© Foto: JLU / Lisa Dittrich
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Keine Frage: Düfte in unserer Nase bewirken etwas: Sie wecken Erinnerungen, stimmen positiv und lassen uns, wenn sie unangenehm werden, die Flucht ergreifen. Forscher der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) wiesen nun nach, dass Düfte dem Menschen auch bei der Orientierung helfen. Wie eine Landmarke sollen sie sich in unserem Hirn festsetzen und somit den richtigen Weg weisen.

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Bekannt ist: Hunde, Katzen und viele andere Tiere können sich sehr gut anhand von Gerüchen in ihrer Umgebung orientieren. Bei Menschen wurde diese Fähigkeit bislang nicht vermutet. Sicher gab es auch deshalb kaum experimentelle Studien zu diesem Thema. Diese Lücke wurde nun von PD Dr. Kai Hamburger und Prof. Dr. Markus Knauff von der Abteilung für Allgemeine Psychologie und Kognitionsforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) geschlossen. Die Kognitionsforscher kommen zu einem überraschenden Ergebnis: Menschen finden sich anhand ihres Geruchssinnes viel besser zurecht, als bislang vermutet.

Orientierung per Nase

Dies wiesen die Kognitionspsychologen in ihrer aktuellen, experimentellen Studie nach. Hierbei mussten sich Versuchspersonen in einem fotorealistischen, virtuellen Labyrinth zurechtfinden. Die Entscheidung, ob sie an einer Kreuzung rechts oder links gehen mussten, um das Ziel zu erreichen, konnten sie nur über ihren Geruchssinn treffen. Denn die Versuchspersonen sollten sich beispielsweise merken, dass sie beim Zitronenduft links abbiegen und beim Fischgeruch geradeaus gehen müssen. Die Ergebnisse zeigten eine beeindruckende Leistung der Testpersonen: So waren annähernd 70 Prozent der Richtungsentscheidungen korrekt. Bemerkenswerterweise gelang die Orientierung den Probandinnen und Probanden sogar mit unbekannten Gerüchen. Obwohl sie diese zuvor nicht eindeutig einem bestimmten Stoff, wie etwa Vanille oder Nagellackentferner, zuordnen konnten.

Für ihre Befunde haben die Wissenschaftler folgende Erklärung: So ist seit längerem bekannt, dass Menschen und Tiere im Hippocampus, einer sehr alten Hirnstruktur, sogenannte kognitive Karten speichern. Diese „inneren Landkarten“ werden auch als inneres Navigationssystem bezeichnet. Sie können mit Landmarken versehen sein. Das heißt, sie beinhalten auffällige Gebäude oder andere Objekte, an denen sich ein Mensch orientieren kann.

Bedeutung von Gerüchen für Menschen unterschätzt

Frühere Studien unserer Arbeitsgruppe haben bereits gezeigt, dass neben visuellen Objekten auch Geräusche, wie zum Beispiel Baustellenlärm oder Hundegebell die Funktion von Landmarken übernehmen können“, berichtet PD Dr. Kai Hamburger. „Neu ist jetzt, dass auch Gerüche Landmarken sein können. Wir können Gerüche erinnern, und das hilft uns dabei, unsere Wege zu finden.“

Die Studie zeigt auch, dass die Bedeutung von Gerüchen für den Menschen bisher unterschätzt wurde. Auch sehen die Forscher schon konkrete Anwendungsbezüge für ihre Ergebnisse: So werde in der Ethnologie untersucht, wie die Gerüche in verschiedenen Städten das Wohlbefinden ihrer Bewohnerinnen und Bewohner beeinflussen können. Und außerdem werden bereits seit einigen Jahren spezielle Düfte entwickelt, die Kunden in Geschäfte locken sollen. Doch auch wenn Düfte beim Menschen etwas bewirken, der Traum, dass Gerüche in Shops tatsächlich den Umsatz steigern können, wird mit der Untersuchung nicht bestätigt. Man denke dabei nur an das Experiment, bei dem Schokoladengeruch im Buchhandel zwar den Kauf von Liebesromanen förderte, jedoch der Absatz von Krimis – eigentlich dem umsatzstärksten Produkt – hingegegen stark zurücksetzte. Viel zu individuell reagiert wohl jeder Mensch. Zumal auch nicht jeder Jeden – und somit auch jeden Geruch – gerne riechen mag.

Die gesamte Publikation wurde kürzlich in der Zeitschrift Cognitive Science veröffentlicht und ist hier nachzulesen.