Im Global Competitiveness Index 4.0 des Weltwirtschaftsforums des Jahres 2018 belegte Deutschland als Topstandort für Spitzenforschung Platz 3 hinter den USA und Singapur. In puncto Innovationsfähigkeit lag Deutschland sogar unangefochten an der Spitze der insgesamt 140 bewerteten Länder. Dennoch sind Ausgründungen aus wissenschaftlichen Institutionen eher eine Seltenheit. Die Rate beträgt gerade mal fünf Prozent, in Estland (32. Gesamtplatz) dagegen 19 Prozent.
Ein von der Joachim Herz Stiftung gefördertes Forschungsprojekt am Entrepreneurship Research Institute der Technischen Universität München (TUM ERI) hat sich nun mit der Frage beschäftigt, wo die Gründe dafür liegen, dass deutsche Akademiker offenbar vor Firmengründungen zurückschrecken. In einem ersten Zwischenergebnis fanden die Forscher dabei heraus, dass die Probleme oft in drei wesentlichen Faktoren für den Erfolg liegen: Teamgeist, Pragmatismus und Soft Skills.
Im Rahmen ihrer Studie hat das Forschungsteam über mehrere Monate mehr als 100 unternehmerische Teams begleitet, in denen Experten aus Hochschulen und Unternehmen zusammenarbeiten, einige davon an der Einrichtung für Unternehmensausgründungen der TU München. In wöchentlichen Online-Fragebogen und Interviews gaben die Teilnehmer darüber Auskunft, mit welchen Herausforderungensie bei der Ausgründung ihrer Idee konfrontiert wurden.
Teamarbeit wichtig für den Erfolg
Um ein Unternehmen zu gründen, reichen Fachkenntnisse nicht aus, nicht einmal, wenn man sein Studium Summa Cum Laude abgeschlossen hat. Und auch eine innovative Technologie ist nicht genug. Mindestens ebenso wichtig ist eine gute Marktkenntnis, um beurteilen zu können, welche Idee das Potenzial für eine Kommerzialisierung hat. Genau daran mangelt es Wissenschaftlern nach ihrem Studium im Allgemeinen. Daher ist es nach Ansicht von Fachleuten auch wichtig, dass Akademiker bei einer Firmengründung möglichst von Beginn an Menschen mit Erfahrung aus Industrie- und mit Gründungserfahrung ins Team nehmen.
Neben diesen mangelnden Marktkenntnissen gibt es laut den Ergebnissen der Studie ein weiteres, großes Hindernis, das den jungen Gründern oft im Wege steht. Vielen Gründungsteams falle es schwer, einen gemeinschaftlichen und geradlinigen Weg zu finden, erklärte Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurial Behavior am TUM Entrepreneurship Research Institute, bei der Vorstellung der Zwischenergebnisse . Diese Uneinigkeit beziehe sich sowohl auf die Entscheidung, was das Produkt können soll, als auch auf die Frage, wie diese Vision am besten umzusetzen ist. „Die Gründungsteams beginnen dann, immer mehr Varianten zu diskutieren, ohne sich auf eine Linie festlegen zu können und scheitern letztendlich“, sagte sie. Daher dürften sich universitäre und andere Einrichtungen der Gründungsförderung nicht nur darauf beschränken, Technologie- und Marktkenntnisse zu vermitteln. Sie müssten auch Soft-Skill-Kurse, z.B. um teamorientiertes Coaching anbieten.“
Weniger Perfektionismus, mehr Pragmatismus
Eine weitere, große Hürde für Gründer in Deutschland ist, laut der Ergebnisse der Studie, eine weltweit geschätzte „deutsche Tugend“: Perfektionismus. Gründungsteams müssten nach der Devise „fail fast and early“ mögliche Kunden schon frühzeitig auch mit nicht vollständig ausgereiften Prototypen konfrontieren und so herauszufinden, ob es einen Markt für ihre Produkte gibt. Dieses Testen und Einholen von Feedback in einem sehr frühen Stadium steht allerdings im Widerspruch zum wissenschaftlichen Mindset, bei dem unausgereiftes Wissen keine Basis für Entscheidungen und die Kommunikation mit Anderen darstellt. Aus diesem Grund müssten die Akademiker lernen, weniger wissenschaftlich und mehr „unternehmerisch pragmatisch“ zu denken.
„Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass selbst interdisziplinäre akademische Gründungsteams mit ähnlichen Ausgangssituationen und Herausforderungen höchst unterschiedliche Entwicklungswege einschlagen. Teams, die weniger auf die Expertentipps aus unserem Inkubator gehört haben und sich in ihren Entscheidungsprozessen quasi verloren haben, waren in der Regel nicht erfolgreich“, erklärte Prof. Dr. Dr. Holger Patzelt, Professor für Entrepreneurship, TUM Entrepreneurship Research Institute. Wissenschaftler sollten sich trauen, auch mit unfertigen Prototypen mögliche Zielgruppen und wichtige Stakeholder zuzugehen. Einige Gemeinsamkeiten hätten aber alle gezeigt, betonte er: Neugier, Risikobereitschaft und Offenheit gegenüber Neuem. „Immerhin müssen sich Wissenschaftler*innen auf Forschungsprojekte einlassen, die schlimmstenfalls keine Ergebnisse liefern –, was eine wichtige Voraussetzung für eine Ausgründung ist.“
Dreijährige Studie
In dem dreijährigen Forschungsprojekt wollen die Forscher herausfinden, wie Wissenschaftler zu Gründern werden, welche Einflüsse diesen Prozess unterstützen oder hemmen und, welche „grundlegenden relevanten, aber oftmals vernachlässigten, psychologischen Prozesse“ in akademischen Ausgründungen ablaufen. Ein weiteres Ziel, ist es, zu verstehen, wie interdisziplinäre Gründungsteams erfolgreich zusammenarbeiten, Kompromisse finden und gemeinsame Firmenwerte entwickeln. Zudem wollen sie sehen, wieso manche Lehrstühle mehr Gründungen hervorbringen als andere.
Das Bildungssystem und Fördermöglichkeiten in Deutschland seien für Gründer idal, sagte Dr. Nina Lemmens von der Joachim Herz Stiftung. Dennoch gäbe es immer wenige Menschen, die es wagten, ein Unternehmen zu gründen oder sie würden zu früh aufgeben. „Woran liegt das? Am Mindset? Mangelnder Risikobereitschaft? Oder der Angst vor dem Scheitern? Wie können wir Wissenschaftler*innen Mut machen, mehr zu experimentieren?“, sagte sie. Die finalen Ergebnisse der Studie werden Anfang 2021 in Berlin präsentiert.
Mehr Artikel zum Thema Gründer finden Sie hier.