Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die daraus resultierende geopolitische Situation hat die Dringlichkeit erneuerbarer Energien erneut deutlich gemacht. Zu den großen Hoffnungsträgern zählt Wasserstoff, der die Fähigkeit hat, Strom aus den erneuerbaren Energien Biomasse, Wind und Sonne zu speichern. Derzeit kann umweltfreundlicher Wasserstoff allerdings nur mit kostspieligen Verfahren hergestellt werden und ist dadurch erst in geringen Mengen verfügbar. Dabei wäre grüner Wasserstoff unter anderem eine sehr gute Lösung für die energie-intensive Industrie.
Damit grüner Strom schon bald möglich ist, wollen die Technische Universität Graz und das AIT Austrian Institute of Technology in Wien, die Entwicklung innovativer und effizienter Technologien für die Produktion von grünem Wasserstoff beschleunigen. Die Forschungseinrichtungen starten im Sommersemester 2023 ein gemeinsames Doktoratsprogramm zum Themenbereich Wasserstofftechnologien. Im Fokus steht die Hochtemperatur Elektrolyse (HTE), die auch unter der Bezeichnung SOECs (Solid Oxyde Electrolyzer Cell) läuft. Das Verfahren ist noch relativ neu, aber vielversprechend – und die Forscher wollen gesamtheitliche Verbesserungen erreichen. Erforscht werden sollen sowohl die Materialien als auch der Systemaufbau der HTE – und deren Integration in Industrieprozesse. Univ.-Prof. Dr. Christoph Hochenauer, der an der TU Graz am Institut für Wärmetechnik forscht, im Interview mit Innovation Origins:
Warum kann grüner Wasserstoff noch nicht in größerem Stil hergestellt werden?
Umweltfreundlicher Strom ist erneuerbar hergestellter Strom aus zum Beispiel Biomasse, Photovoltaik oder Windkraft und davon gibt es in Mitteleuropa noch viel zu wenig. Mit nicht vorhandener erneuerbarer Energie können wir keinen grünen Wasserstoff herstellen. Soviel zur volkswirtschaftlichen Perspektive.
Und woran hakt grüner Wasserstoff im Bereich der Technologie?
Gängige Elektrolyseure haben einen noch recht geringen Wirkungsgrad von 50 bis 60 Prozent – und das gilt sowohl für die alkalische Elektrolyse als auch für die Proton Exchange Membrane (PEM)-Elektrolyse. Das heißt, aus 100 Prozent elektrischer Energie kann man schlussendlich nur 50 bis 60 Prozent chemische Energie in Form von grünem Wasserstoff gewinnen. Der Rest sind Wärmeverluste, die kaum oder gar nicht genutzt werden können. Durch die derzeit geringen Elektrolysewirkungsgrade ist es noch nicht sehr attraktiv, grünen Wasserstoff herzustellen – und schon gar nicht, wenn wir zu wenig erneuerbaren Strom haben.
Was bedeutet diese Hürden für Ihre Forschungsziele?
Unser Forschungsziel ist es, die Wirkungsgrade der Elektrolyse massiv zu steigern. Dabei konzentrieren wir uns auf Hochtemperatur Elektrolyseure, an denen wir am Institut schon lange forschen. Bei der Hochtemperatur-Elektrolyse wird Wasserdampf bei Temperaturen zwischen 750 und 850 Grad Celsius in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet. Verwendet man dafür Strom aus erneuerbaren Quellen, entsteht grüner Wasserstoff mit einem Wirkungsgrad von bis zu 85 Prozent. Mit diesen Werten ist sie signifikant besser als alles bisher Dagewesene im Elektrolysebereich – und hier wollen wir auch weiterhin signifikante Verbesserungen erzielen.
Auf welchem Forschungsstand bauen Sie im neuen PhD auf – welche Herausforderungen sind zu meistern?
Wir haben unsere Forschung vor zehn Jahren auf der Einzelzellebene begonnen. Damals haben sich die Zellen noch relativ rasch delaminiert – das heißt sie haben sich nach kurzer Zeit in Einzelteile aufgelöst. Vor fünf Jahren waren wir dann so weit, dass die Zellen dauerhaft gehalten haben. Allerdings hatten wir noch große Dichtheitsprobleme bei der Verbindung von Zellen sowie am Gehäuse. Die HTE basiert wird bei einer Temperatur von 850 Grad betrieben und das bedeutet rotglühende Gehäuse, die nicht so leicht dicht zu bekommen sind. Auch dieses Problem haben wir gelöst. Vor drei Jahren sind wir dann von den Einzelzellen weggegangen und haben Zellstapel aufgebaut, sogenannte Stacks. Diese Stacks laufen zur Zeit ganz vernünftig mit einem Wirkungsgrad von 80 bis 85 Prozent. Aber nach wie vor leiden sie noch an einer zu hohen Degradation. Es ist eine der aktuellen Herausforderungen, die Degradation zu reduzieren und damit die Dauerhaltbarkeit zu verbessern.
Bei der Degradation geht es um Materialforschung?
Genau, die Zellen degradieren mit verschiedenen Degradationseffekten, wie Ablagerungen, Delamination, Kornvergröberungen und ähnlichem. Das reduziert den Wirkungsgrad dieser Elektrolyseure über die Zeit. Das heißt, dieser wird über die Zeit schlechter und schlechter. Das ist kein Showstopper für diese Technologie, aber etwas, worauf man ein Auge haben muss.
Welche Herausforderungen gibt es noch?
Auch die Betriebsstrategie des Hochtemperatur Elektrolyseurs ist noch mehr oder weniger unerforscht. Die erneuerbare Energie ist variabel und deshalb müssen die Elektrolyseure der Zukunft mit variabler Last betrieben werden können. In dem neu geschaffenen PhD werden wir untersuchen, wie wir weg vom permanenten Volllastbetrieb und hin zu Lastvarietäten kommen.
Wenn man einen Elektrolyseur mit zum Beispiel 500 Kilowatt Anschlussleistung hat, dann bedeutet Volllast, diesen permanent mit 500 Kilowatt Anschlussleistung zu betreiben – von Null bis 24.00 Uhr und 365 Tage im Jahr. Aber der Strom aus Sonne und Wind, den wir in Wasserstoff umwandeln wollen, ist stark fluktuierend. Dieses vorhandene Wind- und Sonnenprofil im Stromnetz müssen wir mit unseren Hochtemperatur-Elektrolyseuren nutzen können – und daher mit variabler Last fahren.
Wenn wir es geschafft haben, diese Technologie dauerfest zu machen, also die Degradation einzudämmen und den Betrieb lastvariabel zu machen, dann haben wir gigantische Potenziale vor uns. Dann können wir Elektrolyseure zu unvergleichbar geringen Kosten anbieten. Denn wir verbauen in unserem HTE nur günstige Materialien wie keramische Werkstoffe und Nickel als Katalysator. Die Materialkosten aller Bauteile und Komponenten einer HTE sind sehr gering.
Gilt es dabei auch neue Materialien zu erforschen?
Bei den Elektrolyten werden wir auf Bestehendem aufbauen – und auch bei der Brennstoffelektrode werden wir beim gängigen Nickel bleiben. Aber bei der Sauerstoffelektrode sind derzeit viele Materialien im Gespräch und da ist auch noch nicht ganz klar, welche Materialien sich langfristig durchsetzen werden. Deshalb ist es unter anderem das Material der Sauerstoffelektrode, das wir uns in diesem Projekt genauer ansehen werden.
Wie und wo könnte so erzeugter grüner Strom in der Industrie eingesetzt werden?
Überall da, wo derzeit schon Wasserstoff gebraucht wird, ist mittels Hochtemperatur Elektrolyse in Zukunft grüner Wasserstoff aus Sonnen- und Windstrom möglich. Beispiele sind die chemische Industrie und die petrochemische Industrie. Und wenn in Zukunft mehr erneuerbarer Strom vorhanden ist, kann man das auch weiterdenken und diese Elektrolyseure einsetzen, um diesen Strom speicherbar zu machen. Also erneuerbaren Strom mit der Hochtemperatur Elektrolyse in Wasserstoff konvertieren und diesen für Zeiten einzuspeichern, in denen wenig erneuerbarer Strom im Netz ist. Dort kann man den eingespeicherten Wasserstoff mit Brennstoffzellen wieder in elektrische Energie umwandeln.
Das System ist in bestehende Industrieanlagen integrierbar und es braucht abseits der Hochtemperatur-Elektrolyse nur Komponenten, die am Markt verfügbar sind.
Danke für das Gespräch.
Weiterführende Informationen zur Forschung im Bereich grüner Wasserstoff an der TU Graz finden Sie im kürzlich veröffentlichten Themendossier #4 Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnungsträger?