Im 3D Biodrucklabor der Medizinischen Universität Innsbruck, beschäftigt man sich mit der Herstellung von menschlichem Gewebe, das mit 3D-Biodruckern aufgebaut werden kann. Der Nachbau von menschlichem Gewebe ermöglicht es, Krankheiten zu simulieren und zu untersuchen. Zuletzt gelang es dem Forscherteam ein 3D-Tumormikroumgebungs-Modell zu entwickeln, mit dem man die Entwicklung von Tumoren und die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten im nachgebauten menschlichen Gewebe in Echtzeit untersucht kann.
Mikrofluidik
Das 3D-Tumormikroumgebungs-Modell ist eine Kombination aus komplexem gefäßbildendem Gewebe und einem fluidic chip. Der Chip ist 28 mal 21 Millimeter groß und funktioniert nach den Prinzipien der Mikrofluidik, die sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen auf kleinstem Raum beschäftigt. Dieses kann sich wesentlich von dem Verhalten makroskopischer Fluide unterscheiden, weil in dieser Größenordnung Effekte dominieren können, welche in der klassischen Strömungslehre oft vernachlässigt werden.
Mikrofluidische Bauteile dieser Art sind im Bereich der Kultivierung von Zellen zwar bereits in Anwendung, doch verfügen sie meist nur über eine Zellschicht. Das Gewebe der Innsbrucker wird aber bis zu einer Dicke von drei Millimetern gedruckt und, wie im menschlichen Körper, entwickelt sich darin ein dichtes dreidimensionales Kapillargefäßnetzwerk.
Standardisierte Produktion
Der Nachbau des menschlichen Gewebes basiert auf einem dreidimensionalen Hydrogel, das im 3D-Biodrucker Schicht für Schicht mit Zellen aufgebaut wird. Für das neu entwickelte 3D-Tumormikroumgebungs-Modell wird das nachgebaute menschliche Gewebe direkt in den fluidischen Chip aus Plexiglas gedruckt, wo es dann natürlich und von selbst wächst. Dadurch entstehen nahezu reale Bedingungen, die es ermöglichen, in Echtzeit und im Detail zu erforschen, wie der Tumor seine Umgebung manipuliert und für sich nutzt. Das von menschlichem Gewebe abgeleitete Äquivalent kann standardisiert produziert werden und macht Tierversuche ersetzbar. Das 3D-Tumormikroumgebungs-Modell wurde zum Patent angemeldet.
Verbindung von Chip und Gewebe
Vor dem Druck werden in das Plexiglas des Chips feine Kanäle gelasert, um die feinen Kanäle im komplexen gefäßbildenden Gewebe direkt an den Chip anschließen zu können. Anschließend braucht das Gewebe drei Wochen Zeit, um zu wachsen und zu reifen. Diese Zeit nutzen die darin liegenden Zellen, um sich zu organisieren. Dadurch verändert sich auch das Volumen des Gewebes und es könnte sich vom Plastik ablösen. Um das zu verhindern, haben die Forschenden ein spezielles Design entwickelt, das Gewebe und Chip verzahnt. Dadurch bleibe das lebende Gewebe auch über Wochen stabil und verankert, beschreibt der Laborleiter und Mikrobiologe Michael Außerlechner die innovative Technologie.
Kapillarnetzwerk
Den Forschenden gelang es zudem, feine, blutgefäß-ähnliche Kapillaren mit dem Biodrucker zu generieren, sodass alle Zellen im Gewebemodell ausreichend versorgt werden können. Die Gefäße haben einen Durchmesser von circa 0,3 Millimetern und bilden die Hauptversorgungsrouten im Gewebemodell. Darüber hinaus bedarf es feiner Kapillaren, damit auch Zellen im Gewebe versorgt werden, die weiter von diesen Kanälen entfernt sind. Auch dafür fanden die Forschenden eine Lösung: Sie entwickelten eine spezielle Biotinte, in der sich die Endothelzellen – sie kleiden die Innenseiten der Blutgefäße aus – zusammen mit Stammzellen spontan selbst organisieren. Die Endothelzellen bilden ein feines Kapillar-Netzwerk und durchziehen innerhalb von sechs bis sieben Tagen das gesamte Gewebe“, so die Biotechnologin Judith Hagenbuchner, die das 3D-Biodrucklabor gemeinsam mit Außerlechner leitet. Der so in Gang gesetzte Prozess läuft ähnlich ab wie die natürliche Wundheilung.
Anwendungsmöglichkeiten
Das Modell kann für viele Fragestellungen genutzt werden. So ermöglicht es zum Beispiel das Testen von sogenannten Angiogenesehemmern. Angiogenese bezeichnet die Bildung neuer Blutgefäße – und Angionesehemmer haben die Aufgabe, die Neubildung von Blutgefäßen und somit das Tumorwachstums zu unterdrücken. Auch patientenorientierte und damit personalisierte Fragestellungen lassen sich mit dem 3D-Tumormikroumgebungs-Modell untersuchen, wie etwa die Wahl der geeigneten Therapie. Damit leiste das biogedruckte Gewebemodell auch einen wichtigen Schritt in Richtung Präzisionsmedizin, so die Forschenden. Selbst für die Erforschung der Metastasierung – ein Prozess, der die Heilungschance bei Krebs erheblich verschlechtert – könnte die neu entwickelte Plattform geeignet sein.
Projekt Neuroblastom
Außerlechner leitet auch das Molekularbiologische Labor der Pädiatrie I und so war es naheliegend, in einem ersten Projekt das Neuroblastom zu untersuchen. Es handelt sich dabei um einen der häufigsten soliden Tumore bei Kleinkindern, der nach wie vor eine schlechte Prognose hat. Ziel des Projekts ist es, Therapien gegen das Wachstum und die Metastasierung des Tumors zu entwickeln. Mit dem neuen 3D-Tumormikroumgebungs-Modell können die Forschenden die Tumorumgebung nachahmen und patientenspezifisch die Reaktion des Tumors auf die Arznei identifizieren.
Im Versuch wurden die kugelförmigen Tumorzellaggregate, sogenannte Tumorsphäroide, aus einem Neuroblastom während des Druckprozesses zwischen die Zellen des 3D-Druck-Gewebes gesetzt. Dort wuchsen sie innerhalb von zwei bis drei Wochen zu einem Mikrotumor heran. Die Forschenden konnten beobachten, wie dieser kleine Tumor die Kapillaren aus dem Gewebe anzieht und diese dann in den Tumor hineinwachsen. Das zeigt, wie sich der Tumor aktiv seine eigene Versorgungsstruktur aufbaut.
Ausblick
Aufbauend auf den ersten Ergebnissen sollen spezifisch auf Patienten abgestimmte Therapien und Testsysteme entwickelt werden. Das 3D-Modell werde helfen, die Mechanismen der Karzinogenese, also des Tumorwachstums, noch besser zu verstehen und damit die Tumormikroumgebung als therapeutisches Ziel für die Krebsbekämpfung besser nutzbar zu machen – und das ohne Tierversuche“, betont Außerlechner.
Team
Das neuartige 3D-Tumormikroumgebungs-Modell wurde von Michael Außerlechner, Judith Hagenbuchner und Daniel Nothdurfter im 3D Biodruck Labor der Medizinischen Universität Innsbruck entwickelt. Der Mikrobiologe Michael J. Außerlechner leitet das Molekularbiologische Labor der Pädiatrie I und seit 2018 auch das neu gegründete 3D Biodruck Labor – gemeinsam mit Judith Hagenbuchner. An der Arbeit war maßgeblich auch der Doktoratsstudent Daniel Nothdurfter beteiligt.
Das Fachjournal Biofabrication berichtete über die vielversprechenden Ergebnisse.
Hier finden Sie den Link zur Arbeit: 3D bioprinted, vascularized neuroblastoma tumor environment in fluidic chip devices for precision medicine drug testing.