Julio Escudero (2018) Volume Studies: Expanding Bodies in Expanded Realities (c) Manuel Esthaem
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Die Möglichkeiten von Automatisierung, 3D-Druck und Wearables klingen spektakulär, haben in der Modeindustrie aber bisher kaum Anwendung gefunden. Das liegt zum einen an der mangelnden Marktreife und zum anderen an Designern, die sich durch Technologie in ihrer Kreativität limitiert sehen.

Neue Technologien in der Mode sind immer dann erfolgreich, wenn sie die Produktion erleichtern und neuartige Effekte ermöglichen. Man denke an die Erfindung der Nähmaschine oder des Jacquard-Webstuhls. Die letzte großartige Innovation war der 3D-Strick – der allerdings im öffentlichen Diskurs kaum Widerhall fand. Diese Diskrepanz zwischen Utopie und Wirklichkeit mag auch daran liegen, dass die Mode-Industrie selbst bisher kaum an der Entwicklung neuer Technologien beteiligt war.

Perspektive der Mode

Am Institut für Fashion und Technology (F&T) an der Kunstuniversität Linz erforscht man die Möglichkeiten neuer Technologien aus der Perspektive der Mode. Der Studiengang bietet eine Ausbildung für zeitgenössisches Modedesign mit Schwerpunkt Innovation und Technologie und wird von zwei Mode-Expertinnen aus den Feldern Design und Bekleidungstechnik geleitet. Diese sehen in Mode und Technologie mehr als E-Textilien oder Wearables, bei denen eine Optimierung des Körpers angestrebt werde. Diese habe in der Mode keine große Relevanz. Der fundamentale Wandel in dem sich die Modeindustrie befinde, sei vielmehr von ökosozialen Faktoren geleitet, erklärte Co-Direktor Christiane Luible-Bär  in einem Interview.

In einer Zeit, in der die Bekleidungsindustrie ganz oben auf der Agenda der Umweltorganisationen steht und die Trendforscherin Lidewij Edelkoort den nach bloßer Gewinn-Maximierung strebenden Konzernen den Niedergang prognostiziert, sind die Studenten am F&T zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Modeindustrie aufgerufen. Zur Diskussion stehen

  • das Verhältnis von Körper und mediatisierter Umwelt;
  • die gängigen Design- und Produktionsbedingungen;
  • die Relevanz von Mode als Mittel zur sozialen Abgrenzung;

Neues schaffen

Im Verhältnis von Mode & Technologie verfolgt man am F&T eine integrative Sichtweise. Man begreift Mode und Technologie nicht als zwei getrennte Sphären, die einander bloß begegnen, sondern als eine Vermischung aus der neue Prozesse, Materialien, Formen und auch reziproke Verhältnisse hervorgehen – und schließlich auch eine neue Ästhetik. In diesem Paradigma kann Interaktivität nicht nur auf elektronischer Ebene gegeben sein, sondern auch auf biologischer oder mechanischer.

 

Nina Krainer (2018): Sculpting Idenity (c) http://www.esthaem.com/

Analog vs. digital

Den einzelnen Projekten gehen theoretische Annäherungen voran. Scheint dies im Hinblick auf die künstlerische Vision plausibler, werden Projekte auch in handwerklichen Techniken angefertigt.

Ein Beispiel für analoge Prozesse sind die Arbeiten der Studentin Nina Krainer, die den Wert des Handwerks in einer digitalen Welt darstellen möchte. Ihre Arbeiten wirken wie aus dem 3D-Drucker, sind aber das Ergebnis von sorgfältiger Handarbeit. Nina Krainer: “Das Material strahlt eine gewisse Härte und Kühle aus und lässt auf ein starres kunststoff-, keramik- oder gipsähnliches Material schließen. Haptisch wird dieser Eindruck widerlegt. Die Objekte sind weich und biegsam.”

Julio Escudero, ein anderer Student, nutzt digitale Techniken, um das Konzept von Körper neu zu definieren. Die modifizierbaren Parameter in der Software Grasshopper ermöglichen die Umformung von Silhouetten – deren Ausführung ist über die Software Rhinozeros 3D möglich. Escudero: „Viele Designer nutzen heute parametrisches Design, weil man damit das finale Resultat visualisieren kann, ohne ohne viele Prototypen herzustellen. Auch kann man in dem Programm Fehler finden und korrigieren, bevor das Stück angefertigt ist. Das spart viel Zeit und Geld. Deshalb mag ich diese Visualisierungen. Aber ich nutze sie nur als Inspiration für Silhouetten oder Formen und mache auch viel Handarbeit um Menschliches einzubringen – und neue Arten der Interaktion mit Technologie.“ In der analogen Ausführung arbeitete Escudero mit experimentellen Konstruktionstechniken, hochpräzisen Tools wie Laser- und CNC-Cut sowie traditionellem Nähen.

 

Julio Escudero (2018) Volume Studies: Expanding Bodies in Expanded Realities (c) http://www.esthaem.com/

Spektakuläre Inszenierung

In einem Punkt schließt man am F&T an die gängigen Praxen in der Modeindustrie an – in der spektakulären Präsentation. Wobei auch hier alternative Formen jenseits des Laufstegs verfolgt werden.

  • 2016 wurden Anatomien von Mode im Ars Electronica Deep Space gezeigt – mittels modernster Computer Tomographie-Software. Die Präsentation erfolgte live, 3D und in 8K-Auflösung. Deep Space steht für eine Projektion, die sich über eine Fläche von sechzehn mal neun Meter Wand- und sechzehn mal neun Meter Boden erstreckt.
  • 2017 wurden die Designs der Studierenden an Industrierobotern in stereoskopischen Selfie-Videos gezeigt.
  • 2018 wurde im Rahmen der ARS Electronica ein Plattform-Event mit Round Table-Diskussion und Keynotes durchgeführt. Ziel war es, einen Diskurs zum politischen Aspekt von Mode und Technologie anzuregen.

 

Teilnahme an Re-Fream

Jetzt wird das Institut für Fashion & Technology Teil des EU-Forschungs- und Förderungsprojekts Re-Fream, das aus einer Bewerbung der lokalen Organisationen Creative Region und Profactor hervorging. Ziel des Projekts ist es zukunftsorientierte urbane Produktionsmethoden zu erforschen, um die Bekleidungsproduktion zurück nach Europa zu bringen. Innovation soll in der Vernetzung von Kunst und Industrie entstehen. Gefragt sind ressourcenschonende Methoden, die marktreife Produkte mit hohem ästhetischem Anspruch hervorbringen. Zentrale Themen sind Nachhaltigkeit, 3D-Druck und elektronische Textilien.

Re-Fream basiert auf einer Ausschreibung, in der Künstler und Designer geeignete Projekte einreichen können. Zwanzig ausgewählte Projekte werden dann in  einem von insgesamt drei europäischen Hubs realisiert. Neben Profactor und Creative Region in Linz sind Organisationen in Valencia und Berlin involviert. Die Ausschreibung startet im März und ist mit bis zu 55.000 Euro pro Projekt dotiert.

Das Institut für Fashion & Technology wurde im Oktober 2015 gegründet. Im Februar schlossen die ersten Studenten das Bachelor-Studium ab. Im März beginnt der erste Master-Lehrgang.

 

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