmenwechsel vor, um den Nutzen von Tierversuchen zu erhöhen und damit den Tierverbrauch zu vermindern“, so Würbel: „Statt die Anzahl Tiere pro Tierversuch zu minimieren, sollten wir den Erkenntnisgewinn pro Tier oder Versuch maximieren.“
Der Workshop wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und von der Abteilung Tierschutz der Universität Bern unterstützt.