Zellen treffen mehrere Entscheidungen, bevor sie sich auf ihre biologische Bestimmung im Körper festlegen. Forschern gelang es diesen Werdegang zu beobachten. Die Erkenntnisse helfen krebserregende Ereignisse zu verstehen.
Der menschliche Körper besteht aus hunderten Zelltypen, die höchst spezialisiert sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Diese komplexen Zellen entstehen alle aus einer einzigen Art von Urkeimzelle. Der Werdegang der Zellen war bisher unklar. Jetzt gewann man in einer länderübergreifenden Studie an der die Medizinische Universität Wien beteiligt war, neue Erkenntnisse. Diese tragen zum Verständnis krebserregender Ereignisse bei, können aber auch genutzt werden, um künstliches Gewebe für medizinische Behandlungen zu züchten.
Beobachtung der Zellen
Die Studie wurde anhand der Neuronalleiste (die embryonale Gewebestruktur) von Mäusen durchgeführt. Dabei handelt es sich um Zellen, die in der frühen Entwicklung auftreten und grundlegend für die Bildung von sehr verschiedenen Zelltypen sind. Bei Menschen ist die Neuronalleiste unter anderem für die Entstehung des Gesichts, der Zähne, der Sinnesneuronen etc. zuständig.
Die Forscher setzten die Methode der Einzelzell-Sequenzierung ein, um die genetischen Veränderungen in einzelnen Zellen beobachten zu können. Die Abfolge der Zellentscheidungen konnte an den Veränderungen der Ribonukleinsäure beobachtet werden. Diese entstehen, wenn eine Zelle beginnt, die Befehle von Genen auszuführen und sich zu wandeln.
Konkurrierende Wahlmöglichkeiten
Der Zell-Werdegang wurde in Form eines Entscheidungsbaumes mit einer Reihe von Weggabelungen gezeichnet. Die Beobachtungen zeigten, dass die Zellen bis ins Erwachsenenalter mehrfach konkurrierende Wahlmöglichkeiten haben. Bis sie ihre endgültige Bestimmung erreichen, treffen sie mehrere binäre Entscheidungen.
Bei den Zellen der Neuralleiste läuft der Prozess über drei Phasen ab:
- Aktivierung der konkurrierenden genetischen Programmierungen;
- Graduelle Beeinflussung in Richtung einer der Alternativen;
- Endgültige Bestimmung der Zelle;
Intensive Entscheidungsphasen
In der Studie wurde insbesondere die Phase der konkurrierenden Beeinflussung der Zellen transparent: Genetische Programme, die verschiedene Zellfunktionen regulieren, drängen die Zellen zeitgleich in unterschiedliche Entwicklungspfade hinein. Diese Ko-Aktivierung intensiviert sich mit dem Näherrücken der Entscheidungsgabelung. Sobald sich die Zelle für einen Pfad entscheidet, verstärkt sich das betreffende genetische Programm. Das konkurrierende Programm wird schwächer und kommt schließlich zum Stillstand.
Eine mögliche Entscheidung wäre zum Beispiel, ob die Zelle ein Kieferknochen oder eine Nervenzelle wird.
Was zur Entscheidung führt, ist noch ungeklärt. Die Beobachtungen legen nahe, dass die Entscheidung erst nach der Ko-Aktivierung durch die genetischen Programme erfolgt. Die Forscher vermuten, dass die Entscheidung eher von externen Signalen beeinflusst wird, als von internen.
Fehler in der Differenzierung
Zwar beziehen sich die Erkenntnisse zunächst auf die Zellen der Neuralleiste, aber sie könnten auch das Verständnis der Zelldifferenzierung in anderen Geweben fördern. Die Beobachtungen zeigen wie Zellen reifen und ihre Aufgabe erfüllen, aber auch wie sie vom Pfad abkommen und sich unkontrolliert teilen. Das ist das wesentliche Merkmal eines Karzinoms. Fehler in der Differenzierung können zu bösartigem Wachstum führen.
Dazu Ko-Studienleiter Igor Adameyko von der Medizinischen Universität Wien und dem schwedischen Karolinska Institut:
„Krebserregende Ereignisse geben noch immer Rätsel auf, und unsere Studien lassen vermuten, dass sie auf Grund von Fehlberechnungen entstehen, wo, ähnlich wie bei einem abstürzenden Computerprogramm, die Zelle in einem fehlerhaften Stadium festhängt, obwohl die zugrundeliegende Hardware noch in Ordnung ist.“
Auch interessant:
Unbekanntes Protein entdeckt: Neue Erkenntnisse zur Entstehung und Therapie von Krebs
Stresshormone fördern die Metastasierung von Brustkrebs
TUM-Wissenschaftler erzeugen Zellen, die miteinander kommunizieren können