Ich spreche regelmäßig auf sogenannten FuckUp-Nights, Veranstaltungen, auf denen über gescheiterte Projekte und Unternehmen gesprochen wird. Mir gefällt das Format sehr gut. Über etwas sprechen zu können setzt voraus, dass wir es anerkannt und reflektiert haben. Das Gespräch war schon immer die beste Therapie, weil es uns zwingt uns mit einer Erfahrung auseinanderzusetzen, sie zu strukturieren und sie verstehen zu wollen. Es geht um die Fragen: Was war mein FuckUp, warum kam es dazu und was habe ich daraus gelernt und was können andere aus dieser Erfahrung lernen. Eigentlich ganz banal. Und doch so schwierig.
Wir leben in einer sogenannten Erfolgsgesellschaft, die sich auf erfolgreiche Menschen konzentriert. Gescheiterte sind da zwangsläufig uninteressant. Glauben wir. In meiner Welt sind Erfolg und Scheitern zwei Seiten derselben Medaille. Im Erfolg liegt immer das Risiko des Scheiterns und im Scheitern stets auch eine Möglichkeit für den Erfolg. Das ist keine Theorie, sondern dass muss so sein. Wir lernen grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten: Erfahrung (trial & error) und Nachahmung (imitation). Erfahrungen machen wir, wenn wir etwas neu ausprobieren oder imitieren. Und wenn es uns gelingt, dann schüttet unser Gehirn Neurotransmitter wie Dopamin usw. aus, die uns dazu anregen, die gemachte Erfahrung zu wiederholen. Sind wir gescheitert, so geht dies erst einmal mit Emotionen der Enttäuschung, der Frustration und des Zweifels einher, was dazu führt, dass wir eine ähnliche Situation zu vermeiden suchen.
Geschichten des Scheiterns
Er gibt viele Geschichten des Scheiterns. Oft sprechen wir über Unternehmen oder deren Produkte. Am Ende sind es aber immer Menschen, die eine Erfahrung des Scheiterns machen. In den nächsten Monaten werde ich regelmäßig an dieser Stelle über sogenannte FuckUps berichten – Unternehmen, Sportler, Produkte, Politiker – und was wir aus diesen lernen können. Denn darum geht es ja. Nicht der Fehler, das Scheitern oder der FuckUp sollte im Mittelpunkt stehen, sondern die sogenannten Erfahrungen und Learnings, die wir aus ihnen ziehen können.
Heute möchte ich mit meinem eigenen FuckUp beginnen. Im Jahr 2011 musste ich für mein Unternehmen Insolvenz anmelden. Zuvor waren unsere Märkte 2009 um 50% zusammengebrochen und die Banken haben uns trotz guter Restrukturierungserfolge das Vertrauen entzogen. Soweit so gut. Es wäre ein Leichtes jetzt zu sagen, dass wir Finanzkrise oder die Banken schuld waren. Und das habe ich auch eine Zeit lang geglaubt und gedacht. Es gab nur ein Problem: wieso haben es meine Wettbewerber, die in der gleichen Branche und teilweise bei der gleichen Bank waren, geschafft? Das konnten nicht die Schuldigen sein. Aber wer dann? Egal wo ich suchte, ich kam immer wieder bei mir an. Bei den Entscheidungen, die ich nicht getroffen hatte, die ich falsch getroffen habe, oder zu spät. Die Informationen und Hinweise, den Wahrheiten, die ich nicht wahrhaben wollte, weil sie nicht in mein Selbstbild von mir und meinem Unternehmen gepasst haben. An der Selbstüberschätzung der zeitlichen und finanziellen Ressourcen vor mir und meinem Unternehmen, an den falschen Prioritäten, die ich gesetzt habe, weil ich dachte, dass es irgendwie schon werden würde. Und vielem mehr.
Vielen kleinen und großen Fehlentscheidungen
Wir scheitern nicht von einem Tag auf den anderen. Natürlich gibt es die Fälle, bei denen ein vollkommen unerwartetes Ereignis innerhalb kürzester Zeit einem Unternehmen die Geschäftsgrundlage entziehen. Aber die sind doch eher die Ausnahme, als die Regel. Es sind die vielen kleinen und großen Fehlentscheidungen, Nichtwahrhabenwollens und Fehleinschätzungen, die dazu führen, dass ein Projekt, eine Karriere oder ein Unternehmen scheitern. Oder wie es ein Freund von mir ausdrückte: Bert, es kommt nicht darauf an, dass Du keine Fehler machst. Es ist nur wichtig, dass Du weniger Fehler machst als Deine Wettbewerber.
Was habe ich gelernt? Dass Unternehmer/innen aus fünf Gründen scheitern: Der erste Grund ist die Selbstlüge. Wenn wir einen Beruf verfolgen, ein Projekt übernehmen oder die Nachfolge für ein Unternehmen übernehmen, obwohl im wir im Grunde unseres Herzens wissen, dass wir das gar nicht wollen. Wenn unser Herz für etwas anderes schlägt als das, was wir aktuell tun. Wenn wir uns selbst etwas vormachen. Der zweite Grund ist die Selbstüberschätzung. Wenn wir unsere Ressourcen überschätzen, unseren finanziellen Spielraum, zeitliche Kapazitäten, das Wohlwollen unserer Kunden oder die Motivation unserer Mitarbeiter. Der dritte Grund ist der Zweifel. Das Gegenteil der Selbstüberschätzung. Wenn wir uns unserer Stärken und Kompetenzen, die wir besonders in schwierigen Zeiten benötigen, nicht bewusst sind oder diesen nicht trauen. Wenn uns die geprüfte Erfahrung im Umgang mit schwierigen Situationen fehlt. Der vierte Grund sind die Nicht-Entscheidungen, die dazu führen, dass wir uns nicht konzentrieren und den Fokus auf das legen können, was jetzt das Wichtigste ist. Last but not least, der fünfte Grund, das sind einfach die Zufälle des Lebens. Die sogenannten Schwarten Schwäne, die Ereignisse, von denen wir glauben, dass sie nicht existieren können und wenn sie existierten, uns niemals betreffen würden. So wie bei mir eine Halbierung des Marktes – über Nacht.
In dem wir über unsere Fehler und Scheiter-Erfahrungen sprechen und die anderer analysieren, ermöglichen wir es uns selbst und anderen aus diesen Erfahrungen zu lernen. Das ist das, was ich eine echte Lernkultur nenne. In diesem Sinne freue ich mich auf viele neue Erkenntnisse und Lernerfahrungen.
Über diese Kolumne:
In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Bert Overlack, Mary Fiers, Peter de Kock, Eveline van Zeeland, Lucien Engelen, Tessie Hartjes, Jan Wouters, Katleen Gabriels, Floris Beemster und Auke Hoekstra geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, gelegentlich ergänzt durch Gast-Blogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Damit es morgen besser wird. Hier sind alle vorherigen Episoden.