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Im Jahr 2018 sorgte eine Studie von Tübinger Forschern für Aufsehen, dass Alzheimer-Demenz, entgegen allgemeiner Annahme, ansteckend sein könnte. Sicher bewiesen ist das bis heute nicht, ein internationales Forscherteam gießt bezüglich der Übertragbarkeit „nicht-übertragbarer Krankheiten“ nun aber neues Öl ins Feuer.

Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass Krankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs oder bestimmte Lungenkrankheiten, die aktuell bis zu 70 Prozent der nicht-natürlichen Todesfälle weltweit ausmachen, zu diesen „nicht-übertragbaren Krankheiten“ gehören. Bei der Weltgesundheitsorganisation WHO glaubt man, dass sie durch eine Kombination von genetischen Veranlagungen, Lebensstil und Umweltfaktoren verursacht werden. Eine Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch wird ausgeschlossen.

Ein Team des „Humans & the Microbiome”-Programms des Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) unter Beteiligung von Professor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun aber überzeugende Hinweise dafür gefunden, dass viele als nicht-übertragbar eingestuften Krankheiten über das Mikrobiom möglicherweise doch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden können. An der Übertragung beteiligt sei auch die Darmflora, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal Science. „Wenn sich unsere Hypothese als richtig herausstellt, wird sie unsere Auffassung der öffentlichen Gesundheit völlig neu definieren”, sagt Brett Finlay, Professor für Mikrobiologie an der Universität von British Columbia und Leiter des CIFAR-Forschungsprogramms „Humans & the Microbiome“.

Grafik: V. Altounian/Science

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das menschliche Mikrobiom bei vielen Erkrankungen wie Adipositas, entzündlichen Darmerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Typ-2-Diabetes im Vergleich zum gesunden Körper deutliche Veränderungen zeigt. Außerdem fanden sie im Laborexperiment zahlreiche Beweise dafür, dass solche veränderten Mikrobiome zu Krankheiten in zuvor gesunden Modellorganismen führten. So wurde eine normal gewichtige Maus übergewichtig, nachdem man ihr das Darmmikrobiom einer fettleibigen Maus transferiert hatte. „Wenn man diese Fakten zusammenfasst, legt das die Vermutung nahe, dass viele traditionell nicht als übertragbar eingestufte Krankheiten vielleicht doch übertragbar sind”, betont Finlay.

Übertragung von Mikroorganismen auch beim Menschen möglich

Forscher aus Boschs Arbeitsgruppe an der Kieler Universität konnten diese These untermauern. „Hält man Labortiere wie die Süßwasserpolypen nicht einzeln, sondern über eine gewisse Zeit in einem gemeinsamen Lebensraum, gleicht sich zunächst ihr Mikrobiom und in der Folge und auch ihre äußere Erscheinungsform einander an“, erklärt Bosch. Sein Team konnte nachweisen, dass die Mikroben dabei direkt von einem Individuum zum anderen gelangen. „Möglicherweise findet diese Übertragung des Mikrobioms auch beim menschlichen Zusammenleben statt, zum Beispiel durch intensive soziale Kontakte oder in gemeinsamen Wohnungen“, vermutet Bosch.

Die Autoren geben zu, dass ihre Hypothese gewagt sei und viele der beteiligten Mechanismen noch unbekannt seien. So wüsste man immer noch nicht, in welchen Fällen diese Form der Übertragung zunehme oder ob „auch ein gesunder Zustand übertragen werden kann”, sagt Mitautorin Maria Gloria Dominguez-Bello, Professorin an der Rutgers University in New Jersey. Um das herauszufinden, seien noch weitere Forschungen nötig. Die Forscher betonen jedoch, dass zweifellos ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem gestörten Mikrobiom und vielen Krankheiten bestehe.

Weitere Forschungung zur Übertragbarkeit

Im Rahmen künftiger Forschungen wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie das Mikrobiom bei der Übertragung von Krankheiten beispielsweise mit bestimmten Umweltbedingungen und genetischen Faktoren zusammenwirkt. „Die neue Hypothese macht klar, dass wir Störungen der mikrobiellen Besiedlung des Körpers viel stärker als bisher als Krankheitsursache in Betracht ziehen und auch die potenziellen Übertragungswege näher erforschen müssen“, sagt Bosch. „Dieser Aspekt wird in den kommenden Jahren einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in unserem Metaorganismus-Sonderforschungsbereich sein.“