Piz Cengalo (c) Von Anidaat - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62098391
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Am Piz Cengalo im Schweizer Kanton Graubünden, ereignete sich 2017 ein Felssturz, bei dem vier Millionen Kubikmeter Gestein und Schlamm ins Tal gerutscht sind. Die Gefahr neuerlicher Felsstürze ist latent und das bedeutet für die Bewohner im Tal ein Leben in ständiger Gefahr. „Wir haben unseren Lebens- und Wirtschaftsraum kontinuierlich erweitert und die Berge mit Verkehrswegen erschlossen. Ob das nachhaltig funktioniert, wurde nicht immer gefragt, sagt Professor Jan Beutel vom Institut für Informatik an der Universität Innsbruck. Im Zuge der globalen Erwärmung rächt sich diese Leichtfertigkeit: Hitzeperioden führen zunehmend zu auftauenden Permafrostböden, instabilen Felsen und Felsstürzen. Starke Regenfälle verursachen vermehrt Erdrutsche und Murenabgänge.

Beobachtung aus dem Tal

Am Piz Cengalo wurden Untersuchungen bisher nur aus der Ferne durchgeführt. Turnusmäßig mit Laserscan, sowie  dauerhaft mit installierten Kameras, Seismometern und Radar (terrestrischem interferometric synthetic aperture radar), weiß der Professor. Die terrestrische Radarinterferometrie wird unter anderem zur Abschätzung von Naturgefahren eingesetzt und ermöglicht schwerkraftbedingte Massenbewegungen mit einer hohen zeitlichen und räumlichen Auflösung – nahe Echtzeit.

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Piz Cengalo vor dem Felssturz 2011 (c) Von original file: Anidaat, 2008-08-10 09:27:44marked: W!B: – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62077834

Beobachtung am Berg

Er selbst forschte 2017 an der ETH Zürich. Dort untersuchte er am Matterhorn den Einfluss des Klimawandels auf die Stabilität steiler Felswände. Dabei kamen Systeme zur Früherkennung von Felsstürzen zur Anwendung und es wurden erstmals drahtlose Sensoren direkt am Fels angebracht. Die Sensoren zeichnen akustische Signale auf und messen unter anderem Spaltbewegungen und Schwingungen. Die Sensoren kommunizieren allerdings nicht direkt mit dem Sendemasten, sondern untereinander und Informationen gelangen erst über eine Datensammelstelle ins Labor. Dort werten die Forscher die Daten aus und suchen nach Hinweisen für drohende Naturereignisse.

Im Projekt am Matterhorn haben er und seine Kollegen ein Netzwerk geschaffen, das extrem zuverlässig, stromsparend und effizient funktioniert, so Beutel. Jeder Sensor sei autonom und selbst wenn einer der vielen Sensoren im Sensornetzwerk ausfalle, funktioniere das System weiter. Der Strom für die Zentrale werde durch Solarpanels erzeugt.

Mögliche Felsstürze in Tirol

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen forscht Beutel nunmehr seit einem Jahr auch in Tirol. Ziel ist es, längere Vorwarnzeiten für die Bevölkerung im Tal zu erreichen. Die Voraussetzungen in Tirol seien gut, so der Forscher. Weil es hier ein großes und dichtes Netz an Beobachtungsstationen gibt – und die Möglichkeit, disziplinübergreifend Grundlagenforschung zu betreiben – mit Geologen, Glaziologen, Geografen und den technischen Disziplinen. 

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Tirol hat im Vergleich zur Schweiz niedrigere Berge. Deshalb nimmt man an, dass vergleichbare Felsstürze zeitverzögert auch in den österreichischen Alpen auftreten könnten. Nicht zuletzt durch die fortschreitende Gletscherschmelze. Permafrostboden reagiert sehr sensibel auf Veränderungen in der Schnee- oder Eisdecke.  Deshalb möchte der Forscher Daten sammeln und Vergleiche und Rückschlüsse ziehen. 

Intelligentere Sensoren

Wenn man bei den aktuellen Messsystemen einen Punkt misst, dann weiß man nicht, was am Punkt daneben passiert. Oder wenn man zum Beispiel die Temperatur misst, dann weiß man nicht, ob es vielleicht gerade auch eine Bewegung gibt. “Es gilt also die genau richtigen Sensoren am richtigen Ort in der richtigen Dosierung einzusetzen und das geschieht heute leider noch manuell. Das heißt, die Messungen sind wenig datengetrieben …“, erklärt Beutel.

der Forscher will eine neue Generation intelligenter Sensoren entwickeln, die robuster und effizienter messen. Außerdem gelte es große Datenmengen zu managen und aufzubereiten: „In den Anfangsjahren waren Zuverlässigkeit und Effizienz des Systems die drängendsten Themen. Aber heute stehen wir vor der Herausforderung, die richtigen Daten zu erheben.“ 

Felsen bewegen sich nach Mustern

Überall Messungen durchzuführen ist weder möglich noch zielführend, weil das zu sehr großen Datenmengen führen würde. Man wisse bereits, dass sich Felsen nach bestimmten Mustern bewegen und Messungen dann besonders sinnvoll sind, wenn das Muster durchbrochen wird. Zu unterscheiden sei in reversible und nicht-reversible Bewegungen. Letzteres sei bedenklich, denn wenn eine Auslenkung regelmäßig immer in die gleiche Richtung gehe, werde es irgendwann zu viel und es gebe einen Felssturz, so Beutel.

Ebenso wenig zielführend wäre es permanent Messungen durchzuführen. Deshalb sollen die intelligenten Sensoren nur dann Daten generieren, wenn es erwiesenermaßen zum höchsten Mehrwert führt. 

Gefahrenmodell

Um auf  Basis der gesammelten Daten entscheiden zu können, ob Gefahr in Verzug ist, müssen die Daten aufbereitet werden. Bei welcher Datenlage gehandelt werden muss, sei abhängig von der Art der Gefahr. Allenfalls brauche es ein geeignetes Modell, das es ermöglicht, aus den Daten eine Prognose abzulesen – vergleichbar mit Maßnahmen in der Klimapolitik, denen zum Beispiel ein Klimamodell wie + 1,5° Celsius zugrunde liegt.  

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