Klimawandel, Pandemie und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine – die aktuellen Krisen haben es deutlich gezeigt: Unser globales Lebensmittelsystem ist komplex und anfällig. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht über die weltweite Nahrungsmittelkrise zeigte eine “alarmierende Verschlechterung der Ernährungssicherheit” auf – und Expert*innen warnen schon jetzt vor einer drohenden globalen Nahrungsmittelkrise. Mikrobiome hätten das Potenzial unser Lebensmittelsystem nachhaltiger und resilienter zu gestalten.
Mikrobiome als ökologische Alternative
„Mikrobiome, die uns umgeben, spielen eine entscheidende Rolle beim Übergang zu nachhaltigen und zirkulären Lebensmittelsystemen. Mit innovativen Anwendungen von Mikrobiomen können wir nachhaltige und hochwertige Alternativen zu konventionellen Ansätzen im Gesundheits- und Lebensmittelmanagement schaffen. Gleichzeitig könnten wir damit die Belastung von Böden und Gewässern verringern und Treibhausgasemissionen reduzieren“, sagt Angela Sessitsch, Head of Competence Unit Bioresources am Center for Health & Bioresources des AIT Austrian Institute of Technology.
Mehr als das könne eine verstärkte Anwendung von Mikrobiomen die Entwicklung einer ausgereiften Bioökonomie unterstützen – und die Klimaschutzziele näher rücken lassen.
Nachhaltige Wertschöpfungskette
Sessitsch koordiniert das Konsortium des EU-finanzierten Forschungsprojekts MicrobiomeSupport, das noch bis Oktober läuft. Ziel ist es, langfristig eine nachhaltige Wertschöpfungskette von Lebens- und Futtermitteln zu gewährleisten. Die Forschenden eruierten und erforschten die wesentlichen Hürden in der Forschung und Kommerzialisierung von Mikrobiomanwendungen. Themen, die sich zeigten, waren eine zu geringe Finanzierung der Mikrobiomforschung, eine mangelnde Abstimmung von Forschungsmethoden – und regulatorische Hürden.
Last but not least müsse auch bei Konsumenten das Wissen über Mikrobiome gestärkt werden. Denn erst wenn sie verstehen, welche Vorteile diese Produkte bringen können, werden sie bereit sein, diese auch anzuwenden.
Im Rahmen des Projekts veröffentlichte Sessitsch gemeinsam mit Tanja Kostic, ebenfalls aus der Competence Unit Bioresources und acht internationalen Forschungspartner*innen in Nature Microbiology eine Empfehlung mit dem Titel ‚Microbiome innovations for a sustainable future‘. Darin erklären die Forschenden, wie das Potenzial von Mikrobiomen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft genutzt werden kann.
Das Beispiel Milchwirtschaft
Mikrobiome sind noch nicht ausreichend erforscht. Dennoch ist von komplexen Wechselwirkungen und Wirkungsketten auszugehen. Als Beispiel für gängige Hypothesen nennen die Forschenden die Milchwirtschaft. Hier nimmt man an, dass sich Futtermittel und Tiergenetik auf das Mikrobiom der Tiere auswirken – und in weiterer auch auf die Qualität der Rohmilch und deren Produkte – sowie auf das Klima.
In Milchprodukten nimmt man an, dass das Mikrobiom die Lebensmittelsicherheit und -qualität beeinflusst – und last but not least die menschliche Gesundheit. Wobei nicht nur von einem direkten Effekt ausgeht, sondern auch von einer Wechselwirkung mit dem menschlichen Darmmikrobiom.
Im Fall der Milchwirtschaft sind es Produktionsabfälle, wie zum Beispiel Molke aus Käse, die zur Herstellung von Biokraftstoffen und in Tierfutter verwendet werden können und so eine nachhaltige Bioökonomie fördern.
Pflanzenschutz- und Düngemittel
Soll eine nachhaltige Wertschöpfungskette von Lebens- und Futtermitteln gewährleistet werden, so muss bei Pflanzenschutz- und Düngemitteln angesetzt werden. Denn Mikroorganismen interagieren in komplexer Weiser mit Pflanzen und Böden und können wesentlich zur Pflanzengesundheit beitragen. Stickstoff fixierende Mikroben – Bradyrhizobium und Azospirillum – etwa, können chemische Düngemittel ersetzen. In Brasilien werden diese schon vermehrt auf Sojaplantagen eingesetzt und das führte zu einer erheblichen Senkung der Treibhausgasemissionen. Darüberhinaus kam es zu einem positiven Nebeneffekt: auch die Produktionskosten sanken.
Nicht abgestimmte Forschungsmethoden
In den vergangenen Jahren habe das Wissen und Interesse an Mikrobiomen zwar rapide zugenommen, doch werden diese im Alltag noch kaum eingesetzt, sagt Kostic. Das liege zunächst an der mangelnden Abstimmung von Forschungsmethoden. Grund dafür seien Forschungsmethoden, die sich zuletzt rasant entwickelt haben. Dementsprechend gebe es keine Standards. In der Mikrobiom-Forschung werden vor allem Sequenzierungs-Methoden (Genomik) aber auch andere -omik Technologien verwendet, wie etwa Proteomik oder Metabolomik. Einendes Merkmal sind experimentelle Ansätze, die große Datenmengen erzeugen.
Weiters wurde in der Frage, welche Begleitdaten (sogenannte Metadaten) gesammelt und gespeichert werden sollen, nie ein Konsens erreicht. Das mache den Vergleich von verschiedenen Datensätzen und die Wiederverwertbarkeit älterer Datensätze extrem schwierig – und in einigen Fällen auch unmöglich. Das MicrobiomeSupport Konsortium arbeitete gemeinsam mit externen Experten Empfehlungen aus, die Probleme dieser Art in Zukunft verhindern sollen.
Politische Rahmenbedingungen
Sessitsch betont, wie wichtig es sei, die Funktionen des Mikrobioms bei der politischen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Denn damit Mikrobiome wirklich wesentlich zur Erreichung verschiedener Zielsetzungen beitragen können, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür ist es wichtig, dass die Entscheidungsträger sowohl das Potenzial der Mikrobiomforschung als auch Lücken und Bedürfnisse verstehen.
„Wie das Beispiel Milchwirtschaft zeigt, erfordern Forschungsprojekte einen holistischen Systemansatz“, ergänzt Kostic. “Um die Mikrobiom-Forschung voranzubringen, bedarf es der Erforschung von Interaktionen und Vernetzungen zwischen verschiedenen Systemen. Systeme wie eben Boden – Pflanzen – Tiere – Lebensmittel – Menschen. Idealerweise sollten also Experten aus verschiedenen Forschungsdisziplinen zusammenarbeiten und auch Industriepartner einbezogen werden. Solche Projekte gibt es schon, aber sie sind leider noch in der Minderheit,“ so Kostic. Hingegen müsse das Gros der Forschungsprojekte mit einem Budget von weniger als 250.000 Euro auskommen. Das erlaube gerade einmal die Anstellung eines PhD-Studierenden.
Wie das Beispiel Milchwirtschaft zeigt, erfordern Forschungsprojekte einen holistischen Systemansatz. Um die Mikrobiom-Forschung voranzubringen, bedarf es der Erforschung von Interaktionen und Vernetzungen zwischen verschiedenen Systemen. Systeme wie eben Boden – Pflanzen – Tiere – Lebensmittel – Menschen.
Dr. Tanja Kostic
Regulatorische Hürden
Derzeit kann es bis zu zehn Jahren dauern, bis ein neues biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel auf den Markt kommt. Der Grund liegt in regulatorischen Hürden. Hersteller von biologischen Wirkstoffen für Schädlingsbekämpfungsmittel müssen derzeit denselben Regulierungsprozess durchlaufen, wie Hersteller chemischer Wirkstoffe. „Dieser Prozess ist schon für Produkte, die nur einen Mikroorganismus enthalten, sehr komplex – aber für Produkte, die mehrere Mikroorganismen enthalten, noch weit komplizierter“, erklärt Kostic. Außerdem erfordern diese regulatorischen Hürden erhebliche zeitliche und finanzielle Ressourcen, die für kleinere Firmen kaum aufzubringen sind. Das Fehlen spezifischer Vorschriften verhindere aber die Entfaltung des vollen Potenzials von biologischer Schädlingsbekämpfung, so der Konsens unter Forschenden.
Ein weiterer Aspekt regulatorischer Hürden sind die unterschiedlichen länderspezifischen Regeln weltweit.
Zulassungsprozess beschleunigen
Auf EU-Ebene wurde die Problematik schon erkannt. Jetzt soll eine Neuauflage der bestehenden Regelung den Zulassungsprozess beschleunigen. Die neuen Verordnungen beruhen auf den aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen und den spezifischen Eigenschaften der einzelnen Mikroorganismen. Sollte es keine Einwände seitens EU-Parlament und EU-Rat geben, werden die Rechtsakte im November 2022 in Kraft treten.
Jennifer Lewis, geschäftsführende Direktorin der International Biocontrol Manufacturers Association (IBMA), begrüßte die Anpassung der Regelung gegenüber Euraktiv. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass sich dadurch an den bestehenden Anforderungen für mikrobielle Daten “wenig Grundlegendes” ändern werde. Weshalb dies „eine Enttäuschung und eine verpasste Gelegenheit sei”, die Politik der EU-Kommission mit den Zielen von Farm to Fork in Einklang zu bringen.