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Die „Deutsche Wirklichkeit“ verändert sich zusehens. In der Vergangenheit wurden die Deutschen gerne wegen ihrer hervorragenden Bürokratie, Verlässlichkeit und ihrem strukturierten und pragmatischen Denken bewundert. Seit einiger Zeit wandelt sich das Blatt allerdings.

Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Eveline van Zeeland, Eugene Franken, Katleen Gabriels, PG Kroeger, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla, Willemijn Brouwer und Colinda de Beer geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, die manchmal durch Gastblogger ergänzt werden, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Bitte lesen Sie hier die bisherige Episoden.

Ankündigungen, die nicht gehalten werden …

Dass in Deutschland vieles früher besser funktionierte, lag auch daran, dass man seine Ziele sportlich aber realistisch und nicht unüberlegt utopisch formulierte. Selten konnte man Termine nicht einhalten und noch seltener kam es zu echten Problemen. Ingenieure und gut ausgebildete sorgten für funktionierende Rahmenbedingungen.

Ladeinfrastruktur und Elektromobilität

Inzwischen erinnern die Ankündigungen an die berühmten (nie eingehaltenen) Fünfjahrespläne im Sozialismus. Beispiel Elektromobilität: Angela Merkel dachte, dass 2020 bereits 1 Million Stromer (BEVs) auf deutschen Straßen unterwegs wären. Diese Marke wurde jedoch erst Anfang 2023 übersprungen.

Bis 2030 wollen die „offiziellen“  Stellen der Bundesrepublik 15 Millionen Stromer auf deutschen Straßen sehen – eine Prognose, die spätestens nächstes oder übernächstes Jahr kassiert werden wird – weil sie unter den gegebenen Bedingungen komplett unrealistisch ist.

Und ebenfalls bis 2030 sollten 1 Million Ladepunkte die Elektromobilität so attraktiv machen, dass niemand mehr mit Reichweitenangst rechnen muss. Auch dieses Ziel ist gerade kassiert worden, unter anderem vom BDEW, dem Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft.

Dessen Vorsitzende der Geschäftsführung, eine ehemalige Grünenpolitikerin und Lobbyistin, hat gerade erklärt, dass man die 1 Million Ladepunkte gar nicht benötige, weil man inzwischen immer mehr Ultra-Schnellladepunkte habe. Andreae: „Heute ist nicht die Anzahl, sondern die installierte Ladeleistung relevant. Jedem ist klar: Wenn ich in meinem Portemonnaie nur die Münzen zähle, weiß ich auch nicht, ob ich mir davon ein Brötchen kaufen kann. So ähnlich ist es auch bei den Ladesäulen: Es kommt vor allem auf ihre Leistung an, und nicht nur auf ihre Anzahl.“

EU AFIR-Entwurf

Es lebe der hinkende Vergleich. Schließich beruft sich Andreae auch noch auf den EU AFIR (Alternative Fuels Infrastructure Regulation)-Entwurf, der leistungsbasierte Zielwerte vorgesehen hat. 1,3 kW pro Elektroauto und 0,8 kW pro PHEV. BDEW-Auswertungen, so Andreae, würden zeigen: Aktuell sind sogar über 20 Prozent mehr Ladeleistung in Deutschland installiert als gefordert. Also kein Grund zur Sorge, nicht wahr?

Dem widerspricht die VDA-Präsidentin Hildegard Müller, die zwar die Trilog-Einigung bei AFIR grundsätzlich begrüßt, den Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland durch die Reduktion der Ladepunkte jedoch gefährdet sieht. Zudem hätte sie sich eine Anhebung der Ladeleistung für Stromer auf 3 kW gewünscht. Vermutlich würde aber auch das kaum ausreichen. 

In das gleiche Horn stösst übrigens die NGO Transport & Innovation, die das öffentliche Ladenetz in Deutschland für höhere EU-LKW-CO2-Ziele für ausreichend erklärt. Bis 2030 wird Deutschland nach T&E-Analysen der nationalen Ausbaupläne über 3,87 TWh Ladenergie pro Jahr für schwere Nutzfahrzeuge verfügen. Das würde, so die NGO, doppelt so viel Energie bedeuten, wie Elektro-LKW und -Reisebusse in Deutschland von öffentlichen Ladestationen unter dem vorgeschlagenen Grenzwert für 2030 benötigen. Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E Deutschland und ehemaliger Greenpeace-Aktivist: “LKW-Hersteller betreiben eindeutig Panikmache, wenn sie behaupten, dass es nicht genügend öffentliche Ladestationen geben wird.“ Nun ja.

Schützenhilfe für die derzeitige Regierung?

Unter dem Strich ist die BDEW-Einschätzung nichts anderes als Schützenhilfe für die Bundesregierung, genauer das grüne Wirtschaftsministerium, um dem deutlichen Versagen hinsichtlich des Ausbaus der Ladeinfrastruktur etwas entgegenzusetzen. 

Derzeit gibt es nämlich in Deutschland gerade mal 80.000 öffentliche Ladepunkte. Der Löwenanteil der derzeitigen Ladepunkte besteht allerdings nicht aus Ultra-Schnellladepunkten sondern recht langsamen AC und DC-Säulen. Zwar haben die Ultra-Schnellladepunkte von über 150 kW um 80% zugelegt, die Anzahl jedoch erhöhte sich damit nur von 3.851 auf nunmehr 7.037 Stück. Wobei die Titulierung „Ultra“ im Zusammenhang mit 150 kW tatsächlich wie ein Euphemismus klingt … Zudem gibt es noch keine nennenswerte Anzahl an MegaChargern (mindestens 800 kW Ladeleistung), die für Lkw geeignet wären.

Und dann ist da noch der Strompreis in Deutschland, der immer weniger Wettbewerbsfähig wird. Derzeit rufen die „Ultraschnelllade“-Anbieter kWh-Preise von 80 und mehr Eurocent auf. Tendenz steigend. Denn das letzte AKW ging gerade vom Netz und früher als geplant soll auch Schluss mit der Kohleenergie sein, die das deutsche Stromnetz derzeit vor dem Kollaps rettet und viel CO2-Emissionen in die Luft bläst. Momentan nähert sich der CO2-Anteil der erzeugten kWh deshalb wieder dem Wert von 1990. Sisyphos lässt grüßen.

Aber die „dümmste Energiepolitik der Welt“ (WSJ) ist ein Thema für eine andere Kolumne, das ich mir sparen werde – ich könnte mich sonst so in Rage schreiben, das meine Gesundheit drunter leiden könnte.