Viele gealterte Betonbrücken in Europa und USA könnten in den kommenden Jahren zum Sicherheitsrisiko werden. Denn das Gros der Straßen- und Eisenbahnbrücken wurde nach dem zweiten Weltkrieg innerhalb von dreißig Jahren wieder aufgebaut – und ist heute mindestens vierzig Jahre alt. Aber auch Stahlbeton altert und leidet unter Umwelteinwirkungen. So sind Stahlbetonbrücken im Straßenbau massiver Salzbelastung ausgesetzt und das greift die Bewehrung im Inneren der Betonkonstruktionen an. Viele der Brücken sind auch für das deutlich gestiegene Verkehrsaufkommen und die gesteigerten Verkehrslasten zu schwach – und entsprechen nicht mehr der aktuell gültigen Norm.
Verstärkung der Betonbrücken
„Das ist ein großes Problem. Denn durch die Dekaden ist ein riesiges volkswirtschaftliches Vermögen an Infrastrukturbauten angewachsen. Diese Bauten sollten möglichst lang halten. Aber da die geforderte Sicherheit in diesen Tragwerken aufgrund von Defiziten in der Stahlbewehrung vielfach nicht mehr vorhanden ist, brauchen wir Methoden, um diese Tragwerke zu verstärken“, sagt Professor Jürgen Feix vom Arbeitsbereich Massiv- und Brückenbau an der Universität Innsbruck.
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Es sei sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch von Vorteil, den Bestand möglichst lang zu nutzen. Abriss und Neubau von Brücken seien mit länger währenden Verkehrsumleitungen verbunden und wenn die Bahn Umwege fahren müsse, dann sei das ein Vielfaches der CO2-Belastung, die alleine der Neubau der Brücke bedinge.
Betonankerschraube als Ersatzbewehrung
Professor Feix und sein Team forschen schon seit über zehn Jahren an einer Reparaturmöglichkeit für in die Jahre gekommene Betonbrücken. Sie haben eine Lösung gefunden, Bestandstragwerke mit Defiziten in der Stahlbewehrung nachträglich zu verstärken, um die Tragfähigkeit nach heutiger Norm herzustellen. Zusätzlicher Vorteil: Die Ersatzbewehrung kann bei laufendem Betrieb der Straßen- oder Bahnstrecke erfolgen.
Die Innovation besteht aus der Weiterentwicklung der Betonschraube. Diese lässt sich mittels selbstschneidendem Gewinde wie ein Dübel in den Betonbalken einbringen und mit einer Art Beilagscheibe an anderen Ende verankern.
Für die sogenannte Betonankerschraube gibt es bereits eine Zulassung – und einen Bemessungsmodus aus dem hervorgeht, wie viele Schrauben einzubauen sind, damit die erforderliche Tragfähigkeit nach heutiger Norm für das Bauteil gegeben ist, erklärt Professor Feix. Erste Anwendungen dieser Ersatzbewehrung zeigen, dass deren Kosten jene von Abriss und Neubau um das Zehnfache unterschreiten können. Jetzt arbeitet das Team in Innsbruck an einer Erweiterung dieser Lösung, die wirtschaftlich noch vorteilhafter ist.
Bandbreite an vorhandener Bausubstanz
Problematisch an der kostengünstigen Reparatur alter Betonbrücken ist die große Bandbreite an vorhandener Bausubstanz. Denn die ältesten Brücken aus den 1950er-Jahren wurden noch ohne Querkraftbewehrung gebaut. Diese dient – im Verbund mit dem Beton – zur Verstärkung der Tragfähigkeit von Brückenbalken. „Wenn eine Last über eine Brücke gefahren wird, dann kann der Betonbalken zwar den Druck aufnehmen, biegt sich aber durch und dadurch entsteht an der Unterseite des Balkens ein Zug. Um diesen Zug aufzufangen, braucht man an der Balkenunterseite eine Biegebewehrung und gleichzeitig eine Querkraftbewehrung, die die Druckzone an der Balkenoberseite mit der Zugzone an der Balkenunterseite verbindet,“ erklärt Professor Feix.
Daraus resultiert eine Konstruktion von Stahlbewehrung, die am Fachwerkbau orientiert ist. Das heißt, linear an Balkenober- und -unterseite verlaufende Stahlelemente werde mit schräg oder vertikal nach oben verlaufenden Stahlelementen verbunden.
Querkraftbewehrungen
Erste Querkraftbewehrungen wurden erst in den 1960er- und 1970er-Jahren in die Platten von Betonbrücken integriert. Zunächst waren es Schubaufbiegungen, bei der ein Stahlelement gerade von der Unterseite kommend, in einem Winkel von 45 Grad nach oben geht, wo es wieder gerade weiterläuft. Es handelt sich also um ein fortlaufend s-förmiges Eisen. In den 1970er und 1980er Jahren setzte sich schließlich die Bügelbewehrung durch. Das ist eine geschlossene rechteckige Form, die in regelmäßigen Abständen vertikal in den Betonbalken eingelegt wird. „Die Bügel hängen die Druckstreben, die nach unten kommen, wieder nach oben und so kann sich diese Fachwerkwirkung im Träger einstellen“, so Professsor Feix.
Im Hinblick auf die aktuelle Norm werden bei beiden Bewehrungsformen Defizite in der Querkraftbewehrung gemessen – und zwar dann, wenn Schubaufbiegung und Bügel, welche Druckzone und Zugzone verbinden, nicht in ausreichendem Maß vorhanden sind. Diesen Mangel kompensieren die Forscher von der Universität Innsbruck durch eine nachträglich vertikal eingebrachte Ersatzbewehrung in Form der Betonankerschraube.
Wirtschaftlichste Lösung
Im Vorläuferprojekt hatten die Forscher die Unterschiede in der vorhandenen Bausubstanz noch nicht berücksichtigt. Das heißt, sie gingen in ihren Berechnungen von einer Bausubstanz ohne Querkraftbewehrung aus. Jedoch nehmen sie an, dass eine vorhandene Stahlbewehrung den Bedarf an Betonankerschrauben reduziert. Deshalb untersuchen sie im aktuellen Projekt wie Betonankerschrauben und vorhandene Bewehrungsform zusammenwirken. Zu klären ist, ob diese einfach zu addieren sind oder ob gewisse Abzüge zu machen sind. Ziel ist es, mit möglichst wenig Verstärkungselementen möglichst hohe Tragfähigkeiten zu erreichen, damit das System auch wirtschaftlich ist.
Nachbildung der Bausubstanz
In den Laborversuchen werden die beiden relevanten Typen vorhandener Bausubstanz in Bewehrungsgraden und Querschnittsabmessungen nachgebildet. Das heißt, es gibt einen Stahlbetonbalken mit Schubaufbiegung und einen Betonbalken mit Bügelbewehrung. Darüberhinaus werden auch eben solche Balken unterschiedlicher Höhe getestet. Denn inzwischen wisse man, dass sich unterschiedliche Balkenhöhen auf die Effektivität der Bewehrung auswirken. Das gelte für die normale Querkraftbewehrung ebenso wie für die Verstärkung durch Betonankerschrauben. Das heißt, wenn der Balken höher wird, wirken die Bewehrungsmittel stärker, erklärt Professor Feix.
Drei-Punkt-Biegeversuche
In den Experimenten werden die realen Verkehrsbelastungen maßstabsgetreu nachgestellt, um Daten zum Bruchverhalten der Stahlbetonbalken zu erhalten. Dabei werden diese einmal mit und einmal ohne Ersatzbewehrung getestet. Die Versuche erfolgen in Form von sogenannten Drei-Punkt-Biegeversuchen. Man denke an einen Brückenbalken zwischen zwei Pfeilern, der in der Mitte eine Last trägt. Die Verkehrsbelastung wird mit einer Hydraulikpresse simuliert, die Belastungen von bis zu 160 Tonnen generieren kann. Das entspricht zum Beispiel der Überfahrt einer Lok über eine Brücke.
Verdopplung der Traglast
Die Versuche zeigen, dass Stahlbetonbalken mit Ersatzbewehrung die doppelte Traglast erzielen. Die Auswertungen der enormen Datenmengen laufen aber noch und werden erst in etwa zwei Monaten abgeschlossen sein. Weshalb sich Professor Feix noch nicht abschließend dazu äußern kann. Derzeit spreche allerdings viel dafür, dass das Zusammenwirken von vorhandener Bewehrungsform und Betonankerschraube tatsächlich einfach zu addieren sei – ohne Abzüge zu machen.
Inwieweit die Lebensdauer von Bestandsbrückenbauten durch die nachträgliche Verstärkung der Bewehrung zu verlängern sei, könne man pauschal nicht sagen, weil das vom Gesamtzustand der Betonbrücken abhänge. Manche Bauwerke seien schon stark durch Umwelteinflüsse geschädigt. Aber wenn es um die Betonankerschrauben gehe, dann seien diese – auch unter Salzeinfluss – für eine Lebensdauer von mindestens 50 Jahren nachgewiesen.
Das Projekt wird von der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) und Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) unterstützt.
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