Design: Angela Hoitink in collaboration with Karin Vlug (c) Jeroen Dietz
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Die meisten Menschen tragen Fast Fashion, das heißt, relativ günstige Kleidungsstücke, die sie nach ein bis zwei Jahren entsorgen. Würden wir in einer idealen Welt leben, würden sie ihr Verhalten in der Klimakrise ändern. Sie würden ihre Kleidung länger tragen, weil das nachhaltiger ist, als der schnelle Konsum. Aber unsere Welt ist nicht ideal, sagt Aniela Hoitink, Gründerin des niederländischen Start-up NEFFA

„Unsere verschwenderische Art zu leben, hat schon vor Jahrhunderten begonnen. Ereignisse die dies beschleunigt haben, waren die Ausweitung des Handels im 16. Jahrhundert und die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert. Wir häufen gerne Dinge an, weil sie unseren persönlichen Stil und Erfolg zum Ausdruck bringen. Deshalb brauchen wir Lösungen, die der Realität entsprechen, in der wir leben.“ 

Das Gewebe, das sie aus Myzelium (Pilzwurzel) züchtet, ist kostengünstig und kann nach der Nutzung kompostiert werden – einfach, indem man es in der Erde vergräbt. Es soll Verbrauchern ermöglichen, Trends zu folgen und trotzdem nachhaltig zu leben. 

Myzelium

Die Modeindustrie ist ressourcen- und arbeitsintensiv. Man denke allein an den Baumwollanbau, der wertvolle Anbauflächen und Wasserressourcen verbraucht und Pestizide und Chemikalien einsetzt. In Hoitinks Produktionsprozess entstehen Material und Modell in einem Schritt: das Gewebe bildet sich durch Fermentation und wird direkt auf einer dreidimensionalen Körperform gezüchtet. Die Eigenschaften von Myzelium sind mit jenen von Leder oder Kunststoff vergleichbar sind. Es könnte umweltschädliche erdölbasierte Kunstfasern ersetzen, wie sie zum Beispiel bei Taschen oder Wetterschutzjacken verwendet werden. 

Geschlossener Kreislauf

Myzelium ist eine mehrzellige Hefezelle, die sich typischerweise von kleinen Zuckermolekülen aus Holz oder Pflanzenabfällen ernährt. Es wächst, indem es kleine Moleküle produziert, die es präzise zusammensetzt. So entsteht ein dichtes Netzwerk aus Fasern. Sobald dieses fertiggestellt ist, geht das Myzelium zur Bildung eines Pilzes über. In dieser Phase kann der Mensch eingreifen und das Wachstum des Gewebes lenken – durch die Kontrolle von Temperatur, CO2, Feuchtigkeit und Luftstrom. Der Prozess ist rapide und vollzieht sich innerhalb weniger Tage.

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Die Myzelium Hefezelle ernährt sich von Zuckermolekülen aus post-consumer-Abfällen, wie etwa Maiskolben, Holzspänen und Stroh. Im Produktionsprozess werden diese Materialien recycelt und in umweltfreundliche Produkte umgewandelt.  Die Herstellung von Gewebe aus Myzelium stellt also einen geschlossenen Kreislauf dar.

Myzelium, Pilzwurzeln
Aniela Hoitink (c) MycoTex

Vereinfachte Lieferkette

Es gibt bereits eine kleine Tradition in der Herstellung von neuartigen Geweben aus Myzelium. Die ersten Versuche starteten 2012. In großen Forschungsprojekten konzentriere man sich auf das Imitieren von Leder und stütze sich sich auf eine Lieferkette, die eine Tradition von 200 Jahren hat, erklärt Hoitink. 

Sie selbst forscht seit 2014 an der Anwendung von Myzelium in der Modeproduktion. Damals wurde sie Teil eines Forschungsprojekts an der Universität Utrecht. Der Name ihres Start-ups NEFFA ist ein Akronym von Net effe anders. Das bedeutet übersetzt soviel wie Dinge anders machen. Ein Ansatz, der sich unter anderem darin zeigt, dass sie sich Anleihen aus anderen Industrien holt und auf die Modeproduktion anwendet. So gelang es ihr die Lieferkette neu zu denken und dramatisch zu verkürzen. Sie entwickelte eine Produktionstechnik, die ohne Nähte auskommt und die Personalisierung in der Massenproduktion ermöglicht.“ 

Der Produktionsprozess, das heißt die gesamte Lieferkette, besteht aus zwei Schritten: Im ersten Schritt lässt man die Rohbiomasse in großen Fermentern wachsen. Das sei ein Prozess, der in großen Unternehmen wie BASF und DSM bereits etabliert sei, erklärt Hoitink. Im zweiten Schritt wird das Produkt verarbeitet und je nach Anforderung gefärbt und beschichtet. 

Lokale Produktion

Da die Kleidung auf der Körperform und nach Plan gezüchtet wird, entsteht kein Abfall. Zuschnitt und Näharbeiten entfallen. Das heißt, die Arbeitsintensität wird reduziert und das ermöglicht die kostengünstige lokale Produktion. Lange Transportwege entfallen und der ökologische Fußabdruck schrumpft. 

Gleichzeitig wird  Überproduktion vermieden, weil die Anfertigung auf Bestellung erfolgt – und nach den Körpermaßen der Kunden. Verbraucher haben den Vorteil gut sitzender Kleidung, die pflegeleicht ist. Man kann das Gewebe leicht reinigen, indem man es mit einem feuchten Tuch abwischt. 

Myzelium, Pilzwurzeln
Weste aus Myzelium (c) NEFFA

Vermarktung

Hoitinks Innovation erhält große Anerkennung. Zuletzt war sie eine von zehn Bewerbern im Finale der Social Innovation Competition 2020 der Europäischen Kommission, die unter dem Titel Reimagine Fashion lief. In der Online-Akademie und dem Coaching konnte sie ihre Ideen rund um den systemischen Wandel, den sie mit ihrem Produkt MycoTEX erreichen will, schärfen. Hoitink:

„Natürliche Materialien bieten verschiedene natürliche Funktionen. Mit Myzelium bringen wir mehr Vielfalt in eine Gesellschaft, die sich im Wesentlichen auf Baumwolle und Polyester verlässt.“ 

Derzeit arbeitet sie an der Skalierung der Produktion, die in hohen Mengen möglich sein soll. Das erste Produkt wird 2021 auf den Markt kommen. Die Vermarktung soll im Business-to-Business-Modus laufen, das heißt über Online-Plattformen wie Yoox und Zalando erfolgen. 

Im Launch basiert die Technologie noch auf Standardgrößen. Langfristig soll aber die Personalisierung möglich sein – indem der Kunde seinen Bodyscan hochlädt. Die Körperformen, auf denen das Gewebe wächst, können flexibel auf Kundenmaße eingestellt werden.

Außerdem will Hoitink auch die Materialeigenschaften noch verbessern. Das Myzelium Gewebe ähnelt Leder und Kunststoff, zwei Materialtypen, die nicht besonders atmungsaktiv sind. Das soll sich mit MycoTexändern.

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