In ihrer ersten Saison (2014/15) fing die Formel E noch recht bescheiden an. Alle zehn Teams hatten ein einheitliches Auto, den Spark-Renault SRT_01 E von Spark Racing Technology, einem von Renault extra zu diesem Zweck gegründeten Unternehmen. Der italienische Autobauer Dallara lieferte das Chassis, Antriebsstrang und Elektronik kamen von McLaren Electronic Systems. Die Batterie von Williams Advanced Engineering wog 200 Kilogramm und lieferte bei bis zu 1000 Volt maximal 28 Kilowattstunden, der Motor der Saison 1 leistete 200 kW (272 PS), die Höchstgeschwindigkeit der Autos betrug 225km/h. Eigenentwicklungen der Teams waren nicht erlaubt, die gab es erst ab Saison 2 – und seitdem hat sich einiges getan.
Die Batterieleistung wurde im Laufe der Jahre immer weiter gesteigert, der Autowechsel bei Rennmitte verdeutlichte bisher aber weiterhin die Mängel der neuen Technologie: Dass es den Elektromobilen schlichtweg an Reichweite fehlt, sei es auf der Rennstrecke oder der Straße. Seit dem ersten Rennen der fünften Saison in den Straßen von Riad am 15. Dezember 2018 hat sich aber auch das – zumindest auf der Rennstrecke – endlich geändert.
In der Saison 2018/19 starten die mittlerweile elf Teams mit dem neuen Einheitschassis SRT 05e von Spark Racing Technology, die Einheitsbatterie von Williams der ersten vier Saisons wurde von einem 348 Kilo schweren Akkupaket aus dem Hause McLaren Applied Technologies abgelöst. Die Einheitsreifen kommen weiter von Michelin. Alle anderen Komponenten wie Motor, Getriebe, Aufhängung, Federn, Stoßdämpfer, Stabilisator, Brake-by-Wire-System oder auch das Kühlsystem dürfen die Hersteller selbst entwickeln und weiterentwickeln. Außerdem wurde die Maximalleistung der Fahrzeuge von 200 kW/272 PS auf 250 kW/340 PS erhöht, wodurch die Beschleunigung von 0-100 km/h nur noch 2,8 Sekunden dauert und die Höchstgeschwindigkeit bei 280 km/h liegt. Die Batteriekapazität liegt nun bei 54 kWh.
Genau diese neuen Möglichkeiten zur Eigenentwicklung und vor allem der Wegfall des Autotauschs bei Rennmitte ziehen neue Hersteller in die Formel E. Neben Renault, Audi, Venturi, Jaguar oder Mahindra ist nun auch Mercedes – noch unter der HWA-Flagge – am Start. Nissan hat DAMS geschluckt und in Nismo-Team umbenannt, und BMW hat Andretti übernommen. „Die Formel E ist nicht nur eine innovative und spektakuläre Rennserie, die sich mit einem vollkommen neuen Nachhaltigkeits- und Eventansatz innerhalb weniger Jahre als eine der Top-Rennserien weltweit etabliert hat“, sagte Klaus Fröhlich, Mitglied des Vorstands der BMW AG, Entwicklung und Motorsport, bei der Präsentation des BMW iFE.18 am 14. September 2018 in München. „Für BMW ist sie zugleich ein perfektes Versuchslabor für die Serienentwicklung. Der Technologietransfer zwischen Motorsport und Serienproduktion ist sehr intensiv. Der Antriebsstrang des Rennfahrzeugs profitiert von unserer Erfahrung aus der Serie. Gleichzeitig fließen die Erkenntnisse aus der Formel E direkt in die Entwicklung zukünftiger Serienantriebe zurück.“
So wurde der BMW iFE.18 auch zum Teil an denselben Produktionsstätten gebaut wie der BMW i3, und die Erkenntnisse aus der Formel E fließen direkt zurück in die Entwicklung zukünftiger Serienantriebe kommender BMW i Modelle. „Das Know-how von BMW liegt beim BMW iFE.18 vor allem im Herzstück des Fahrzeugs, dem Antriebsstrang“, sagte BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt. „Wir haben den Serien-Ingenieuren gesagt: ‚Legt alle Überlegungen ab, die ihr normalerweise in der Entwicklung habt, und denkt einmal nur an die Performance, die höchste Effizienz, das geringste Gewicht. Wenn wir diesen Punkt erreicht haben, machen wir uns Gedanken, wie wir das in die Serienproduktion integrieren können.’“
Die Ingenieure haben daraufhin die Hinterachse inklusive Aufhängung konstruiert und mussten dann den Antriebsstrang in den hinteren Teil des Fahrzeugs integrieren. „Die Erkenntnisse, die wir in diesem harten Wettbewerbsumfeld gewinnen, fließen dann wieder direkt zurück in die Serienentwicklung. Für uns ist das die perfekte Umsetzung unseres Credos: von der Rennstrecke auf die Straße“, betonte Marquardt.
Der Antriebsstrang
Das „Herzstück“ des neuen Renners von BMW i Andretti Motorsport ist der Antriebsstrang, der Racing eDrive01. Er setzt sich zusammen aus der E-Maschine, dem Kühlsystem und dem Inverter.
Die E-Maschine besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: dem Rotor, dem Stator und dem Gehäuse. Der Rotor verfügt über Bandagen aus Faserverbundwerkstoffen, die unter anderem zur Gewichtsreduzierung und zur Festigung beitragen. Dazu kommen innovative Materialien wie hochwärmeleitfähige Harze, Titan und Keramiken.
Die Kühlung der E-Maschine erfolgt in einem mittels Additive-Manufacturing-Verfahren hergestellten Aluminiumgehäuse über eine nahezu 360° umfassende Kühlgeometrie. Zusätzlich Tragen hochwärmeleitfähige Materialien wie Keramik und Vergussharze zur Kühlung bei.
Der Inverter wandelt den Gleichstrom aus der Einheitsbatterie in den Wechselstrom um, der die E-Maschine antreibt. Das Gehäuse besteht zum Teil aus Faserverbundwerkstoffen, im Inneren befinden sich für die Halbleiter mehrere MOSFETS (Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren) mit neuester Siliciumcarbid-Technologie. Dank dieser Technologie erreicht der Inverter eine sehr hohe Spannungsfestigkeit bei minimalen Leistungsverlusten und ist daher auch kleiner und leichter. Zur höchstmöglichen Effizienz des Inverters tragen zudem ein effektives Kühlsystem und ein verlustoptimiertes Schaltungslayout bei.
Heckstruktur und Hinterradaufhängung
Neben dem Antriebsstrang haben die Hersteller bei der Hinterradaufhängung den größten Spielraum für eigene Entwicklungen, weshalb dieser Bereich – inklusive Aufhängung und Stoßdämpfern – auch beim BMW iFE.18 eine komplette BMW-Eigenkonstruktion ist. So kann das Fahrwerk, je nach Streckencharakteristik, individuell abgestimmt werden, d.h. Setup-Parameter wie Federraten, Stabilisatoren, Fahrzeughöhe, Spur und Sturz können vom Team individuell eingestellt werden.
Im Vergleich zu permanenten Rennstrecken sind die Stadtkurse meist viel unebener, wodurch die Abstimmung des Fahrwerks für maximalen mechanischen Grip eine wichtige Rolle spielt. Zudem ist es auf den Straßenkursen wichtig, dass sowohl das Fahrwerk als auch die Heckstruktur robust genug sind, um das harte Überfahren der Kerbs sowie leichte Berührungen der Streckenbegrenzungen aushalten zu können. Diverse Komponenten wurden übrigens – wie im Rennsport mittlerweile durchaus üblich – im 3D-Druck-Verfahren produziert.
Brake-by-Wire-System
Eine weitere Eigenentwicklung der Münchner Autobauer ist das elektronische Bremssystem Brake-by-Wire, das für die Formel E einen großen technologischen Schritt bedeutet und sie in dieser Hinsicht auf das gleiche Niveau wie die Formel 1 und die LMP1-Kategorie der FIA World Endurance Championship (WEC) hebt. Brake-by-Wire regelt das Verhältnis zwischen mechanischer Bremskraft beim Tritt des Fahrers aufs Bremspedal und der Bremswirkung durch die Rekuperation des E-Motors. Wenn der Motor während des Rennens Energie aus dem Bremsvorgang zurückgewinnt, fungiert er gewissermaßen als zusätzliche Bremse an der Hinterachse des Fahrzeugs.
Dank Brake-by-Wire brauchen die Fahrer die Bremsbalance nun nicht mehr manuell verstellen, um den zusätzlichen Bremseffekt auszugleichen. Diesen Ausgleich übernimmt jetzt die Elektronik und leitet automatisch die maximale Energiemenge, die beim Bremsen entsteht, in die Batterie zurück. Diese Energie trägt auch dazu bei, dass die Autos mit der vorgegebenen Energiemenge mit maximaler Leistung aus der Batterie über die gesamte Renndistanzkommen und nach Möglichkeit nicht vorzeitig liegenbleiben.
Kommen nach Porsche auch Ford und Ferrari?
In Saison 5 gastierte die Formel E bisher in Riad, Marrakesch und Santiago de Chile. Der erste Saisonsieger der „neuen Formel E“ war übrigens der Portugiese António Félix da Costa, der seinen BMW in Saudi Arabien zum Sieg fuhr – und Motorsportchef Jens Marquardt Lobeshymnen auf seine Mannschaft sang. „Wir haben auch auf der Rennstrecke gezeigt, dass BMW in Sachen Elektromobilität zu den weltweit führenden Herstellern gehört. Dieser Erfolg gibt sowohl unseren Serien- als auch unseren Rennsport-Entwicklern einen unheimlichen Schub. Jetzt wollen wir so weitermachen“, freute er sich.
In den nächsten beiden Rennen mussten Da Costa und sein britischer Teamkollege Alexander Sims allerdings wieder kleine Brötchen backen – und in der Saison 2019/20 wird die Luft für alle noch dünner. Dann tritt Mercedes ebenso mit einem eigenen Werksteam wie Porsche. Außerdem denkt man offenbar bei Ford immer ernsthafter über einen Einstieg in die Formel E nach und vielleicht kommt sogar Fiat/Ferrari. Der verstorbene Ferrari-Präsident Sergio Marchionne erklärte jedenfalls schon 2017, Ferrari „brauche die Formel E“.
“Wir müssen in der Formel E involviert sein, denn Elektrifizierung via Hybridisierung ist Teil unserer Zukunft”, sagte Marchionne damals gegenüber Auto, dem offizielle Magazin der FIA. „Hybridisierung ist für Ferrari wichtig. Zweifellos setzen uns die Regeln unter Druck, wir könnten diese Ziele aber auch anders erreichen”, erklärte er. “Die Herausforderung ist es, von der Hybridisierung zu profitieren, nicht nur bezüglich der Reduzierung der Abgase, sondern auch bei der Performance. Wir haben bereits ein Hybrid-Supercar entwickelt, La Ferrari, und werden bei künftigen Ferrari-Modellen sowohl neue Technologien als auch Elektrifizierung einsetzen.”
Sowohl Ford als auch Ferrari müssten sich dann jedoch mit einem der existierenden Teams zusammentun, da die Anzahl der Rennställe auf zwölf begrenzt ist und Porsche die Startaufstellung in Saison 6 komplettieren wird.
In der aktuellen Saison steht am 16. Februar der Mexico City ePrix als viertes Saisonrennen auf dem Programm und ist neben Monaco das einzige Rennen, das auf derselben Strecke ausgetragen wird, auf dem auch die Formel 1 fährt. Am 25. Mai gibt es zum fünften Mal einen Berlin ePrix, in diesem Jahr erneut auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Den Abschluss bildet am 13./14. Juli wieder New York mit den Saisonrennen 12 und 13.
Titelbild: © BMW
Zum Thema – Teil 1 des Zweiteilersüber die Formel E:
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